Der Gang zum Traualtar ist wieder in: Man heiratet wieder öfter, früher – und aufwändiger. Für den schönsten Tag im Leben bietet eine hochspezialisierte Branche ihre Dienste an und verdient kräftig daran. TV-shows wie „Traumhochzeit“ (bis 2013 bei RTL) und „4 Hochzeiten und eine Traumreise“ (zurzeit bei VOX) setzen ästhetische standards; Hochzeits-Messen und -Journale wecken hochgesteckte Wünsche.
Info
Dügün -
Hochzeit auf Türkisch
Regie: Ayse Kalmaz und Marcel Kolvenbach
89 Min., Deutschland 2015;
mit: Ferhat Aldur, Turgut Karakuş, Anı Karakaya
Einkaufs-Paradies Hochzeits-Meile
Wie das geht, lässt sich hervorragend in Duisburg-Marxloh beobachten; dort hat die Hälfte aller Einwohner einen ausländischen Pass. An der Weseler Straße ist eine regelrechte Hochzeits-Meile entstanden: Dutzende von Fachgeschäften für Brautmode und Abendgarderobe, Schmuck und sonstigen Heiratsbedarf reihen sich aneinander. Ein florierendes Einkaufs-Paradies in einem ansonsten verarmten Stadtteil – und ein Zentrum sozialen Lebens türkischstämmiger Mitbürger in Deutschland.
Offizieller Filmtrailer
Beschwerden über Kerzen-Farben
Die türkisch-kurdische Regisseurin Ayse Kalmaz und ihr deutscher Kollege Marcel Kolvenbach hatten die glänzende Idee, darüber einen Dokumentarfilm zu drehen: An diesem Ort treten Eigenheiten der deutsch-türkischen Kultur offen zutage, die sonst meist im Verborgenen bleiben und von der Mehrheitsbevölkerung routiniert übersehen werden. Wer hier heiratet, führt demonstrativ vor, wer er ist und was er hat – das erlaubt zahllose aufschlussreiche Einblicke.
Dem gehen Kalmaz und Kolvenbach konsequent aus dem Weg. Stattdessen begleiten sie unermüdlich ein paar Personen, über die man wenig erfährt, und fangen alles Mögliche ein, was sie so von sich geben. Ein selbstgefälliger Hochzeits-Planer, der ein Hochglanz-Werbemagazin auf Türkisch herausgibt, lästert ausgiebig über knauserige Familien, die 1000 Gäste einladen, aber um jeden Euro feilschen. Der Besitzer einer mietbaren Festhalle klagt über pingelige Kunden, die sich über unregelmäßige Stuhlreihen und die Farbe von Kerzen beschweren.
Tochter will Trauschein, Vater nicht
Der junge Angestellte eines Restaurant-Besitzers will dessen Tochter ehelichen; um ihre Hand hielt er nach der Arbeit im Gastraum an. Sein offenbar linker Schwiegervater in spe – er zitiert den berühmten kommunistischen Dichter Nazim Hikmet – wundert sich, wie konservativ seine Tochter sei; er hätte nichts dagegen, wenn beide ohne Trauschein zusammen lebten.
Eine Deutsch-Spanierin und ihre türkische Freundin kommen ungeschminkt in t-shirts, jeans und sneakers daher; sie gingen in jedem Szeneviertel als lässige hipster durch. Beide stöbern aber in der strahlend weißen Welt eines Brautmode-Ladens. Hier lässt sich die Spanierin ihr Traumkleid auf den Leib schneidern; stolz erzählt sie, wie gut sie ihren künftigen deutsch-türkischen Gatten auf gewohnte Art bekochen kann.
Imam erläutert Allahs Willen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Mustang“ – eindrucksvolles türkisches Zwangsheirats-Drama von Deniz Gamze Ergüven
und hier eine Besprechung des Films "Kuma" – subtiles kurdisch-österreichisches Zweitfrauen-Drama von Umut Dağ
und hier einen Beitrag über den Film "Song of my Mother" – kurdisches Gentrifizierungs-Sozialdrama von Erol Mintaş.
Dabei erfährt man kaum Konkretes. Weder über Marxloh als Heirats-Marktplatz noch über den Ablauf türkischer Hochzeitsfeste, regionale und weltanschauliche Unterschiede, Einbeziehung oder Ausgrenzung des deutschen Umfelds – alles Fehlanzeige. Dagegen erläutert der Moschee-Imam salbungsvoll, warum Allah die Ehe vorschreibt. Und alle Akteure dürfen ihre Ansichten über das geheimnisvolle Wesen der Liebe kundtun.
Toleranter-Islam-Manifest
Aus seiner gefühligen Froschperspektive löst sich der Film nur kurz am Anfang. Da sagt der Heirats-Planer: „Wenn wir die Hochzeiten abschaffen, verlieren die Türken hier endgültig ihren Zusammenhalt.“ Solch nüchterne Gruppensoziologie überfordert offenbar das Regie-Duo; lieber preist es seinen Bildersalat als „filmisches Manifest für einen weltoffenen, toleranten, europäischen Islam“ an. Was eben Filmförderanstalten gerne hören: Nur die Liebe zählt.