
Mr. Grandage, Sie sind in Großbritannien ein berühmter Bühnen-Regisseur. Wie unterscheidet sich die Arbeit an einem Film im Vergleich zum Theater?
Beide Arbeitsweisen sind sehr verschieden – aber es war aufregend, um mich aus meiner Ecke hervorzulocken, in der es mir schon längst zu bequem geworden ist. Theater und Film ähneln sich aber in der Beziehung zu den Schauspielern, die man als Regisseur aufbaut. Mir hat es gut getan, mich etwas völlig Neuem zu stellen; natürlich habe ich mich ausführlich vorbereitet. Die Arbeit am Film machte mir dann viel Spaß.
Haben Sie sich damit einen Traum erfüllt?
Info
Genius -
Die tausend Seiten einer Freundschaft
Regie: Michael Grandage,
104 Min., Großbritannien/ USA 2016;
mit: Colin Firth, Jude Law, Nicole Kidman
Vorlage fürs Publikum aufbereiten
Welche Vorstellungen hatten Sie?
Aus meiner Sicht sprachen gleich mehrere Gründe für „Genius“. Erstens erfordert das Thema, die enge Beziehung zwischen einem Schriftsteller und seinem Lektor, außergewöhnliche Leistungen der Darsteller. Genau danach suchte ich: nach einem Stoff für ausgezeichnete Schauspieler, der in geschliffenen Dialogen entwickelt wird.
Außerdem faszinierte mich die Geschichte, weil sie etwas genau beschreibt, was ich bis dato weder auf der Bühne noch im Kino gesehen habe: die Arbeit eines Lektors. Seine Aufgabe ist der eines Theater-Regisseurs recht ähnlich: Beide wollen die Vorlage eines Künstlers – eines Romanciers oder eines Dramatikers – dem Publikum zugänglich machen und sie dafür möglichst gut aufbereiten.
Offizieller Filmtrailer
Talent für Öffentlichkeit disziplinieren
Ich selbst habe mich immer als jemand betrachtet, der sich des literarischen Werks eines Autors annimmt und dem Publikum eine Interpretation anbietet. Das Gleiche versucht Colin Firth als Verlagslektor Max Perkins mit dem Nachwuchsautor Thomas Wolfe, der von Jude Law gespielt wird.
Perkins erkennt sein außergewöhnliches Talent und will ihm dabei helfen, es so zu disziplinieren, dass sein Manuskript gedruckt wird und er die Öffentlichkeit erreichen kann. Das sprach mich sofort an.
Die Aufmerksamkeit der Zuschauer lenken
Der Film beginnt mit Großaufnahmen von Regen und nassen Schuhen: Thomas Wolfe steht auf der Straße und blickt sehnsüchtig zum Verlagshaus von „Scribner’s Sons“. Hat Ihnen gefallen, auf der Leinwand zeigen zu können, was auf der Bühne nie möglich wäre?
Gut beobachtet! Das hat mir wirklich am meisten Spaß gemacht. Im Theater kann man nicht mit Großaufnahmen arbeiten; man muss die Aufmerksamkeit der Zuschauer permanent dahin lenken, wo sie hinschauen sollen. Denn ihre Blicke können im Theater woanders hinwandern – und weitab von der Bühne landen. Im Kino hat der Zuschauer weniger Freiheiten. Da bestimmt der Regisseur, was auf der Leinwand zu sehen ist – das empfand ich als sehr befreiend.
Thomas wird mit Tom Wolfe verwechselt
Soll Ihr Film dazu beitragen, dass die Werke von Thomas Wolfe (1900-1938) wieder häufiger gelesen werden?
Es wäre ein wunderbarer Nebeneffekt des Films, wenn die Zuschauer Thomas Wolfe auch als Autor wiederentdecken würden. Er war in den 1930er Jahren ein Star der US-Literatur und wurde bis in die 1960er Jahre hinein viel gelesen, doch danach geriet er allmählich in Vergessenheit. In den USA weiß heutzutage kein Mensch unter 40 Jahren mehr, wer Thomas Wolfe war; ausgenommen vielleicht hochgebildete Akademiker.
Außerdem wird er oft mit dem Schriftsteller Tom Wolfe verwechselt, der als Galionsfigur des new journalism bis heute bestseller schreibt. In England ist Thomas Wolfe noch weniger bekannt; dabei war er zu Lebzeiten mindestens ebenso berühmt wie Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald.
Sich außerhalb der Komfortzone lebendig fühlen
Wollen Sie weitere Filme drehen, oder reicht Ihnen ein einmaliger Ausflug?
Nur zu gern würde ich weiter machen; ich musste lange warten, bis ich überhaupt meinen ersten Kinofilm drehen konnte. Die Gefahr einer etablierten Karriere, etwa am Theater, ist die Routine: Man arbeitet an einem Projekt nach dem anderen und weiß genau, was zu tun ist. Je älter man wird, desto mehr gewöhnt man sich daran. Durch „Genius“ kam ich aus meiner Komfortzone heraus; dadurch fühle ich mich so lebendig wie schon lange nicht mehr.
„Genius“ spielt im New York der 1920er Jahre. Wie ist es Ihnen gelungen, diese Epoche wieder aufleben zu lassen?
Dahinter steckt eine viel Recherche; die Vorbereitungen dauerten eineinhalb Jahr. Diese Epoche war eine große Zeit der Sozial-Fotografie: Wir fanden eine enorme Menge von Aufnahmen berühmter Fotografen über die Arbeitswelt und Wohnsituation in New York. Sie halfen mir dabei, eine visuelle Vorstellung dieser Jahre zu bekommen, die sich im Film wiederfindet.
Gut behütet in die Dusche
Auf den wenigen Original-Fotos, die es von Verlagslektor Max Perkins gibt, trägt er aber nie Hut – ganz im Gegensatz zu Colin Firth, der im Film seinen Hut ständig aufbehält.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Genius - Die tausend Seiten einer Freundschaft" von Michael Grandage
und hier eine Besprechung des Films "Der große Gatsby (3D)" – prachtvoll-dekadente Verfilmung des Romans von F. Scott Fitzgerald durch Baz Luhrmann mit Leonardo DiCaprio
und hier einen Beitrag über den Film "Midnight in Paris" – Zeitreise in die 1920er Jahre von Woody Allen mit Ernest Hemingway + F. Scott Fitzgerald als Protagonisten.
Hemingway + Fitzgerald als Staffage
Max Perkins betreute als Lektor auch Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald, die im Film ebenfalls auftreten. Hätten Sie gern Perkins Verhältnis zu diesen beiden Schriftstellern stärker beleuchtet?
Nein, sie sind im Film nur Nebenfiguren; wichtig ist allein, sich auf die Beziehung zwischen Perkins und Wolfe zu konzentrieren. Die Kurzauftritte von Fitzgerald und Hemingway sind aber für die Zuschauer hilfreich, wenn sie zuvor niemals von Perkins oder Wolfe gehört haben sollten. Mit den beiden anderen Schriftstellen können sie sich trotzdem den Kontext erschließen; vorausgesetzt, die Namen Hemingway und Fitzgerald sagen ihnen etwas (lacht).