Karlsruhe

Elger Esser – zeitigen

Elger Esser: Nil I, Ägyp­ten, 2011, © Elger Esser. Fotoquelle: Staat­li­che Kunst­hal­le Karlsruhe
Piktorialismus für die Gegenwart: Fotografien veredelt Elger Esser aufwändig zu Kunstwerken weiter – wie vor 100 Jahren. Seine faszinierend detailreichen Landschafts-Aufnahmen präsentiert nun die Staatliche Kunsthalle in einer großen Werkschau.

„Zeitigen“ als Ausstellungs-Titel oszilliert zwischen mehreren Bedeutungen – darum geht es Elger Esser. Das leicht altmodische Verb steht für „hervorbringen“ oder „sich entwickeln“; und dafür braucht es Zeit. Sie steht im Wort an erster Stelle – als sei es die Zeit selbst, die allmähliche Veränderung oder Reifung zuwege bringt.

 

Info

 

Elger Esser - zeitigen

 

20.02.2016 - 10.07.2016

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

in der Staatlichen Kunsthalle, Hans-Thoma-Straße 2-6, Karlsruhe

 

Katalog 39,80 €

 

Weitere Informationen

 

Diese prozesshafte Auffassung scheint dem Wesen von Fotografie zu widersprechen. Sie gilt als Inbegriff kurzer Moment-Aufnahmen: Im Bruchteil einer Sekunde wird der Augenblick fixiert und eingefroren. Anders bei Elger Esser: Er kitzelt aus ihm so viel Dauer wie möglich heraus – nicht nur aus dem jeweiligen Motiv, sondern auch beim Publikum. Essers Bilder reichen tief in die kollektive Erinnerung zurück.

 

Staatspreis zum zweiten Mal vergeben

 

Wie weit das führt, zeigt nun eine große Werkschau mit rund 75 Arbeiten des 1967 in Stuttgart geborenen Künstlers in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe; anlässlich der Verleihung des „Großen Staatspreises für Bildende Kunst des Landes Baden-Württemberg“. Vor der pompös benannten Auszeichnung muss niemand in Ehrfurcht erstarren: Der „Oskar-Schlemmer-Preis“ wird erst zum zweiten Mal vergeben; 2014 erhielt ihn Katharina Grosse.

Porträt von Elger Esser zur Ausstellung; © Kunsthalle Karlsruhe


 

In der Tradition des Piktorialismus

 

Im Gegensatz zu ihr ist Esser im Kunstbetrieb bislang nicht gerade überpräsent: Seine ruhigen, auf den ersten Blick unspektakulären Bilder verweigern sich schneller Verwertung und Vermarktung im Ausstellungs-Karussell. Allein schon durch den Aufwand, den er treibt: Er arbeitet mit großformatigen Plattenkameras, retuschiert oder koloriert die Negative und bedient sich alter Wiedergabe-Verfahren wie der Heliogravüre, bei der Druckplatten direkt belichtet werden.

 

Damit steht Esser in der Tradition des Piktorialismus: Vertreter dieser Stilrichtung wollten um 1900 Fotografien vom Makel befreien, nur banale Abbilder des Tatsächlichen zu sein. Sie verliehen ihren Aufnahmen mit allerlei Manipulationen eine malerische Wirkung; so sollte Fotografie zur eigenständigen Kunstform aufgewertet werden. Dem machte das „Neue Sehen“ ab den 1920er Jahren den Garaus; fortan war objektives Aufzeichnen des Sichtbaren de rigueur.

 

Idealtypische Frankreich-Ansichten

 

Dem ist auch die Düsseldorfer Schule von Bernd und Hilla Becher mit monotonen Fotoserien von Industriebauten verpflichtet. Esser hat bei ihnen studiert, doch ihren nüchternen Dokumentar-Dogmatismus bald hinter sich gelassen. Er nimmt einzelne Landschafts-Aufnahmen nur als Ausgangspunkte für veredelnde Verfahren: Sie ergeben Bilder, die Betrachter in situ so nie wahrnehmen würden.

 

Das wird schon in der Schwarzweiß-Serie „Combray“ deutlich, für die Esser historische Gebäude und stille Winkel in ganz Frankreich abgelichtet hat. Aus Combray stammt der Erzähler in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust: ein fiktives, idealtypisches Städtchen in der französischen Provinz. Ebenso idealtypisch erscheinen die Ansichten, die Esser zusammenträgt: von verlassenen Landhäusern, bröckelnden Mauern, Klosterruinen und überwucherten Gärten.

 

Eisenbahn-Brücken wie römische Aquädukte

 

Dem Fotografen geht es weniger um konkrete Orte als vielmehr um die Durchdringung von Natur und Geschichte, die in ihnen zum Ausdruck kommen. Hier haben sich jahrhundertelang diverse Einflüsse Schicht um Schicht wie Sedimente abgelagert und miteinander verbunden; Esser legt sie frei. Zuweilen sind seine Sujets durchaus modern, etwa Eisenbahn-Brücken – aber solche, die von Rundbögen getragen werden, wie schon römische Aquädukte. In delikaten Grautönen wirken sie fast überzeitlich, als seien sie immer schon da gewesen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Old School – Anachronismus in der zeitgenössischen Kunst" - mit Werken von Elger Esser in der Kunsthalle Kiel

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Stille und bewegte Bilder" - meditative Landschafts-Fotografie des iranischen Filmregisseurs Abbas Kiarostami im Museum Situation Kunst, Bochum

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "KunstFotografie – Emanzipation eines Mediums" – über die Bewegung der Piktorialisten im Kupferstichkabinett Dresden

Ähnlich der Garten von Giverny; er ist durch Claude Monets berühmte Seerosen-Gemälde in die Kunstgeschichte eingegangen. Esser wählt Perspektiven, die Monet gesehen haben könnte – und führt mit Langzeit-Belichtungen vor, wie Lichtreflexe im Laubwerk und Spiegelungen auf dem Wasser gleichsam von selbst Bilder hervorbrachten, die der Impressionist nur noch auf der Leinwand festhalten musste.

 

Ägyptens gleißend gelbes Licht

 

Dabei beeindrucken die Farben umso stärker, je reduzierter ihr Spektrum ist. Etwa bei Aufnahmen von den Ufern des Nil: Sie strahlen in überblendet fahlem Gelb, das an die gleißende Helligkeit der Sonne über Ägypten gemahnt. Manchmal geraten solche Verfremdungen allerdings leicht manieriert. Wie bei alten Bildpostkarten von Steilküsten und Schiffswracks, die Esser monumental vergrößert und einfärbt: Das stereotype Pathos der Vorlagen wird dadurch nur überdimensional aufgeplustert.

 

Doch meist gelingt dem Künstler, gerade unscheinbaren Motiven und Blickwinkeln überraschende Schönheit abzugewinnen – im subtilen Spiel der Nuancen unendlich vieler Details. Sie zu würdigen, braucht Zeit; das verleiht seinen Bildern in der gegenwärtigen Inflation hastig geknipster Digital-Schnappschüsse zeitlose Qualität.