Miguel Gomes

1001 Nacht – Teil 3: Der Entzückte

Sheherazade und ihr Vater, der Wesir. Foto: Real Fiction Filmverleih
(Kinostart: 25.8.) Portugal sucht den Super-Buchfinken: Zwitscher-Wettbewerbe von Singvögeln stehen im Zentrum des letzten Teils der sechsstündigen Trilogie von Miguel Gomes – ein so fantastisches und verrücktes wie realistisches und todernstes Mammutwerk.

Der dritte und letzte Teil der von Miguel Gomes‘ „1001 Nacht“-Trilogie beginnt nicht mit einer der Erzählungen von Sheherazade, sondern handelt von ihr selbst. Erschöpft vom Geschichtenerfinden und im Zweifel, ob sie den Blutdurst ihres königlichen Gatten Schahriyâr noch lange besänftigen kann, begibt sie sich auf einen Ausflug in die Umgebung von Bagdad.

 

Info

 

1001 Nacht -
Teil 3: Der Entzückte

 

Regie: Miguel Gomes,

125 Min., Portugal 2015;

mit: Crista Alfaiate, Dinarte Branco, Carloto Cotta 

 

Weitere Informationen

 

Dabei trifft sie auf allerlei Charaktere: Einen potenten, aber etwas dämlichen Jüngling, „der Paddler“ genannt; einen Windgeist, der auch nicht besonders helle ist, und einen charmanten Dieb, mit dem es kein gutes Ende nimmt. Am Ende des Tages kommt sie in einem Vergnügungspark mit ihrem Vater zusammen; mit ihm bespricht sie ihr weiteres Vorgehen.

 

Regisseur als Sheherazades Vater

 

Diesen Vater verkörpert Regisseur Miguel Gomes selbst, der zu Beginn des ersten Teils noch am Rand der Verzweiflung stand und die Flucht ergriff: Erneut spielt Gomes mit der Überlagerung des literarisch-historischen Erzählraums mit dem heutigen Portugal. Musikalisch wird die traumhafte Erzählung zusammengehalten durch diverse Versionen des evergreens „Perfidia“ (1939) vom mexikanischen Komponisten Alberto Dominguez; das Stück taucht die ganze Passage in eine melancholische Grundstimmung.

Offizieller Filmtrailer


 

Buchfinken-Gesang rund um die Uhr

 

In der abschließenden und längsten Episode geht es vor allem um Klang. Genauer: Wir lernen die erstaunliche Subkultur der portugiesischen Singvogel-Fänger kennen. Diese hartgesottenen Proletarierer stecken viel Herzblut darein, den Gesang von gefangenen Buchfinken zu trainieren. Sie treffen sich zu Wettbewerben, bei denen ihre Vögel nach nicht genau erklärten Regeln um die Wette trällern.

 

Ihre Besitzer sammeln eifrig Trophäen und Legenden wie die von „Hinkebeins Rettung“. Wenn sie sterben, werden ihre Kampfnamen wie „Der Gutmütige“ auf ihre Grabsteine graviert. Jüngere Mitglieder versuchen aus aufgenommenen Melodien neue Klangserien zu kreieren, um sie mithilfe eines mp3 player ihren Vögeln beizubringen. Überdies laufen in ihren Wohnungen rund um die Uhr CDs mit Buchfinken-Gesang, um die bedauernswerten Vögel im Training zu halten, was einige der Halter schon ihre Freundin gekostet hat.

 

Spaziergang mit Außerirdischen-song

 

In diesen Kreisen, die Kontakte zur lokalen heavy metal-Szene haben, werden Melodien und Trainingsmethoden ausgiebig diskutiert. Jemand gibt zu bedenken, dass auf diese Weise alte, vom Aussterben bedrohte Melodien erhalten blieben. Unterbrochen wird dieses köstliche Kapitel von der Erzählung einer Chinesin, die aus dem Off über ihren Aufenthalt in Portugal spricht. Währenddessen wird Doku-Filmmaterial von Massendemonstrationen und Ausschreitungen in der Hauptstadt Lissabon gezeigt.

 

Dann, als wäre all das Sheherazade oder dem grausamen König oder dem Regisseur zu viel, kehrt der Film wieder zu den Vogelfängern zurück und verweilt bei ihnen. Gomes lässt Charaktere aus früheren Kapiteln wieder auftauchen und behält seinen neugierig verschmitzten Blick bis zur Schluss-Einstellung bei: einem Spaziergang mit einem Vogelfänger, untermalt von singenden Schulkindern, die einen englischen song über Außerirdische anstimmen. Ländliche Idylle, Vogelgezwitscher, kindliche Unschuld und ein bisschen space is the place – so endet die Trilogie.

 

Rachepläne des alter ego

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "1001 Nacht – Teil 2: Der Verzweifelte" von Miguel Gomes

 

und hier eine Besprechung des Films „1001 Nacht – Teil 1: Der Ruhelose“ von Miguel Gomes

 

und hier einen Bericht über den Film „Tabu (2012) – Eine Geschichte von Liebe und Schuld“ – Hommage von Miguel Gomes an den Stummfilm-Klassiker von F.W. Murnau

 

Der letzte Teil wird seinem Namen „Der Entzückte“ vollauf gerecht: es ist der sinnlichste und wohl schönste der drei Filme. Nachdem zuvor viel von Zorn, Schmerz, Verlust und Verzweiflung die Rede war, gönnt sich Regisseur Gomes zum Abschluss hellere, fast optimistische Töne; ohne zugleich versöhnlich zu werden.

 

Er lässt ganz beiläufig einfließen, dass Sheherazades Vater – sein neues alter ego – Rachepläne schmiedet; die Tage einer brutalen Herrschaft könnten gezählt sein. Aber er hält auch eine Art Plädoyer für lokale Kontinuitäten, radikale Träumerei, Anarchie, Ikonoklasmus, Emanzipation, Antimaterialismus, Gerechtigkeit und Würde.

 

Wo bleibt Welt- oder Flaschengeist?

 

Seine sechsstündige Trilogie enthält so viele einander überlagernde Techniken, Referenzen, Brüche, Ellipsen und Erzählebenen, dass er jede Menge Interpretationen herausfordert. Dieses Mammutwerk ist so verrückt wie todernst, so eskapistisch wie engagiert, so fantastisch wie realistisch, so bombastisch in der Konzeption wie drastisch limitiert in seinen Mitteln.

 

Dabei weiß der Film um all diese Widersprüche und macht sie zum Thema. Vielleicht in der Hoffnung, dass irgendein Welt- oder Flaschengeist diese Signale hört und zum dialektischen Sprung ansetzt. So oder so: Schön, das so etwas noch passiert.