Ewan McGregor

Verräter wie wir

Perry (Ewan McGregor, l.) und seine Frau Gail (Naomie Harris) werden vom britischen Agenten Hector (Damian Lewis, r.) verhört. Foto: Studiocanal
(Kinostart: 7.7.) Britischer Zaungast bei der russischen Mafia: Wie diese Parallelgesellschaft brutal für Kadavergehorsam sorgt, seziert der Geheimdienst-Thriller von John Le Carré – ihn verfilmt Regisseurin Susanna White mit dem Aufwand großer Kino-Epen.

Im Zeitalter der patchwork-Existenzen hat sich auch das Persönlichkeitsprofil der Spione verändert – zumindest in den Geheimdienst-Romanen von bestseller-Autor John Le Carré. Früher zeigten seine Akteure fast schon mönchische Hingabe an ihre Sache: Sie mochten einsame Wölfe voller Schwächen und Makel sein, doch für ihre Mission opferten sie Privatleben, Angehörige und Freundschaften.

 

Info

 

Verräter wie wir

 

Regie: Susanna White

107 Min., Großbritannien 2015;

mit: Ewan McGregor, Stellan Skarsgård, Damian Lewis

 

Website zum Film

 

Heute sind Agenten entweder aalglatte Manager-Typen wie in „A Most Wanted Man“ (2008, verfilmt 2013) oder ambivalente Querköpfe zwischen Auflehnung, Rauswurf und Wiedereinstieg wie Hector Meredith (Damian Lewis) in „Verräter wie wir“. Oder Amateure, die sich um des Nervenkitzels willen auf ein gefährliches Spiel zwischen den Fronten einlassen – wie der Literaturprofessor Perry (Ewan McGregor).

 

Mit USB-Stick Asyl beantragen

 

Mit seiner Frau Gail (Naomie Harris), einer erfolgreichen Anwältin, verbringt er in Marrakesch einen Urlaub, der ihre angeknackste Ehe retten soll. Zufällig gerät er ins Visier des russischen Top-Mafioso Dima (Stellan Skarsgård), der ihn erst anfüttert und ihm dann einen heiklen Auftrag anvertraut: Bei seiner Rückkehr nach London soll Perry einen USB-Stick mit brisanten Daten dem britischen Geheimdienst MI6 übergeben. Damit will Dima sich und seiner Familie Asyl in Großbritannien erkaufen, um aus der Unterwelt aussteigen zu können.

Offizieller Filmtrailer


 

Russen-Mafia infiltriert Londoner Finanzwelt

 

Bislang hat er für einen mächtigen Clan Schwarzgeld gewaschen. Nun will ihn der neue Clan-Boss ausschalten: Dima soll ihm alle Konten überschreiben, für die er zeichnungsberechtigt ist – danach wäre er zum Abschuss freigegeben. Pikanterweise hat dieser Mafia-Clan die Londoner Finanzwelt infiltriert, indem er hohe Beamte und Abgeordnete bestach, um eine lukrative Bank-Lizenz zu erhalten. Das belegen die Daten auf dem USB-Stick; mit ihnen könnte Hector Meredith einen spektakulären Skandal aufdecken.

 

Dazu motiviert den MI6-Mann eine Mischung aus patriotischen und privaten Motiven: Sein eigener Sohn sitzt wegen Drogendelikten im Gefängnis, wofür er einen skrupellosen Parlamentarier verantwortlich macht. Da sein opportunistischer Vorgesetzter von all dem nichts wissen will, agiert Hector auf eigene Faust – jenseits der Legalität und unter hohem Zeitdruck: Gelingt es ihm nicht, den vogelfreien Dima nach London zu bringen, bleibt die top level-Korruption ungeahndet.

 

Braver Akademiker mit Killerinstinkt

 

In dieser Intrige spielen Perry und Gail die Rollen staunender Zaungäste. Dass der russische Geldwäscher nur seinen Urlaubs-Bekannten vertraut und sie stets an seiner Seite wissen will, wirkt ebenso weit hergeholt wie ihre Risikobereitschaft: Bald wird klar, dass alle Personen um Dima in Todesgefahr schweben. Wie der brave, leicht frustrierte Akademiker Perry plötzlich seinen Killerinstinkt entdeckt, überrascht noch mehr als der Zynismus britischer Politiker – der Film entstand vor dem Brexit.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "A Most Wanted Man" – Verfilmung des Geheimdienst-Thrillers von John Le Carré durch Anton Corbijn mit Philip Seymour Hoffman

 

und hier eine Besprechung des Films "Dame, König, As, Spion" – brillante Verfilmung des Bestsellers von John Le Carré durch Tomas Alfredson mit Colin Firth

 

und hier einen Beitrag über den Film "Leviathan" – fesselnde Tragödie über Rechtlosigkeit in Russland unter Putin von Andrej Swjaginzew.

 

Doch für seinen Wagemut wird Perry mit Einblicken in ein Parallel-Universum belohnt: das der russischen Mafia. Ihre Regeln und Rituale, ihren Kadavergehorsam und Sadismus hat wohl kein westlicher Film seit „Tödliche Versprechen – Eastern Promises“ (2007) von David Cronenberg so präzise seziert wie dieser. Keiner, der dieser geschlossenen Gesellschaft angehört, entkommt ihr.

 

Flucht aus Russland oder hinein

 

Russlands Kriminelle haben ihren ausländischen Kollegen die Erfahrung des Stalinismus voraus: Sie wissen, wie ein Gulag-System funktioniert. Selbst hochrangige Mitglieder wie Dima müssen irrwitzigen Aufwand treiben, um unbeobachtet von Spitzeln und Häschern kurz jemanden treffen zu können. Das demonstriert Regisseurin Susanna White mit einer ähnlich aufwändigen Inszenierung an 50 verschiedenen Drehorten in sechs Ländern.

 

Auch wenn manche Schauplatz-Wechsel etwas abrupt und unmotiviert erscheinen: Sie verleihen dieser Hetzjagd über den halben Kontinent den drive und glamour großer Mafia-Kinoepen der 1970/80er Jahre. Samt einer idealistischen Auflösung, die plausibler ist, als es zunächst scheint: Manche geben ihr bisheriges Leben auf, um aus Russland heraus, andere, um hinein zu fliehen – wie Edward Snowden.