Augsburg

Aufruhr in Augsburg: Deutsche Malerei der 1960er bis 1980er Jahre

Martin Kippenberger (1953-1997): Alle wollten sie haben, doch keiner hat sie genommen (6-tlg.; Detail), 1983, je 60 x 50 cm, © Estate of Martin Kippenberger Galerie Gisela Capitain, Cologne. Fotoquelle: Pinakothek der Moderne
Nichts wirkt veralteter als die Kunst-Revolution von gestern: Der Glaspalast zeigt deutsche Neo-Expressionisten und "Neue Wilde" der 1960er bis 1980er Jahre, die ihren Biss meist verloren haben. Eine Etage höher geht es jedoch aufregend wild zu.

Aufruhr im Glaspalast? Da fällt einem sofort das Glashaus ein, in dem man nicht mit Steinen werfen soll. Doch die Gefahr, dass hier etwas zu Bruch geht, scheint recht gering. Nicht nur, weil man im 1500 Quadratmeter großen Ausstellungssaal ziemlich weit werfen müsste, um die gläsernen Außenwände der früheren Baumwollspinnerei zu treffen. Sondern auch, weil die präsentierten Werke gut abgehangen wirken; ihr aufrührerischer Impuls hat sich erschöpft.

 

Info

 

Aufruhr in Augsburg: Deutsche Malerei der 1960er bis 1980er Jahre

 

02.07.2015 - 31.12.2019

täglich außer montags

10 bis 17 Uhr

in der Staatsgalerie Moderne Kunst, Beim Glaspalast 1, Augsburg

 

Weitere Informationen

 

Zu sehen sind rund 40 meist großformatige Gemälde und ein paar Skulpturen aus der Kollektion der Pinakothek der Moderne in München. Abgesehen von zehn Arbeiten handelt es sich um Dauerleihgaben der „Michael und Eleonore Stoffel-Stiftung“ an die Bayerischen Staatsgemälde-Sammlungen. Die Schau bietet also keinen repräsentativen Überblick über deutsche Malerei aus drei Jahrzehnten, sondern zu drei Vierteln einen Querschnitt durch die Erwerbungen des Kölner Sammler-Ehepaars in den 1970er bis 1990er Jahren.

 

Zur Hälfte von Lüpertz + Penck

 

Das erklärt die rheinische Schlagseite der Auswahl: Fast die Hälfte aller Exponate stammt vom Neo-Expressionisten Markus Lüpertz, langjähriger Rektor der Kunstakademie in Düsseldorf, und dem Neo-Archaiker A.R. Penck, der von Lüpertz an seine Hochschule als Dozent berufen wurde. Von der folgenden Künstler-Generation sind Walter Dahn und Jiří Georg Dokoupil aus dem Kölner Künstler-Kollektiv der „Mühlheimer Freiheit“ fünf Mal vertreten; häufiger als alle anderen Maler der „Neuen Wilden“.

 

Kopf in der Hand leert Flasche

 

Nun sind Privatsammlungen stets Ausdruck persönlichen Geschmacks. Zudem könnte sich lohnen, mit dem Furor ehemaliger „genialer Dilletanten“ die geruhsame Hauptstadt des bayerischen Schwaben aufzumischen. Wenn diese Bilder noch solchen Furor ausstrahlen würden – doch sie reihen sich so brav aneinander wie in einer ehrwürdigen Altmeister-Abteilung. Dass sie einmal irgendjemanden aufgeregt haben, erscheint unbegreiflich.

 

Etwa die simplen Motive, die Dahn und Dokoupil Anfang der 1980er Jahre oft gemeinsam auf die Leinwand schleuderten: Was damals den betulichen Kunstbetrieb provoziert haben mag, wirkt heute nur noch fahrig und beliebig. Außer beim „Trinker“ (1982), der seinen Kopf in der Hand hält, während er gierig eine Magnum-Flasche leert: Da beweist Dahn intime Kenntnis des Sujets.

 

Berliner Mauer als Arena-Schauplatz

 

Ebenso schnell, aber wesentlich prägnanter malten die „Moritzplatz-Boys“ Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer, die in Berlin von 1977 bis 1981 eine Künstlergalerie betrieben. Zimmers „Totenschädel“ (1977) ist ein wuchtiges memento mori; Salomés „Sumo-Angriff“ von 1982 – das spiegelbildliche Doppelporträt zweier dickleibiger Ringer, die einander belauern – lässt sich als Allegorie der einstigen Block-Konfrontation deuten.

 

Ein ähnlich einprägsames Sinnbild gelang Salomés Lehrer K.H. Hödicke mit „Mauer (Arena)“ von 1983: Da starren drei Mischwesen aus Mensch und Hund über die Berliner Mauer, als beobachteten sie Gladiatorenkämpfe oder auch Varieté-Darbietungen. Während Hödicke die politische Lage auf eine denkbar knappe Bildformel brachte, strotzte die monumentale Neo-Historienmalerei von Jörg Immendorff vor Details: Sein „Café Deutschland VII“ (1980) beschwört die Ikonographie der alten Bundesrepublik wie der DDR herauf.

 

Abgestandene Anspielungen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die 80er – Figurative Malerei in der BRD" über die „Neuen Wilden“ im Städel Museum, Frankfurt/ Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Geniale Dilletanten: Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland" in München + Hamburg

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Martin Kippenberger: sehr gut | very good" – große Retrospektive im Hamburger Bahnhof, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "K. H. Hödicke – Malerei, Skulptur, Film" – umfangreiche Werkschau in der Berlinischen Galerie, Berlin.

 

Dagegen erledigte sich der kopfüber abstürzende „Adler“ (1978) von Georg Baselitz durch Inflationierung: Dieser x-fach wiederholte Affront gegen das Nationalsymbol hat sich längst totgelaufen. Auch die Wimmelbilder von A.R. Penck mit ihrer überbordenden Fülle von Strichmännchen und kryptischen Zeichen machen ratlos: Wer will noch dieses Tohuwabohu verblichener Anspielungen entschlüsseln?

 

Ähnlich abgestanden kommen die Werke von Markus Lüpertz aus seiner abstrakten „Stil-Malerei“-Phase von 1977 bis 1984 daher, etwa die neunteilige Serie „Bewohner“ (1983). Mehr oder weniger figurative Gebilde mit blumigen Bildtiteln mögen Kunsthistorikern reiches Material zum Dechiffrieren und Interpretieren bieten; dem heutigen Betrachter sagen sie kaum etwas.

 

Quietschbunter Sinneskitzel

 

So erweist sich die Ankündigung von „Aufruhr in Augsburg“ als arg vollmundig: Nichts ist veralteter als die Kunst-Revolution von gestern. Wer aufregenden Sinneskitzel sucht, sollte im Glaspalast eine Etage höher steigen. Im ersten Stock stellt Ignaz Walter, Baulöwe im Ruhestand, seine eigene Sammlung von Kunst seit 1945 aus: mehr als 1000 Bilder und Skulpturen auf engstem Raum.

 

In diesem vollgestopften Sammelsurium findet sich alles: Großkünstler und Kleinmeister, Riesenformate und Miniaturen, Abstraktes und Figuratives, spröde Konzeptkunst und süßlicher Kitsch. Als besonderes Bonbon eine Galerie der Bildnisse von Gisela Franz-Osterwald (1916-2012): Sie eiferte Salvador Dalì und Oskar Kokoschka nach, indem sie zahllose Promis quietschbunt in Öl porträtierte – meist nach Foto-Vorlagen. Da reibt man sich entgeistert die Augen.