Abgehalfterte Polizisten werden in die Provinz abgeschoben und geraten dort in einen Sumpf aus Misstrauen, Verrat und Verbrechen. Das klingt nach einer Kino-Version der US-Fernsehserie „True Detective“, mit der dieser Film schon oft verglichen wurde. Ein oberflächliches Urteil: Der spanische Regisseur Alberto Rodriguez erzählt in „La isla mínima – Mörderland“ weit mehr als nur eine Kriminalgeschichte.
Info
La isla mínima – Mörderland
Regie: Alberto Rodriguez,
105 Min., Spanien 2014;
mit: Javier Gutiérrez, Raúl Arévalo, María Varod
Provokateur + Diktatur-Polizist
Sie sollen das plötzliche Verschwinden zweier Schwestern im teenager-Alter untersuchen: In diese arme, gottverlassene Gegend versetzt zu werden, ist für beide eine Degradierung. Heißsporn Pedro (Raúl Arévalo) hat sich mit einem General angelegt; sein Kollege Juan (Javier Gutiérrez) war schon unter Diktator Franco Polizist.
Offizieller Filmtrailer
Schwer zugängliche Landschaft + Bewohner
Als die vermissten Mädchen verstümmelt, vergewaltigt und ermordet aufgefunden werden, wittern beide ihre Chance, sich durch eine schnelle Lösung des Falls rehabilitieren zu können. Allerdings steht dem einiges im Wege. Es sieht so aus, als sei die schwer zugängliche Sumpflandschaft auch Ausdruck der Mentalität ihrer Bewohner.
Hier gehen die Uhren deutlich langsamer als in der Hauptstadt. Alte Machtstrukturen der Franco-Diktatur, die kaum fünf Jahre vergangen ist, sind noch weitgehend intakt, was beide zunehmend zu spüren bekommen. Immer noch herrschen Angst und Misstrauen gegenüber der Staatsmacht vor; damit weiß Juan aus Erfahrung besser umzugehen als sein Partner.
Streiks + neue Verhörmethoden
Allerdings ist die so genannte transición, der Übergang hin zur Demokratie, auch im Süden angekommen. Arbeiter der örtlichen Fabrik streiken für höhere Löhne; das wäre fünf Jahre zuvor noch undenkbar gewesen. Es sind solche scheinbar nebensächlichen Details, die Rodriguez‘ Film von einem normalen Krimi deutlich abheben.
Neben der eigentlichen Handlung zeichnet der Regisseur ein Sittenbild dieser Region; er zeigt auf, wie die Gesellschaft in diesem Mikrokosmos mit der autoritären Vergangenheit umgeht. So lässt ein lokaler Journalist Pedro wissen, dass sein Kollege Juan wegen seiner Verhörmethoden berüchtigt war. Nun setzt er seine Fähigkeiten für etwas Gutes ein, wie Pedro bemerkt.
Sonne versengt alles sepiabraun
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod" – groteske Parabel über Spanien in der Endphase der Franco-Diktatur von Alex de la Iglesia
und hier eine Besprechung des Films "Sunrise – Arunoday" – stilisiertes Drama über Kindes-Entführung in Indien von Partho Sen-Gupta
und hier einen Beitrag über den Film "The Act of Killing" – eindrucksvolle Doku von Joshua Oppenheimer über Täter der Massaker in Indonesien 1965, Europäischer Filmpreis 2013
und hier einen Bericht über den Film "Les Salauds – Dreckskerle" – düsterer Pädophilie-Krimi von Claire Denis mit Vincent Lindon + Chiara Mastroianni.
Dass sich die Opfer auf zweifelhafte Angebote einließen, um der tristesse ihrer Heimat zu entfliehen, ist verständlich. In diesem trostlosen Landstrich scheint die Sonne alle Farben zu allgegenwärtigem Sepiabraun zu versengen. Dabei schafft die Kamera mit Halbtotalen und zooms den Eindruck klaustrophobischer Enge: kein Ausweg, nirgends.
Überblick aus Vogelperspektive
Doch die Bewohner verhalten sich ganz unterschiedlich. Etliche sehen angestrengt weg; manche hingegen – vor allem Frauen – sprechen mit den Bullen aus der Kapitale und geben ihnen Tipps. Vielsagende Seitenblicke, beredtes Schweigen und heimliche Treffen mit Informanten führen vor, dass die Repression der Diktatur den Leuten noch in den Knochen steckt.
Als wären sämtliche Akteure unfähig, alle Verzweigungen und Seitenarme dieses geographischen wie sozialen Labyrinths im Auge zu behalten. Allein der Zuschauer hat mitunter die Draufsicht aus Vogelperspektive und genießt somit den Überblick. Am Boden bleibt es immer schwül, laut und drückend. Wenn Pedro und Juan schließlich nach Madrid zurückkehren, fällt das Aufatmen schwer.
Dennoch beeindruckt dieses packende Psychogramm nicht nur in Spanien, wo es mit zehn Goyas – der höchsten nationalen Film-Auszeichnung – prämiert wurde: „La isla mínima“ erhielt auch den Publikumspreis bei der Verleihung der Europäischen Filmpreise 2015.