François Ozon

Frantz

Adrien (Pierre Niney) und Anna (Paula Beer) sprechen über Frantz. Foto: © X-Verleih
(Kinostart: 29.9.) Geteiltes Leid ist halbes Leid: Um einen Weltkriegs-Gefallenen trauern dessen deutsche Verlobte und ein junger Franzose – eine Enthüllung ändert alles. Das subtile Kammerspiel von Regisseur Ozon wirkt trotz Grauschleier ganz gegenwärtig.

Es beginnt ganz nüchtern und gewöhnlich – und dadurch umso überraschender. Eine junge Frau geht auf den Friedhof einer deutschen Kleinstadt, um Blumen auf ein Grab zu legen – für ihren Verlobten Frantz, der als Soldat im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Was vor 90 oder 100 Jahren ein alltäglicher Anblick gewesen sein muss, erscheint heute kaum noch vorstellbar.

 

Info

 

Frantz

 

Regie: François Ozon,

113 Min., Deutschland/ Frankreich 2016;

mit: Pierre Niney, Anton von Lucke, Paula Beer

 

Website zum Film

 

Allerdings bemerkt Anna (Paula Beer), dass dort noch ein weiterer Blumenstrauß liegt. Beim nächsten Friedhofsgang beobachtet sie einen Unbekannten, der dieses Grab besucht. Dieser Jemand entpuppt sich als der junge Franzose Adrien (Pierre Niney): Er gibt sich als früherer Kommilitone von Frantz aus, als dieser vor dem Krieg in Paris studierte. Nun sucht er die Nähe seiner Eltern, bei denen Anna lebt.

 

Hinterbliebenen-Herzen gewinnen

 

Wenige Monate nach Kriegsende ist das ein gewagtes Unterfangen; zuerst weist ihn der Vater (Ernst Stötzner) brüsk ab. Doch Adrien lässt nicht locker, und bald bittet ihn die Mutter (Marie Gruber) herein. Mit zartfühlendem Auftreten, nostalgischen Erinnerungen an Frantz und virtuosem Geigenspiel gewinnt er die Herzen der trauernden Eltern – und von Anna. Sie findet Gefallen an diesem sensiblen, kultivierten Franzosen mit Sinn für Poesie – ganz anders als die bierseligen Deutschtümler im Wirtshaus, in dem der Ausländer abgestiegen ist.

Offizieller Filmtrailer


 

Erste Verfilmung von Ernst Lubitsch

 

Dann wird Adriens schlechtes Gewissen übermächtig. Er gibt seine Tarnung auf, offenbart sich gegenüber Anna – und reist eilends ab. Was sie in noch tieferen Kummer stürzt: Zum zweiten Mal verliert sie den Mann, dem ihre Zuneigung galt. Es dauert lange, bis sie per Brief ein Lebenszeichen von Adrien erhält – und noch länger, bis sie sich dazu entschließt, nach Frankreich zu reisen, um ihn zu suchen. Schließlich findet sie ihn; aber ganz anders als erhofft.

 

Dieses längst vergessene Theaterstück von Maurice Rostand um Schuld, Liebe und zaghafte Versöhnung nach dem großen Schlachten wurde bereits 1931 von Ernst Lubitsch verfilmt: „Broken Lullaby“ kam Ende 1932 in die deutschen Kinos und wurde im Mai 1933 von den Nazis verboten. Die Neuinterpretation von François Ozon ist alles andere als ein remake: Der französische Regisseur erzählt nicht aus Adriens, sondern aus Annas Perspektive. Außerdem stellt er die Dramaturgie beinahe auf den Kopf und verzichtet auf ein simples happy end.

 

Epoche in Schwarzweiß

 

Dadurch wird aus der eindimensional pazifistischen Botschaft der Vorlage ein subtiles Kammerspiel unter freiem Himmel. Während ausgedehnter Spaziergänge kreisen die Gespräche der jungen Leute zwar um den toten Frantz. Doch der Abwesende entpuppt sich zusehends als Leerstelle; als Projektionsfläche der Überlebenden, deren Wünsche und Begehren ebenso in den Schützengräben zermalmt wurden. Wenn Anna zum Schluss von Édouard Manets Gemälde „Der Selbstmörder“ sagt, sein Anblick flöße ihr „Lust zu Leben“ ein, klingt es, als trete sie endlich aus dem langen Schatten des Krieges heraus.

 

Hintergrund

 

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In einem der seltenen farbigen Momente des Films: Zart abgestufte Grautöne und leichte Unschärfe lassen ihn vom ersten Augenblick an realistisch wirken, weil wir diese Epoche nur noch aus Schwarzweiß-Aufnahmen kennen. Überdies begnügt sich Regisseur Ozon mit wenigen Schauplätzen; sie sehen aus, als hätte schon Lubitsch sie als Kulissen für seine Adaption des Stoffes benutzt. Dieser retro look wirkt nicht manieriert, sondern fördert die Konzentration auf das Wechselspiel der Hauptfiguren.

 

Leises Lebensmut-Plädoyer

 

Pierre Niney als Adrien erscheint wie eine Romanfigur von Marcel Proust: zartgliedrig und musisch begabt, mit formvollendeten Manieren, aber willensschwach – mit ihm in Erbfeindschaft zu hadern, ist kaum vorstellbar. Schon gar nicht für Paula Beer, die sich durch ihn radikal wandelt: anfangs eine Quasi-Witwe am heimischen Herd, öffnet er ihr die Augen für die übrige Welt. Am Ende zieht sie in die Großstadt: als Prototyp der „neuen Frau“ der 1920er Jahre, die ihr Glück auf eigene Faust sucht.

 

Diese Emanzipationsgeschichte ist zeitlos – und „Frantz“ weit mehr als ein memento mori für die Toten des Ersten Weltkriegs. Eher schon eine nahezu existentialistische Parabel über die Kunst, trotz aller Opfer und Enttäuschungen einen Neuanfang zu wagen – seien sie durch Krieg, Terror oder andere Versehrungen bedingt. Mit seinem leisen, aber eindringlichen Plädoyer für Lebensmut in Freiheit ist dieses kleine Meisterwerk von François Ozon ganz gegenwärtig.