Mika Kaurismäki

The Girl King

Die Königin und ihr Hof-Rationalist: Kristina Wasa (Malin Buska) hat den Philosophen René Descartes (Patrick Bauchau) nach Stockholm geholt. Foto: © 2016 NFP marketing & distribution*
(Kinostart: 21.7.) Ein Riot Girl auf Schwedens Thron: Aus dem turbulenten Leben der ledigen und bisexuellen Barock-Königin Kristina macht Regisseur Mika Kaurismäki einen süffigen Mantel- und Degen-Film voller saftiger Details – Yellow Press fürs Kino.

Alle kennen die englische Königin Elisabeth I. (1533-1603), aber nur wenige die schwedische Monarchin Kristina Wasa (1626-1689); jedenfalls außerhalb von Schweden. Obwohl sie während ihrer Herrschaft, die nur zehn Jahre währte, ähnlich mächtig und eigensinnig war wie ihre berühmte Vorgängerin – und ebenso ledig und kinderlos blieb.

 

Info

 

The Girl King

 

Regie: Mika Kaurismäki,

105 Min., Finnland/ Schweden/ Kanada 2015;

mit: Malin Buska, Sarah Gardon, Michael Nyqvist

 

Website zum Film

 

Im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 zählt Schweden zu den europäischen Großmächten, die um deutsche Lande kämpfen und sie verheeren. In der Schlacht von Lützen stirbt 1632 König Gustav II. Adolf, die Galionsfigur der Protestanten. Thronfolgerin ist seine fünfjährige Tochter Kristina, für die Reichskanzler Axel von Oxenstierna die Regierungsgeschäfte ausübt. Er lässt sie wie einen Prinzen erziehen: mit Reiten, Jagen, Fechten und der Lektüre klassischer Autoren.

 

Kultur-Import im großen Stil

 

Mit 18 Jahren übernimmt Kristina die Regentschaft und verkündet radikale Neuerungen: Durch mehr Schulen und Kunst-Import im großen Stil soll Schweden Anschluss an die zivilisierte Lebensart von Süd- und Mitteleuropa finden. In ihrer glanzvollen Hofhaltung geht sie mit kostspieligem Beispiel voran. Außerdem will sie den großen Religionskrieg beenden: Die Königin dringt auf Verhandlungen, die im Westfälischen Frieden von 1648 münden.

Offizieller Filmtrailer


 

Unter dem Petersdom beerdigt

 

Das erfreut die Fraktion der protestantischen hardliner in Stockholm ebenso wenig wie Kristinas Privatleben: Sie weigert sich beharrlich, zu heiraten, um mit Nachkommen die Wasa-Dynastie zu sichern. Stattdessen adoptiert sie 1654 ihren etwa gleichartigen Vetter Karl Gustav als Sohn und dankt anschließend ab, wodurch die Krone ihrem cousin zufällt.

 

Danach wandert die Ex-Königin aus und tritt 1655 in Innsbruck zum Katholizismus über; der Papst bietet ihr im Kirchenstaat ein komfortables Asyl. In Rom widmet sich Kristina musischen Interessen und fördert als Mäzenin großzügig Künstler und Dichter. So veranlasst sie die Gründung der Accademia dell’Arcadia, die unter anderem Namen bis heute besteht. Nach ihrem Tod wird sie in den vatikanischen Grotten unterhalb des Petersdoms beigesetzt.

 

Kind vom Vater-Leichnam entführt

 

Diese protofeministische success story weiblicher Selbstbestimmung auf dem Thron wurde bereits drei Mal verfilmt, erstmals 1933 mit Greta Garbo. Nun hat sich Mika Kaurismäki des Stoffes angenommen. Anders als sein jüngerer Bruder Aki, der mit lakonischer Langsamkeit zum Aushängeschild des finnischen Autorenkinos wurde, blickt Mika auf ein schillerndes Werk zurück: Er hat in bunter Folge Komödien, Dokumentar- und Musikfilme gedreht, vor allem über seine zeitweilige Wahlheimat Brasilien.

