Omer Fast

Genug Geld für Koks und Stripperinnen

Omar Fast. Foto: © Piffl Medien
Vergangenheit ist, was wir dafür halten; ihre vollständige Rekonstruktion bleibt unmöglich. Dennoch unterwirft der Kunst-Filmer Omer Fast seinen Protagonisten in "Remainder" einer aufwändigen Amnesie-Eigentherapie – um Tabus sichtbar zu machen, betont er.

Herr Fast, Sie sind ein renommierter Video-Künstler, dessen Arbeiten auf vielen wichtigen Festivals gezeigt wurden und werden. Warum haben Sie nun Ihren ersten Spielfilm gedreht?

 

Weil sich die Möglichkeit dazu bot. Ich bin daran interessiert, eine eigene kleine Welt zu erschaffen und sich in dieser Welt zu verlieren. Das geschieht sehr intuitiv; ich betrachte die Kunst keineswegs als Plattform für mich, um Filme zu machen. Ich bleibe Künstler, auch und gerade nach der Erfahrung mit „Remainder“; diesen Ausflug in die Welt des Kinos habe ich teils genossen, teils nicht. Es war eine Herausforderung, die ich ausprobieren wollte.

 

Info

 

Remainder

 

Regie: Omer Fast,

97 Min., Großbritannien/ Deutschland 2015;

mit: Tom Sturridge, Cush Jumbo, Arsher Ali

 

Website zum Film

 

Einem fertigen Film sieht man nicht an, wie er zustande gekommen ist; während des Prozesses der Herstellung ist das Ergebnis noch ungewiss. Als ich den Roman von Tom McCarthy las und Kontakt zum Autor aufnahm, hatte ich nicht die Absicht, sein Buch zu verfilmen. Doch ein Gespräch folgte dem anderen, und so ergab sich das.

 

Fünf Jahre Vorbereitungszeit

 

Ihre bisherigen Video-Arbeiten waren schon vergleichsweise aufwändig mit professioneller Studio-Ästhetik. Diesmal dürfte Ihr Budget weit über den bisherigen gelegen haben. Fast alle Autorenfilmer klagen über Geldmangel; welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

 

Wir hatten so viel Geld, dass wir die ganze Zeit den set mit Koks und Stripperinnen versorgen konnten. Wir schwammen im Geld und verbrannten es täglich auf der Straße. Natürlich fehlte es an allem; diese Produktion war super low budget. Daran bin ich gewöhnt, doch im Allgemeinen fallen meine Dreharbeiten eher kurz aus.

 

Diesmal war es ein Marathon mit 34 Drehtagen in zwei verschiedenen Ländern – ganz abgesehen von fünf Jahren Vorbereitungszeit: Zwischendurch habe ich drei komplette Kunstprojekte realisiert. Zwar filme ich auch meine Video-Kunst nach zuvor ausformulierten Drehbüchern, aber diese entwickele ich normalerweise allein. An „Remainder“ waren unterschiedliche Menschen beteiligt, mit denen ich besser oder schlechter zurechtkam.

Offizieller Filmtrailer


 

Künstler treiben Gentrifizierung voran

 

Kommen wir zum Inhalt: Viele ihrer bisherigen Video-Arbeiten haben einen politischen oder gesellschaftlichen Bezug und stellen kontroverse Phänomene facettenreich dar. „Remainder“ kreist eher um das zeitlose philosophische Problem der Identität. Warum haben Sie für das Massenmedium Kino einen unpolitisch-privaten Ansatz gewählt?

 

Ich sehe das etwas anders. Für mich ist „Remainder“ auf einer gewissen Ebene ein Märchen über die Rolle der künstlerischen Tätigkeit bei der Gentrifizierung. Der Protagonist hat durch Unfall ein Trauma erlitten; er gibt viel Geld aus, um seine fragmentierte Erinnerung wiederzugewinnen. Dabei setzt er künstlerisch-theatralische Mittel ein, etwa Inszenierung und Wiederholung usw.

 

Er setzt das in einem Milieu um, dem diese Tätigkeit total fremd ist: Als er dafür ein ganzes Haus kauft, sieht man im Hintergrund, wie die Bewohner ausziehen müssen. Insofern ist der Film nicht explizit politisch, aber die soziale Relevanz bleibt als roter Faden die ganze Zeit sichtbar. Ich verstehe auch meine Arbeit als Künstler nicht unbedingt als Auseinandersetzung mit politischen Kontroversen.

