Guy Maddin

The Forbidden Room

Die schöne Margot (Clara Furey) soll gerettet werden. Foto: Arsenal-Berlin Distribution
(Kinostart: 7.4.) In der Geisterbahn der Kinogeschichte: Remake-Spezialist Guy Maddin verschachtelt absurde Episoden zu einer Tour de Force durch die Stummfilmzeit – ein Bildergewitter bar jeder Logik, aber effektvoll arrangiert und hübsch anzuschauen.

Love it or leave it: Am kanadischen Regisseur Guy Maddin scheiden sich die Geister. Viele Cineasten können mit seinem überbordenden Gesamtwerk – er hat seit 1985 elf Spiel- und rund 50 Kurzfilme gedreht – wenig bis nichts anfangen. Dagegen begeistert sich eine wachsende Fangemeinde für jede neue Arbeit des Filmemachers; zu ihr zählen Star-Schauspieler wie Isabella Rossellini und Udo Kier, die schon bei Vorführungen als live-Erzähler auftraten.

 

Info

 

The Forbidden Room

 

Regie: Guy Maddin + Evan Johnson,

120 Min., Kanada 2015;

mit: Mathieu Amalric, Charlotte Rampling, Geraldine Chaplin

 

Engl. Website zum Film

 

Die kann Maddin gut gebrauchen, denn er dreht meist Stummfilme. Genauer: Sie sehen so aus, als seien es Stumm- oder frühe Tonfilme aus den 1910er bis 1930er Jahren – flackernd und unterbelichtet mit handgemalten Zwischentiteln; voller Schlieren, Kratzer und Flecken; handkoloriert oder viragiert, also verschiedenfarbig getönt, und mit schepperndem Filmorchester auf krächzender Tonspur. Alle optischen Mängel und Altersspuren einer längst verflossenen Ära stellt der Regisseur mit tausend Filtern, Linsen und Tricks liebevoll nach.

 

Keine Knallcharge ist zu klischeehaft

 

Gegenwärtig ist in seinen Filmen höchstens die Handlung. Wobei er das Personal auch aus der Kinogeschichte rekrutiert, vorzugsweise aus B-pictures: die verfolgte Unschuld, der wackere Retter, das glibberige Gummimonster, der wahnsinnige Wissenschaftler oder gewissenlose gangster – keine Knallcharge ist Maddin zu klischeehaft. Die Konflikte, in die er sie stürzt, hätten damals allerdings kaum die Zensur passiert: Häufig geht es um psychische Abgründe und sexuelle Perversionen – die er so grotesk wie jugendfrei ins Bild setzt.

Offizieller Filmtrailer OV


 

Im Schwarzwald von Holstein-Schleswig

 

Seit einigen Jahren dreht der Filmemacher mit Digital- anstatt alter Analog-Technik; paradoxerweise erscheint nun sein retromania look noch authentischer. Wie sehr er ihn mittlerweile vervollkommnet hat, kann man in „The Forbidden Room“ bestaunen: Hier zieht Maddin mit seinem Ko-Regisseur Evan Johnson wirklich alle Register – quasi als best of seines bisherigen Schaffens.

 

Er verschachtelt ein halbes Dutzend Geschichten wie Matrjoschka-Puppen ineinander; angeblich stammen sie aus Drehbüchern verschollener Spielfilme. Zum Auftakt erklärt ein feister Morgenmantel-Träger die Kunst des Badens. In einem U-Boot, das zu explodieren droht, futtern die Matrosen Pfannkuchen voller Luftblasen, um knappen Sauerstoff zu sparen. Ein Holzfäller taucht auf, der im Schwarzwald von Holstein-Schleswig die Höhlen-Braut Margot (Clara Furey) aus den Fängen einer Räuberbande befreien will.

 

Schnelle Schnitte wie in video clips

 

Dann rumpelt der „Deutsch-Kolumbianisch Express“ über die Leinwand: Im Zug verführt ein Psychiater die Schöne im Nebenabteil. Sie wird auf einer Südsee-Insel des Tintenfisch-Diebstahls beschuldigt; ein Pappmaché-Vulkan spricht das Urteil. Ein Chirurg wird von tanzenden Skeletten in ein giftiges Ganzkörper-Kostüm gezwungen; Charlotte Rampling und Geraldine Chaplin haben Kurzauftritte als fiese Greisinnen. Udo Kier lässt sich im Hirn herumwühlen, um seine Fixierung auf Hintern loszuwerden; dann wird er von Mathieu Amalric erschossen usw.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Von Caligari zu Hitler“ über "Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen" – Essayfilm über die Stummfilm-Ära der Weimarer Republik von Rüdiger Suchsland

 

und hier eine Besprechung des Films „The Artist“ – brillantes Stummfilm-Remake von Michel Hazanavicius, 2012 mit fünf Oscars prämiert

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Afterimages" – schöne Überblicks-Schau zur "Schwarzen Romantik in der Film- und Videokunst" mit dem Beitrag "Stille Nacht III" der Quay Brothers in der Kunstsammlung Jena

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung „Bewusste Halluzinationen – Der filmische Surrealismus“ im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt/Main.

 

Kolportage im Kubik, bar jeder Logik, aber vor schrägen Ideen nur so sprühend: Jede Einstellung ist verschieden inszeniert, jede Schrifteinblendung anders gesetzt; ständig knackt, prasselt oder flimmert es irgendwo. Dieses Feuerwerk altertümelnder Einfälle wirkt anfangs charmant, doch auf die Dauer eher ermüdend – zumal Maddin schneller schneidet, als seine Vorbilder es ihrem Publikum je zugemutet hätten. Mit solcher Reizüberflutung ist sein jüngstes Werk so zeitgenössisch wie TV-Werbspots oder video clips.

 

Neues Klappergestell in jeder Kurve

 

Wie diese erzählt der Film keine Handlung, sondern entfesselt ein Bildergewitter aus effektvollen Schlaglichtern; inhaltlichen Zusammenhang sollen Zwischentitel simulieren. Das ergibt nicht einmal eine durchkomponierte Nummernrevue: Die Episoden fangen abrupt an, fransen irgendwie aus, werden später wieder herbeizitiert oder auch nicht – völlig egal. Hauptsache, spektakuläre Schauwerte kitzeln die Netzhaut. Anders bei den ähnlich arbeitenden Quay Brothers: Ihre Filme rekonstruieren nicht nur die Anmutung, sondern auch den esprit der Stummfilmzeit.

 

So wird „The Forbidden Room“ zur zweistündigen Rundfahrt durch die Geisterbahn der frühen Kinogeschichte: In jeder Kurve hüpft rasselnd ein neues Klappergestell hervor – manche possierlich, andere gar schröcklich anzusehen. Dabei mögen Kinematheken-Archivare und movie buffs zahllose Anspielungen auf bekannte oder fast vergessene genre-Klassiker entdecken. Alle anderen amüsieren sich über solchen Rummelplatz-Mummenschanz – mehr oder weniger: this is pure eye candytake it or leave it!