(Kinostart: 28.7.) Wie ein Schwarzer den Nazis ihre Propaganda-Schau vermasselte: Der US-Athlet Jesse Owens gewann bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin vier Mal Gold. Regisseur Stephen Hopkins zeigt, wie Spitzensport zum politischen Kräftemessen wurde.
Heutzutage werden Sportler wegen doping von den Olympischen Spielen ausgeschlossen, aber nicht wegen ihrer Hautfarbe oder Religion. Vor 80 Jahren war das anders: Bei den Spielen 1936 in Berlin wollten die Nazis weder Farbige noch Juden an den Wettkämpfen teilnehmen lassen.
Zeit für Legenden – Race
Regie: Stephen Hopkins,
118 Min., Kanada/ Deutschland 2016;
mit: Stephan James, Jason Sudeikis, Jeremy Irons, William Hurt
Der US-Leichtathlet, gespielt von Stephan James, war Anfang der 1930er Jahre der schnellste Mann der Welt. Bei highschool– und college-Wettkämpfen stellte er mehrere Weltrekorde auf – dank der Unterstützung seines weißen Trainers Larry Snyder (Jason Sudeikis): Der frühere Weltklasse-Läufer setzte gegen rassistische Vorurteile durch, dass Owens Talent gefördert wurde und er bei wichtigen Rennen starten konnte.
Die Anfänge seiner Sportkarriere handelt Regisseur Stephen Hopkins recht summarisch ab. Er zeigt jedoch deutlich den damaligen Alltags-Rassismus: Wenn Owens Sprint- und Weitsprung-Wettbewerbe gewinnt, wird er vom Publikum im Stadion gefeiert – vor- und nachher aber von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert.
Ausführlich behandelt Regisseur Hopkins dagegen die inneramerikanische Debatte im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936, ob US-Sportler in Berlin antreten sollten. Schwarze Bürgerrechts-Aktivisten bedrängten Owens, er solle die Spiele aus Protest gegen das NS-Regime boykottieren. Ähnlich argumentierte Jeremiah Mahoney (William Hurt), Präsident des American Olympic Comittee (AOC): Die Nazis träten alle Werte der olympischen Bewegung mit Füßen – damit dürften sich die USA nicht gemein machen.
Die Gegenposition vertrat Avery Brundage (Jeremy Irons) – und setzte sich durch. Der US-Sportfunktionär war eine schillernde Figur, was der Film nicht verschweigt: 1934 hatte der Bauunternehmer von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels den lukrativen Auftrag angenommen, eine neue deutsche Botschaft in Washington zu errichten. Andererseits legte er sich während der Spiele als Leiter des US-teams mehrfach mit Goebbels an.
Bei den Wettkämpfen im Berliner Olympiastadion, die am Original-Schauplatz aufgenommen wurden, konzentriert sich der Film auf die Rahmenbedingungen: von der Atmosphäre in der Stadt bis zur Weigerung Hitlers, Owens nach seinen Siegen zu beglückwünschen. Samt längeren Auftritten von Leni Riefenstahl: Die umstrittene deutsche Regisseurin, die im Stadion ausgiebig Material für zwei Dokumentationsfilme drehte, setzt gegen Goebbels‘ Willen durch, dass darin die farbigen US-Athleten auftauchen.
Dabei verzichtet Regisseur Hopkins auf dröhnendes Siegespathos und zeichnet ein facettenreiches Bild: etwa am Beispiel von Carl ‚Luz‘ Long (1913-1943). Der beste deutsche Leichtathlet seiner Zeit war die Medaillenhoffnung der Gastgeber, doch er landete im Weitsprung nur auf dem zweiten Platz hinter Owens. Dass beide Sportler sich während der Spiele anfreundeten, ist verbürgt. Dass Long seinem US-Konkurrenten geholfen und ihm gegenüber die NS-Führung scharf kritisiert haben soll, wie der Film suggeriert, scheint aber sehr zweifelhaft: 1938 trat Long in die SA und 1940 in die NSDAP ein.
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Wie wenig Glück ihm seine vier Olympiasiege brachten, wird allerdings nur angetippt: Kurz nach den Spielen verlor Owens seinen amateur-Status und verdiente bald sein Geld mit Schau-Rennen gegen Pferde und Windhunde. Er versuchte sich mit allerlei Geschäftsideen und ging 1939 Bankrott. Seine Erfolge wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg von der US-Regierung gewürdigt.
Dass Owens Leben nach Olympia kaum beleuchtet wird, ist verzeihlich: „Zeit für Legenden“, wie der deutsche Verleih prätentiös und missverständlich titelt, will kein klassisches biopic sein, sondern eher ein Historienfilm. Regisseur Hopkins geht es um den Moment, als erstmals politische Interessen massiv auf den Spitzensport einwirkten. Mittels präzisem Zeitkolorit präpariert er anschaulich heraus, wie schon 1936 das vermeintliche „friedliche Fest der Völker“ zum Kräftemessen der Nationen und Systeme umgedeutet wurde: „Serious sport is war minus the shooting“, kommentierte George Orwell 1945.
Von Renée-Maria Richter, veröffentlicht am 26.07.2016
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