Cate Blanchett + Robert Redford

Der Moment der Wahrheit – Truth

Wenn die Maske fällt: Produzentin Mary Mapes (Cate Blanchett) + "60 Minutes"-Anchorman Dan Rather (Robert Redford) besprechen sich in seiner Garderobe. Foto: Universum Film GmbH
(Kinostart: 2.6.) Glanz und Elend der US-Medien: Die Affäre um einen TV-Moderator und seine Produzentin, die wegen gefälschter Dokumente gefeuert wurden, bläst Regisseur James Vanderbilt zum tendenziösen Polit-Melodram auf – als linksliberale Sowjetpropaganda.

Ein Gedankenspiel: Werner Höfer (1913-1997) war ein seriöser und geachteter Fernseh-Journalist der ersten Stunde. Jeden Sonntag moderierte er den „Internationalen Frühschoppen“, in dem eine Kollegen-Runde eifrig Weißwein trank, rauchte und die Weltlage besprach – 35 Jahre lang. 1987 wurde publik, dass er in einem Artikel 1943 ein hingerichtetes NS-Opfer abfällig verurteilt hatte. Höfer musste gehen; seine Sendung wurde durch den „Presseclub“ abgelöst.

 

Info

 

Der Moment der Wahrheit - Truth

 

Regie: James Vanderbilt,

125 Min., USA 2016;

mit: Cate Blanchett, Robert Redford, Dennis Quaid

 

Website zum Film

 

Nehmen wir an, Sie wären Filmproduzent: Würden Sie ein Drehbuch verfilmen wollen, das diesen Stoff Wortmeldung für Wortmeldung nachzeichnet, um penibel nachzuweisen, dass Höfer Unrecht geschah? Und wenn Sie diesen Film drehen würden: eher als TV- Dokumentation oder als opulenten Kinofilm, der weltweit vermarktet wird? Meinen Sie, dass ein solcher Film britische, französische oder gar US-Zuschauer interessieren könnte?

 

Vom Autor der Spider-Man-Filme

 

Die fünf Produzenten von „Der Moment der Wahrheit“ glauben das; einer von ihnen, James Vanderbilt, hat zugleich das Skript verfasst und führt erstmals Regie. Was ihn dafür qualifiziert, bleibt schleierhaft; seine bisherigen Großtaten waren Drehbücher für zwei Spider-Man-Filme und den 150-Millionen-Dollar-action flop „White House Down“ (2013).

Offizieller Filmtrailer


 

Sundance-Gründer als CBS-anchorman

 

In Vanderbilts Regie-Debüt übernehmen zwei so berühmte wie engagierte Superstars die Hauptrollen: Cate Blanchett spielt Mary Mapes, eine Produzentin des wöchentlichen CBS-Politmagazins „60 Minutes II“. Es wurde bis 2005 von anchorman Dan Rather moderiert. Ihn gibt Robert Redford, der linksliberale grand old man der US-Filmindustrie; mit dem Sundance Institute und Sundance Film Festival hat er das amerikanische Autorenkino geprägt wie kein zweiter.

 

Redford versteht es glänzend, zeithistorische Themen intelligent und spannend aufzubereiten; das demonstrierte er zuletzt 2012 mit „The Company You Keep – Die Akte Grant“ über US-Terroristen der 1970er Jahre. Doch diesmal heißt der Regisseur Vanderbilt – und der verfilmt den dickleibigen Tatsachenbericht der von CBS gefeuerten Mary Mapes. Darin schildert sie aus ihrer Sicht die „Rathergate“-Affäre von 2004.

 

Wehrdienst-Unterlagen aus dubioser Quelle

 

Am Ende der ersten Amtszeit von George W. Bush suchen US-Medien stories, die den Wahlkampf zwischen ihm und Gegenkandidat John Kerry beeinflussen können. Dass Bush seinen Wehrdienst als Kampfpilot der „Air National Guard“ in Texas ableistete, um einem Einsatz in Vietnam zu entgehen, war bekannt. Nun hat Mapes Dokumente aufgetan, die belegen sollen, dass Bush seinen Dienst ein Jahr lang schwänzte, bevor er 1973 vorzeitig entlassen wurde.