 

Präsente Produkte, tabuisierte Tätigkeit

 

Ich interessiere mich eher für Leute, deren Aktivität fühlbare Auswirkungen in der realen Welt haben; etwa die Drohnen-Piloten in „5000 Feet is the Best“ oder die Porno-Darsteller in „Everything That Rises Must Converge“. Sie erbringen Dienstleistungen oder schaffen Produkte, die sehr präsent sind.

 

Doch sie selbst bleiben praktisch unsichtbar, weil ihre Tätigkeit tabuisiert wird. Mich mit diesem Unsichtbaren auseinanderzusetzen, betrachte ich als meine Aufgabe als Künstler. „Remainder“ ist ebenfalls das Porträt eines Menschen, der sich mit Unsichtbarem auseinandersetzt; in seinem Fall den Fragmenten seiner Vergangenheit.

 

Dem Unsichtbaren eine Form geben

 

„Remainder“ ist nicht der erste Film über die Gedächtnislücken eines Amnesie-Opfers, aber es ist ein sehr eigenwilliger Film. Zwar läuft die Geschichte linear ab, aber sie enthält viele ambivalente, irritierende Elemente. Warum beschäftigt sich ihr Protagonist so obsessiv mit seiner Vergangenheit, wie ein Psychatrie-Patient in der Trauma-Therapie? Er könnte mit seiner Millionen-Entschädigung einfach ein neues Leben beginnen. Was motiviert ihn?

 

Er trägt sein Unbewusstes in die Öffentlichkeit, um dadurch seine Erinnerung wiederzugewinnen. Dabei versucht er, dem Unsichtbaren und Unausgesprochenen eine Visualisierung und Form zu geben. Das ist auch die Aufgabe eines Künstlers; insofern ist der Protagonist sein Statthalter. Seine Fantasie oder Selbsttherapie, wenn man so will, hat konkrete soziale Auswirkungen.

 

Daher ist der Schluss offen; die Geschichte explodiert oder implodiert quasi. Dem Zuschauer bleibt keine logische, sondern nur eine emotionale Gewissheit. Wie dem Protagonisten, der am Ende des Films im offenen Atrium eines Bürohauses steht, die Augen schließt und weiß, dass seine Eigentherapie abgeschlossen ist.

 

Invention of tradition findet sich überall

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Remainder" von Omer Fast

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Creating Realities – Begegnungen zwischen Kunst und Kino" mit dem Beitrag "Continuity" von Omer Fast in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier einen Bericht über das Festival "Kino der Kunst 2015" mit dem Beitrag "Everything That Rises Must Converge" von Omer Fast in München

 

und hier einen Beitrag über das Festival "Kino der Kunst 2013" mit dem Beitrag "5000 Feet is the Best" von Omer Fast in München.

 

Lange Zeit wirkt der Film wie eine Stilübung über die Unmöglichkeit, die Vergangenheit komplett zu rekonstruieren – egal, wie viel Aufwand der Protagonist treibt. In der letzten Viertelstunde kippt die Szenerie durch die sozialen Auswirkungen, die Sie beschreiben: Anstelle der Wiederherstellung einer Vergangenheit entsteht eine neue Wirklichkeit; etwa weil Verbrechen begangen werden, die es zuvor nicht gab. Historiker nennen das „invention of tradition“. Wie wichtig ist Ihnen dieser Aspekt?

 

Sehr wichtig: Der Protagonist muss seine eigene Vergangenheit re-inszenieren, um sich selbst zu therapieren. Dieses Prinzip findet man überall in der Geschichtsschreibung vor, wo kontrovers diskutiert wird. Schließlich kann der Held seine Vergangenheit nur deshalb rekonstruieren, weil er ihr zentraler Akteur ist und bleibt; das ganze Geschehen kreist um ihn. Dabei macht der Film deutlich, dass unsere Vorstellung der Vergangenheit stets in der Gegenwart spielt und von ihr bestimmt wird.

 

Steve McQueen ist kein Vorbild

 

Ihr Künstler-Kollege Steve McQueen dreht ebenso Kinofilme – mit konventionell-linearer Handlung, aber sehr erfolgreich: „12 Years a Slave“ wurde 2013 mit drei Oscars prämiert. Würde es sie reizen, auch solche Filme für ein größeres Publikum zu machen?

 

Das ist natürlich interessant, aber mit welcher Erzählung? Steve McQueen ist eher eine Ausnahme, an der ich mich nicht orientieren kann und will.