Icíar Bollaín

El Olivo – Der Olivenbaum

Der Blickfang eines Firmensitzes: der Olivenbaum im Foyer der Zentrale eines Düsseldorfer Energiekonzern. Foto: © Jose Haro/ Piffl Medien
(Kinostart: 25.8.) Einen alten Baum verpflanzt man nicht: Papa hat ihn in die Fremde verkauft, seine Tochter will ihn zurückholen. In ihrem Feelgood Road Movie überstrapaziert Regisseurin Icíar Bollaín das Gewächs als Symbol für Spaniens Ausverkauf und Niedergang.

Nicht ohne meinen Olivenbaum: Die Kulturpflanze – wild wächst sie nur als Busch – wird im Mittelmeerraum stark mit Bedeutung aufgeladen, ähnlich wie hierzulande die Eiche. Ist diese eher mit rückwärtsgewandter Deutschtümelei verbunden, steht der Olivenbaum für erwartungsvolle Hoffnung: Nach der Sintflut trug eine Taube im Schnabel einen Olivenzweig zur Arche Noah.

 

Info

 

El Olivo -
Der Olivenbaum

 

Regie: Icíar Bollaín,

100 Min., Spanien/ Deutschland 2016;

mit: Anna Castillo, Javier Gutiérrez, Pep Ambròs

 

Website zum Film

 

Daher reklamiert die politische Linke das Gewächs für sich: „L’Ulivo“ nannte sich das Mitte-links-Parteienbündnis, das Italien von 1996 bis 2001 regierte. Auch Regisseurin Icíar Bollaín schnitzt ihre Parabel über die spanische Dauerkrise aus dem Holz eines milenario: Dieses mehr als 1.000 Jahre alte Prachtexemplar von Olivenbaum behütet die sorglose Kindheit der Protagonistin Alma.

 

Baum-Schmuck in Firmenzentrale

 

Unter seiner ausladenden Krone verbringt sie kletternd und spielend glückliche Tage mit ihrem Großvater Ramón. Bis ihr Vater Luís den Baum für 30.000 Euro verscherbelt, um sich die Genehmigung für den Bau eines lukrativen Restaurants am Strand zu erkaufen. Der Olivenbaum wird gestutzt, entwurzelt und per Tieflader an einen deutschen Energiekonzern geliefert, der ihn als Bekenntnis zu nachhaltigem Naturschutz im Atrium seiner Düsseldorfer Firmenzentrale aufstellt – ein Schelm, wer dabei an E.ON denkt.

Offizieller Filmtrailer


 

Freiheitsstatue in Deutschland versilbern

 

Ramón verstummt und verkümmert. Um Opa zu retten, hat die inzwischen 20-jährige Alma (Anna Castillo), die auf einer Geflügelfarm jobbt, eine tollkühne Idee: Sie überredet ihren Onkel Alcachofa (Javier Gutiérrez), einen Brummi-Fahrer, und ihren in sie verliebten Kollegen Rafa (Pep Ambròs), gemeinsam einen Laster zu kapern, um den Baum aus dem kalten Norden zurückzuholen. Ohne Geld oder Strategie, wie er dem neuen Besitzer abzuluchsen sei.

 

Hauptsache, es geht auf große Fahrt. En passant mopst der impulsive Alcachofa einem neureichen Schuldner noch dessen fünf Meter hohe Kopie der Freiheitsstatue und transportiert sie durch halb Europa; irgendwie werde sich das Ungetüm in Deutschland wohl versilbern lassen, glaubt er. In Düsseldorf wird das Trio von Wachdienst und Polizei abgefangen; eilends über Facebook mobilisierte Protest-Demonstranten sorgen für wildes Treiben, das mehr karnevalesk denn ökorevolutionär wirkt.

 

Allein die gute Absicht zählt

 

Das timing dieses Films könnte besser kaum sein. Der Zeitgeist schwelgt in wanderfreudiger Landlust; das Sachbuch „Das geheime Leben der Bäume“ des Försters Peter Wohlleben führt seit Monaten die bestseller-Liste an. Indem Regisseurin Bollaín ihren Olivenbaum aber zum Allzweck-Symbol nicht nur für Entfremdung von der Natur, sondern auch für Spaniens Ausverkauf und Niedergang stilisiert, bürdet sie seinen mächtigen Zweigen eine schwere Last auf; so gerät die Fabel arg eindimensional.

 

Wie in seinen Drehbüchern für die letzten Filme von Ken Loach, dem britischen grand old man des engagierten Kinos, feiert Skript-Autor Paul Laverty den progressiven Aktivismus seiner Akteure. Zwar geht ihr Idealismus regelmäßig wegen Planlosigkeit an der Wirklichkeit zuschanden, doch allein die gute Absicht zählt.

 

Mit Anarcho-Aktionismus auf grünen Zweig

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films „1001 Nacht – Teil 1: Der Ruhelose“ – Auftakt des sechsstündigen Episodenfilms als Chronik der portugiesischen Dauerkrise von Miguel Gomes

 

und hier einen Bericht über den Film "Jimmy's Hall" – Klassenkampf-Drama im Irland der 1930er Jahre von Ken Loach

 

und hier eine Besprechung des Films "Und dann der Regen – También la Lluvia" – Drama über postkoloniale Konflikte zwischen Spaniern + Indios von Icíar Bollaín

 

und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film "The Tree" – Familiendrama mit Feigenbaum in Australien von Julie Bertuccelli mit Charlotte Gainsbourg.

Dabei sind die Rollen klar verteilt: Opa Ramón steht für traditionelle Bodenständigkeit, Papa Luís für die Geschäftemacher-Generation, deren betrügerische Gier Spaniens Schuldenkrise seit 2007 ausgelöst hat, Onkel Alcachofa für deren ausgebeutete Opfer, die weder Gründe noch Folgen verstehen, sowie Alma und Rafa für eine Jugend, die mit anarchischem Aktionismus irgendwie auf einen grünen Zweig kommen will. So weit, so übersichtlich.

 

Versteht sich, dass diesen umweltbewegten Robin Hoods alle Sympathien zufliegen – auch wenn sie ständig lavieren und tricksen, andere be- und sich selbst in die Tasche lügen. Dass schlitzohrige Mauscheleien gepaart mit prinzipienfestem Starrsinn keine liebenswerte Folklore, sondern eine der Ursachen für die spanische malaise sein dürften, kommt Bollaín und Laverty nicht in den Sinn: Obwohl das Land seit neun Monaten keine Regierung mehr hat, weil sich die vier größten Parteien nach zwei Wahlen immer noch nicht auf eine Koalition einigen können.

 

Kein Baum musste leiden

 

So realitätsnah möchte die Regisseurin ihr „modernes Märchen“ nicht verstanden wissen: Sie sieht ihre Heldin Alma als zeitgenössische Donna Quijote, die wie einst Miguel Cervantes‘ Romanheld lauter skurrile Abenteuer bestehen muss. Gut gespielt und verpackt in schöne Aufnahmen von Olivenhainen und Autobahn-Panoramen, wird daraus ein feelgood road movie fürs linke Gemüt. Mit gutem Gewissen, denn für die herzzerreißenden Szenen vom Abtransport des milenario musste ein double aus Eisen und Plastik herhalten: No tree was harmed in the making of this movie.