 

Allerdings sind die Unterlagen nur Kopien; ihr Besitzer, ein früherer Leutnant, gibt ihre Herkunft nicht preis. Trotzdem präsentiert Rather die Dokumente in seiner Sendung – ein Missgriff: Ihre Echtheit lässt sich nicht beweisen; zudem muss der Ex-Offizier einräumen, gelogen zu haben. Woraufhin CBS eine interne Untersuchung einleitet; der Kommissions-Bericht kostet Produzentin und Moderator ihre jobs.

 

Dokumente lenken vom US-Präsidenten ab

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Spotlight" - brillanter Medien-Thriller von Tom McCarthy, mit Oscar für den besten Film 2016 prämiert

 

und hier eine Rezension des Films "Die Augen des Engels" – intelligentes Skandalmedien-Psychodrama von Michael Winterbottom mit Daniel Brühl

 

und hier einen Bericht über den Film "The Company You Keep – Die Akte Grant" – vielschichtiger Polit-Thriller über US-Terroristen der 1970er Jahre von und mit Robert Redford

 

und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film "Fair Game" – Polit-Thriller über die illegale Enttarnung einer CIA-Agentin 2003 durch die Bush- Administration von Doug Liman mit Naomi Watts + Sean Penn.

 

Aus professioneller Sicht völlig verständlich: Beide haben einen schweren Fehler begangen. Sie verstießen gegen das journalistische Prinzip: „‚Als wahr gilt, wofür es zwei voneinander unabhängige Quellen gibt“ – die fehlten in diesem Fall. Dennoch suggeriert der Film mit ellenlangem Aufrollen von Recherche, öffentlicher Debatte und Kommissions-Nachspiel, die „60 Minutes“-Redaktion sei irgendwie moralisch befugt gewesen, US-Präsident Bush anzuschwärzen – schließlich habe er mit dem Irak-Krieg etc. genug Dreck am Stecken.

 

Diese bedenkliche Berufsauffassung wird als kleinteilige Faktenhuberei vorgetragen, die für US-Medien typisch ist; im Wirrwarr widersprüchlicher Tatsachenbehauptungen geht oft jeder Überblick verloren. So auch hier: Alle redeten darüber, ob die Dokumente gefälscht seien, doch niemand über die Pflichtvergessenheit des derzeitigen Staatschefs, klagt leidenschaftlich Cate Blanchett, die wie entfesselt aufspielt. Genau – aber wozu das zwei Stunden lang detailliert ausbreiten oder ansehen?

 

Glorifizierung mit klebrigem Pathos

 

Lohnendere Fragen wären: Wie aussagekräftig sind joints im Studium, blow jobs von Praktikantinnen oder eben Blaumachen beim Militär für die Kompetenz des mächtigsten Mannes der Welt? Und was ist von einer Presse zu halten, die sich mit solchem chicken shit abgibt, anstatt politische Leitlinien, nationale Interessen und Programme für die Zukunft zu diskutieren – weil sie ihrem Publikum systematisch abgewöhnt hat, sich mit komplexen Themen zu beschäftigen?

 

Das Elend einer zugleich hypertrophen und inhaltlich ausgemergelten Medienlandschaft schildert Regisseur Vanderbilt in leuchtenden Farben. Am Ende versteigt er sich mit Zeitlupen und dröhnendem score zu einer Apotheose seines Helden-Duos voller klebrigem Pathos. Auch wenn in rechtslastigen und evangelikalen US-Medien solche billigen Glorifizierungs-Tricks üblich sind – sie für vermeintliche Aufklärung zu bemühen, zeugt von kreativem Bankrott. Als seltenes Beispiel für linksliberale Sowjetpropaganda.