Wham, bam, thank you ma’am! Cüneyt Arkın konnte so hart zuschlagen wie Chuck Norris oder Arnold Schwarzenegger, aber er war weitaus erfolgreicher als die beiden US-action stars. Zumindest, was die Leinwandpräsenz angeht: Arkın hat in mehreren Hundert Filmen mitgewirkt – ohne Doubles oder stuntmen. „Würde man die Rollen aller meiner Filme aneinander heften, könnte man sie zwei Mal um den Erdball wickeln“, behauptet er lächelnd.
Info
Remake, Remix, Rip-Off - Kopierkultur und das türkische Pop-Kino
Regie: Cem Kaya,
96 Min., Deutschland 2015;
mit: Cüneyt Arkın, Çetin İnanç, Metin Erksan
Blockbuster-remakes für Anatolien
Das Erfolgsrezept war einfach: Internationale blockbuster liefen, da importierte Verleih-Kopien teuer waren, nur in wenigen Großstadtkinos. Millionen von Anatoliern wollten aber auch spannende Filme sehen. Also drehten die Yeşilçam-Firmen mit einfachsten Mitteln remakes ausländischer Kassenschlager: Von „Tarzan“ und „Dracula“ über „Der Exorzist“ und „E.T.“ bis zu „Superman“, „Rambo“ und „Star Wars“ wurde einfach alles turkifiziert.
Offizieller Filmtrailer, OmU
Trash look alla turca
Dazu kamen herzzerreißende Melodramen und kitschige musicals nach orientalischem Geschmack. Sie wurden zum preiswerten Massenvergnügen: Kinos mit mehreren tausend Plätzen waren ständig ausverkauft. Auf dem Land gab es Freiluftvorführungen, bei denen Familien picknickten. Die Zuschauer störten sich nicht daran, dass diese B-Pictures alle ähnlichen Strickmustern folgten und special effects offensichtlich handgemacht waren. Im Gegenteil: Ihr billiger trash look verlieh den hastig heruntergekurbelten Streifen eigenen Charme alla turca.
Ihre Macher schufteten oft für mehrere Filme gleichzeitig. Cem Kaya hat mehr als fünfzig ergraute Herren und Damen im Ruhestand interviewt; sie erzählen ihm 1001 atemberaubende Anekdoten. Stets fehlte es an Zeit und Geld; also mussten sie erfinderisch sein.
Kamerafahrten mit Seife auf Schienen
Unbelichteter Negativfilm war Mangelware, so dass Fotofilm aneinander geklebt wurde. Da es keine Dolly-Kamerawagen gab, nagelte man Seifenstücke unter einen Tisch, goss Wasser in Schienen und ließ darin den Kamera-Tisch hin und her gleiten. Wurde buntes Licht gebraucht, hängte man gefärbte Gelatine vor die Scheinwerfer. Schauspielerinnen mussten ihre Kleider selbst umnähen, um sie im nächsten Film wieder zu tragen.
Das recycling-Prinzip herrschte auch bei Ton und Bild, denn es gab schlicht kein copyright. Ein Filmkomponist breitet stolz seine Plattensammlung aus: Hunderte LPs voller westlicher Filmmusik, mit denen er Yeşilçam-Produktionen unterlegte. Melodien von Ennio Morricone oder Lalo Schifrin habe er dutzendfach eingesetzt, berichtet er; für Liebesszenen nahm er „Emmanuelle“ (1974), für Komisches das „Pink Panther Theme“ (1963). Nur mit dem SciFi-Klassiker „Blade Runner“ (1982) von Ridley Scott konnte er wenig anfangen: „Die Musik taugt nichts.“
Von Hand gekratzte Laserstrahlen
Ähnlich kreativ wurden fertige Filme weiter verwertet. Auto-Verfolgungsjagden konnte er sich nicht leisten, betont der Regisseur Çetin İnanç: Er schnitt sie aus fremden Filmen heraus und fügte sie in eigene ein. Manchmal rasen erkennbar Spielzeugautos gegen Mauern oder gehen nach einem crash in Flammen auf.
Optische Effekte wie Laserstrahlen wurden per Hand auf jedes Filmnegativ gekratzt. Auf diese Weise schuf İnanç 1982 die ultimative türkische space opera: „Der Mann, der die Welt rettet“ – als patchwork aus Aufnahmen von „Star Wars“ (1977) und 15 weiteren Filmen. Den Astronauten-Helm des Helden hatte das Filmteam von einem Motorradfahrer ausgeliehen.
Der weiße Hai im Zombie-Film
Dieses hemmungslose sampling aller möglichen Quellen brachte paradoxerweise ein neues genre hervor. Da laufen Superhelden mit Erkennungszeichen von Superman, Batman und Captain America zugleich herum, oder in einem Zombie-Film tauchen überraschend Außerirdische und der weiße Hai auf. Ein wilder Mix aus Populärmythen, der auf Plausibilität pfiff; ähnlich heutigen überdrehten mash-ups.
All das bebildert Dokumentarist Cem Kaya kongenial, indem er zahllose Mosaiksteine aneinander fügt: O-Töne seiner Gesprächspartner schneidet er mit kurzen Original-Filmschnipseln gegen, die das Gesagte veranschaulichen – auch für diejenigen, die noch nie einen Yeşilçam-Film gesehen haben. Souverän gibt er seinem Material Dramaturgie, Rhythmus und Spannungsbögen – alles, was eine fesselnde Historien-Saga braucht.
Spätblüte mit hardcore-Pornos
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Memories on Stone" - raffinierter Meta-Film über die Unmöglichkeit des Filmemachens in Kurdistan von Shawkat Amin Korki
und hier einen Bericht über den Film "Chuck Norris und der Kommunismus" - Doku über die illegale Video-Szene im Rumänien der 1980er Jahre von Ilinca Calugareanu
und hier einen Beitrag über das Filmfestival "Doku.Arts 2013" mit Second-Hand-Movies aus Archivmaterial im Zeughauskino, Berlin.
Mit dem Aufkommen von VHS-Videorekordern erlebte Yeşilçam eine Spätblüte, doch die Produktionen fielen immer schäbiger aus. Sogar unfassbar erbärmliche hardcore-Pornos wurden öffentlich gezeigt – man reibt sich die Augen. Dagegen war die politische Zensur noch strenger und willkürlicher als heutzutage unter dem Regime Erdoğan.
Bis die Wirtschaftsliberalisierung der späten 1980er Jahre den Markt für Hollywood-Ware öffnete und damit das heimische mainstream-Kino ruinierte. Zwar wird in Istanbul weiterhin massenhaft mit bescheidenen Mitteln gedreht, aber vorwiegend für TV-Serien.
Augenfutter für drei Millionen Mitbürger
Seine treueste Fangemeinde hatte Yeşilçam unter den Auslandstürken, auch hierzulande: Sie wurden vor dem Siegeszug von Kabel- und Satelliten-Fernsehen von etlichen Videotheken mit Filmen in ihrer Muttersprache versorgt. So lernte auch der in Berlin lebende Cem Kaya diese schillernde Welt kennen und lieben. Wer wissen will, mit welchem Augenfutter drei Millionen Mitbürger türkischer Abstammung groß geworden sind, muss „Remake, Remix, Rip-Off“ ansehen – noch erstaunlicher und amüsanter als Cüneyt Arkın in „Der Mann, der die Welt rettet“.