 

Aus dem bewegten Leben von Königin Kristina bis zur Abdankung macht Mika Kaurismäki einen süffigen Reißer: Alle Facetten ihrer Persönlichkeit spitzt der Regisseur zu mehr oder weniger konstruierten Schlüsselszenen zu, gespickt mit saftigen Details. Schon in der Eingangsszene: Kanzler Oxenstierna (Michael Nyquist) entführt mit Soldaten das Kind vom aufgebahrten Leichnam seines Vaters, den ihre halb verrückte Mutter Maria Eleonora von Brandenburg (Martina Gedeck) unablässig betrauert.

 

Lesbische Liebesszenen lustvoll auskosten

 

Im Kolportage-Stil geht es weiter: Malin Buska fegt als Kristina wie ein riot girl durch die Szenen, macht adlige Granden zur Schnecke und setzt stets ihren Lockenkopf durch. Beschützt vom Reichskanzler Oxenstierna (Michael Nyquist), der wie ein altersmilder Opa dem Wildfang alles nachsieht: sogar ihre Affäre mit Komtess Ebba Sparre (Sarah Gadon). Dass die wohl bisexuelle Königin ein Auge auf ihre Hofdame geworfen hatte, ist bekannt; doch die leidenschaftlichen Liebesszenen, die Regisseur Kaurismäki lustvoll auskostet, sind frei erfunden.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Königin und der Leibarzt" – packendes Historien-Drama über den dänischen Königshof von Nikolaj Arcel, prämiert mit Silbernem Bären 2012

 

und hier eine Besprechung des Films "Mary – Königin von Schottland" – exzellent inszenierter Historienfilm über Maria Stuart von Thomas Imbach

 

und hier einen Beitag über die Ausstellung "Krieg – eine archäologische Spurensuche" über die Kulturgeschichtes des Krieges + die Schlacht von Lützen 1632 im Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle/ Saale

 

und hier einen Bericht über den Film "Leb wohl, meine Königin!" – Historiendrama über Marie Antoinette, Frankreichs letzte Monarchin vor 1789, von Benoît Jacquot.

 

Wie auch das schlimme Ende des Philosophen René Descartes (1596-1650): Kristina bewunderte den Begründer des neuzeitlichen Rationalismus, korrespondierte lange mit ihm und lockte ihn 1649 nach Stockholm. Dort sei er von katholischen Diplomaten vergiftet worden, weil er ihren Interessen im Weg stand, suggeriert der Film – was reine Spekulation ist. Vermutlich starb Descartes an einer Lungenentzündung.

 

Prager Kunstraub als Lausbubenstreich

 

Über solche Geschichtsklitterung von Einzelheiten könnte man hinwegsehen, wäre die Inszenierung insgesamt stimmig. Doch mit rasch wechselnden Erzählsträngen, Szenen und Dialogen in heutigem Jargon kann Kaurismäki die Atmosphäre des Barock-Zeitalters nicht veranschaulichen: Seine Akteure treten wie leidlich begabte Wanderbühnen-Mimen auf, die Absolutismus spielen.

 

Pomp and circumstances, das Gravitätische der Epoche und Vermessene von Kristinas Versuch, Schweden unter die führenden Kulturnationen des Kontinents zu katapultieren, kommen nie zur Geltung. Selbst der berüchtigte Prager Kunstraub von 1648, als ihre Truppen kurz vor Ende des Dreißigjährigen Kriegs die kaiserliche Kollektion plünderten, erscheint wie der Lausbubenstreich eines Backfischs, der die Plattensammlung seines großen Bruders mopst.

 

Gender-Mainstreaming-Biopic

 

So wird „The Girl King“ zur aktuellen Variante von Mantel- und Degen-Filmen der 1950/60er Jahre; sie verströmen trotz prächtiger Kulissen und Kostüme immer den Geist ihrer Entstehungszeit. Der ist heute auf gender mainstreaming und equal rights of queer people gepolt; dafür darf auch eine Monarchin des 17. Jahrhunderts herhalten. Dennoch lohnt sich, dieses yellow press biopic anzusehen: Ihr turbulenter Lebenslauf und ihre bedeutende historische Rolle sind der Erinnerung wert.