Was ist das bloß für eine Komödie, bei der einem dauernd ein Kloß im Hals sitzt? Vom Kino-Debüt eines Bühnen-Komikers würde man nicht erwarten, dass Angst, Verlust, Tod, Schmerz und natürlich auch Humor so eng beieinander liegen – hierzulande sowieso nicht, wo das comedy-Genre noch jung ist und von Hallodris beherrscht wird.
Info
Nur wir drei gemeinsam
Regie: Kheiron,
102 Min., 2015;
mit: Kheiron, Leïla Bekhti, Gérard Darmon
Sohn spielt Vater
In seinen erfolgreichen stand-up-Programmen hat er seine Familienverhältnisse nach eigenen Worten immer ausgelassen; das Thema schien ihm zu komplex. Als ihm vorgeschlagen wurde, einen Film zu drehen, wurde ihm jedoch bewusst, dass dieses Medium ihm erlauben würde, die Migrations-Geschichte seiner Eltern zu erzählen. Die Rolle seines Vaters Hibat übernahm Kheiron selbst.
Offizieller Filmtrailer
Sieben Jahre Haft unter dem Schah
Sein Film beginnt in Teheran unter dem Schah-Regime und stellt seine Großeltern, Vater Hibat und dessen zahlreiche Brüder vor. Ohne Scheu vor verklärten Erinnerungen: Die Bilder entsprechen keinen realen Ereignissen, sondern ihrer Vorstellung im Rückblick – kollektiv weiter erzählt und in der Fantasie eines Kindes weiter entwickelt. Dafür verwendet Kheiron, wie der US-Regisseur Wes Anderson, gern symmetrische tableaus im Wechsel mit prägnanten Anekdoten aus der Familien-Mythologie.
Hibat studiert und agitiert gegen den Schah, bis er mit seinem Bruder Aziz und einigen Freunden im Gefängnis landet. Hier wechselt das Genre der Erzählung zum Knastfilm: Viel zu lachen gibt es eigentlich nicht, aber es kommt dennoch immer wieder vor – dank Aziz‘ Kleptomanie und der Eitelkeit des Schahs. In sieben Jahren Haft trifft Hibat auch auf religiöse hardliner, deren im Gefängnis wachsende Bärte das nächste Regime ankündigen.
Mit vollen Hosen Leben retten
Das erweist sich nach Hibats Freilassung als noch repressiver; der angehende Jurist engagiert sich abermals im Widerstand. Dabei trifft er auf seine künftige Ehefrau Fereshteh: Die Krankenschwester wird mit unendlicher Sanftheit und Willensstärke von Leïla Bekhti verkörpert. Ihre liberale Eltern willigen in eine Ehe mit dem Unruhestifter ein; er setzt seine politische Tätigkeit fort. Als die ersten Bekannten verschwinden oder sterben, wird es ihm im Iran zu gefährtlich; Hibat will ins Ausland.
Fereshteh, die eben ihren gemeinsamen Sohn zur Welt gebracht hat, entscheidet: Wenn schon Flucht ins Exil, dann „nur wir drei gemeinsam“. Genüsslich inszeniert der Regisseur die im Familienkreis wohl 1000 Mal erzählte Anekdote, wie der kleine Nouchi/ Kheiron das Leben der Eltern rettet, indem er bei einer Kontrolle rechtzeitig in die Hosen macht und dadurch verhindert, dass belastende Dokumente entdeckt werden.
Banlieue als Asterix-Dorf voller Spinner
Erneut sind Tragik und Komik nur eine Einstellung voneinander entfernt: Hibat und Fereshteh überqueren getrennt voneinander die iranisch-türkische Grenze. Als sich die Eheleute auf der türkischen Seite begegnen, blickt die Kamera in einer Totale auf sein Heimatland, das der Vater niemals wiedersehen wird – und schwenkt auf die O-Beine, die beide Eltern nach drei Tagen Reiten bekommen haben.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Dämonen und Wunder – Dheepan" – brillanter Sozial-Thriller über Tamilen-Immigranten in Frankreich von Jacques Audiard, prämiert mit Goldener Palme 2015
und hier eine Besprechung des Films "Wüstentänzer – Afshins verbotener Traum von Freiheit" – eindringliches Drama über Choreografen-Flucht aus dem Iran von Richard Raymond mit Freida Pinto
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und hier einen kultiversum-Bericht über den Film "Ein Prophet" – präzises Häftlings-Drama von Jacques Audiard mit Leïla Bekhti.
Den Schah mit Katze verwechseln
Im Sozialwohnungs-Viertel genießt Vater Hibat wegen seiner Knast-Erfahrung einigen Respekt unter den maghrebinischen rowdies: Die halbstarken Tunichtgute denken zwar, er hätte eine Katze abgemurkst – ein Wortspiel mit „Schah“ und „chat“ (frz.: Katze) – aber als Sozialarbeiter Hibat ihr Kulturzentrum auf Vordermann bringt, hören sie auf ihn. So beleuchtet der Film auch Solidarität und kulturelle Missverständnisse im gegenwärtigen Frankreich.
Im Abspann wendet Regisseur Kheiron noch einen genialen Kunstgriff an, indem er sein umwerfend liebevoll gezeichnetes Familienporträt abgleicht mit den wenigen visuellen Zeugnissen, die es gibt: Fotos aus dem Familienalbum. Da sind bei Festen alle noch Lebenden und bereits Verstorbenen versammelt – so läuft der Film im Kopf quasi noch einmal rückwärts ab.
Ein Film für Oliver Polak
Hand aufs pochende Herz: Das ist großes Kino – vielleicht das beste Leinwand-Debüt, das einem stand-up comedian als Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion bisher gelungen ist. Hoffentlich sieht sein deutsch-russisch-jüdischer Kollege Oliver Polak diesen Film.