Leipzig

Via Lewandowsky – Hokuspokus

Nietzsches Television, 2006, Fernseher + Polyester. Foto: ohe
König der Kalauer-Kunst: Den hintersinnigen Humor der ostdeutschen Nischengesellschaft setzt Via Lewandowsky in Skulpturen um. Anstelle von Geistesblitzen breitet seine Werkschau im Museum der bildenden Künste eher arg gesuchte Anspielungen aus.

Ein Witz zündet, oder er zündet nicht. Ob er zündet, hängt von zahlreichen Umständen ab: vom Inhalt, von der Vortragsweise des Erzählers, vom Kontext und von der Stimmung der Zuhörer. Auf einer Karnevals-Prunksitzung sind sie lachlustiger gestimmt als auf einer Beerdigung. Und im Museum?

 

Info

 

Via Lewandowsky - Hokuspokus

 

14.02.2016 - 29.05.2016

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, mittwochs 12 bis 20 Uhr

im Museum der bildenden Künste, Katharinenstraße 10, Leipzig

 

Katalog 29,90 €

 

Weitere Informationen

 

Der Künstler Via Lewandowsky reißt nicht ständig Witze, aber gern. Sie sind nur häufig nicht als solche zu erkennen, weil sie im Rahmen des Kunstbetriebs auftreten. Der ist insbesondere in Deutschland meist von bleischwerem Tiefsinn geprägt; es werden letzte Fragen und Dinge verhandelt. Umso dankbarer reagieren die Betrachter, wenn ein Werk Tonnen von Bedeutung mit frivoler Geste beiseite schiebt: Lachen ist vor allem (An-)Spannungs-Abfuhr.

 

Heimspiel mit kyrillischen Buchstaben

 

Lewandowskys große Retrospektive in Leipzig, eine erweiterte Version nach der ersten Station in Kiel, umfasst 50 Werke und Werkgruppen seit 1995; damals erhielt er den Kunstpreis der „Leipziger Volkszeitung“ und stellte zum ersten Mal im Museum der bildenden Künste aus.

 

Nicht nur deshalb hat der geborene Dresdener auch hier quasi ein Heimspiel: Das hiesige Publikum ist ähnlich sozialisiert wie er. Es versteht kyrillische Buchstaben, die westdeutsche Kunstfreunde kaum kennen, und teilt mit ihm einen hintersinnigen Humor, der nur in der Nischengesellschaft DDR blühen konnte.

Feature über Via Lewandowsky mit Statements des Künstlers; © Kulturjournal NDR


 

Zeitvertreib ostdeutscher Bildungsbürger

 

Darauf zielt Lewandowsky ab, was schon der Titel „Hokuspokus“ zeigt – die Zauberformel für Taschenspieler-Tricks in der Kleinkunst-Revue. Während Zauberer, die etwas auf sich halten, nie ihre Geheimnisse preisgeben, ist das bei Lewandowsky anders. Er erklärt seine Kunststücke ausführlich: Das Begleitheft zur Ausstellung hat er selbst verfasst. Was ihn wohltuend von vielen Kollegen unterscheidet, die sich dazu ausschweigen – nach dem Motto: Soll doch jeder denken, was er will.

 

Nun sind Witze, die man erst erläutern muss, eigentlich keine. Vor allem, wenn sie so voraussetzungsreich daherkommen, dass zum Verständnis esoterisches Faktenwissen nötig ist: etwa über alttestamentarische Texte, außereuropäische Sprachen oder avancierte Physik. Damit zu jonglieren, war ein Zeitvertreib von Bildungsbürgern in der Ex-DDR, um bornierte SED-Zensoren zu düpieren. Solche Anspielungen enthalten Lewandowskys Arbeiten reichlich; wohl teils angeregt durch seinen Freund, den vielfach ausgezeichneten Dichter Durs Grünbein. Beide arbeiten oft zusammen.

 

„Erkenne Dich selbst!“ in Sahnetorte

 

Grünbeins tragisches Weltverständnis, stoisch gelassen und humanistisch gemildert, schimmert auch in etlichen Arbeiten von Lewandowsky durch. Zum Beispiel in kleinen Katastrophen, die er als Skulpturen fixiert: abgestürzte Vögel, die sich in den Boden bohren. Ein brutal versengter Esstisch; Geschirr und Mahlzeiten sind zu Aschehäufchen niedergebrannt – wofür ein Ausspruch des Bischofs Remigius von Reims (436-533) bemüht wird, als er um 498 den Merowingerkönig Chlodwig I. taufte.

 

Es geht aber auch banaler: bei einer verknoteten Pyjama-Hose, platt gewalzten Trillerpfeife oder dem Gesichtsabdruck in einer Sahntorte aus Polyester, betitelt mit dem philosophischen evergreen „Erkenne Dich selbst!“. Da hört man förmlich das Glucksen und Prusten des Zuckerbäckers.

 

Durch schieren Aufwand erledigt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute" mit einem Beitrag von Via Lewandowsky im Badischen Landesmuseum, Karlsruhe

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland” mit einem Werk von Via Lewandowsky + Durs Grünbein im Jüdischen Museum Berlin.

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Jason Rhoades: Four Roads" - Groß-Installationen aus Alltags-Fundstücken in der Kunsthalle Bremen

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Private Wurm" - Skulpturen und Installationen von Erwin Wurm im Essl Museum, Klosterneuburg bei Wien.

 

Bei anderen Werken rätselt man, warum der Künstler sich diese langwierigen Exerzitien auferlegt hat: wenn er mühselig aus einer Raufasertapete die Fasern herauslöst und im Weckglas sammelt. Oder einen echten Jäger-Hochsitz auf motorgetriebene Federn montiert, um ihn sacht schwanken zu lassen. Oder aufwändig die Hobelbank eines Heimwerkers nachbaut, der angeblich Mini-Weihnachtsfiguren mit Sprengstoffgürteln bastelt.

 

Solche Scherze erledigen sich durch schieren Aufwand: Wer würde einem Komiker lauschen wollen, der bis zur Pointe eine Stunde lang quasselt? Besser sind Geistesblitze, die sofort einschlagen: Eine E-Gitarre, deren Hals vertikal an einer Kante entlang schabt, verleiht dem hässlichen Wort vom „Gitarrengewichse“ unmittelbare Anschauung. Oder ein wandhoher Turm aus Kunststoff-Paletten, eingeritzt wie Kautschuk-Bäume, der zum sinnfälligen Memento für das World Trade Center wird.

 

42 kommt 33 Jahre zu spät

 

Doch die meisten Exponate leiden unterm Missverhältnis zwischen Ausgangsidee und Umsetzung. Ab 1978 amüsierten sich Generationen von Oberschülern über die absurde Antwort eines Hochleistungscomputer auf die Frage nach dem Sinn des Universums. Er spuckte nach sieben Millionen Jahren Rechenzeit die Zahl 42 aus; das behauptete Douglas Adams in seiner science fiction-Parodie „Per Anhalter durch die Galaxis“. Wenn Lewandowsky 33 Jahre später diese Zahl in Acryl an die Wand hängt, demonstriert er nur eine sehr lange Leitung.

 

2008 war er seiner Zeit voraus: Da fertigte er eine Kuckucksuhr an, dessen Vögelchen den Ruf des Muezzin erschallen ließ. Dieser „Brutkasten“ enthielt in nuce alle Debatten über Migration und Leitkultur, die seither die Republik bewegen; er wurde prompt mehrfach ausgestellt. Doch hier fehlt diese Arbeit, damit keinem das Lachen im Halse stecken bleibt.