Mohamed Ben Attia

Hedis Hochzeit

Hedi (Majd Mastoura) lernt die Tänzerin Rym (Rym Ben Messaoud) kennen. Foto: Arsenal Filmverleih
(Kinostart: 22.9.) Mama kümmert sich drum: Ein junger Tunesier wird von seiner Mutter gegängelt und in eine Ehe gedrängt. Er macht alles mit – bis er eine Animateurin trifft. Regisseur Mohamed Ben Attia zeigt eine Kultur im Würgegriff des Patriarchalismus.

Alles läuft nach Plan – Mamas Plan. Die Witwe Baya (Sabah Bouzouita) gibt vor, was ihr jüngster Sohn Hedi (Majd Mastoura) auszuführen hat. Sie arrangierte seine bevorstehende Hochzeit mit Khedija, einer folgsamen Tochter aus gutem Hause. Zuvor verschaffte sie Hedi eine Stelle beim tunesischen „Peugeot“-Vertrieb; seither reist er als Vertreter durchs Land und versucht, anderen Unternehmen Autos zu verkaufen – praktisch erfolglos.

 

Info

 

Hedis Hochzeit

 

Regie: Mohamed Ben Attia,

88 Min., Tunesien/ Belgien/ Frankreich 2016;

mit: Majd Mastoura, Rym Ben Messaoud, Sabah Bouzouita

 

Weitere Informationen

 

Mama teilt Hedi sogar sein Taschengeld zu und gibt ihm jeden Tag neue Aufgaben. Der Mittzwanziger mit schütterem Haar lässt es gefasst mit versteinerter Miene über sich ergehen. Er wirkt innerlich völlig unbeteiligt, wenn er bei möglichen Kunden vorspricht, mit Verwandten redet oder die rituellen Heirats-Vorbereitungen mitmacht. Als ginge ihn sein eigenes Leben nichts an.

 

Comics voller Endzeit-Szenarien

 

Eigensinn erlaubt er sich nur, wenn er zeichnet: düstere Endzeit-Szenarien voller Monster und aliens. Hedi träumt davon, comics in Frankreich zu veröffentlichen: Dort lebt sein älterer Bruder Ahmed (Hakim Boumessoudi), Mamas ganzer Stolz, der beruflich erfolgreich ist und eine Familie gründete – sie aber bei Heimatbesuchen noch nie mitgebracht und vorgestellt hat.

Offizieller Filmtrailer


 

Doppelspiel endet mit Aufstand

 

In der Woche vor der Eheschließung wird Hedi zur Auftrags-Akquise in die Küstenstadt Mahdia geschickt. Dort quartiert er sich in einem komfortablen all inclusive resort ein – es steht fast leer, da ausländische Touristen fernbleiben. Zufällig lernt er die 30-jährige Rim (Rym Ben Messaoud) kennen: Als Animateurin bei abendlichen dance shows tingelt sie durch Hotelanlagen im gesamten Mittelmeerraum. Unbeschwert scheint Rim ein unabhängiges Leben zu führen, das Hedi bislang verwehrt blieb – er will sofort mit ihr auswandern.

 

Doch die Zeit läuft ihm davon: Am Telefon drängt Mama, er solle schleunigst heimkehren und sich um seine Hochzeit kümmern. Auch sein Vorgesetzter lässt sich kaum länger hinhalten. Hedi pendelt hektisch zwischen dem Hotel-Refugium und seinem Wohnort Kairouan hin und her, kann aber immer schlechter verbergen, dass er seine Pflichten vernachlässigt. Bis sein Doppelspiel auffliegt und er den Aufstand probt.

 

Verkatertes Tunesien

 

So stoisch Hedi anfangs ständige Fremdbestimmung erträgt, so lakonisch wird er dabei von der Kamera beobachtet. Regisseur Mohamed Ben Attia zeigt ein von der aktuellen Wirtschaftskrise gebeuteltes Tunesien: Die Produktion wurde gedrosselt, Firmen und Hotellerie mussten Personal entlassen; Strände, Straßen und Urlaubsorte sind halb verwaist. „Mein Land ist verkatert“, sagt der Filmemacher: Die latente Depression des Hauptdarstellers und der gesamten Gesellschaft fallen zusammen.

 

Hintergrund

 

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Dabei träumen sämtliche Protagonisten von der Emigration nach Europa. Obwohl alle zur gut ausgebildeten Mittelschicht zählen: Sie sprechen fließend Französisch und pflegen einen säkularen Lebensstil; Religion spielt kaum eine Rolle. Doch fünf Jahre nach dem Sturz von Staatschef Ben Ali sehen sie offenbar in ihrer Heimat keine Zukunft mehr; Hoffnungen auf rasche Besserung der Verhältnisse sind zerstoben. Wenn schon im halbwegs wohlhabenden und demokratischen Tunesien solche Resignation herrscht – wie mag es im übrigen Maghreb zugehen?

 

Diktator weg, Diktatur bleibt

 

Insofern ist „Hedis Hochzeit“ weniger das Porträt eines Muttersöhnchens als vielmehr eines ganzen Kulturkreises: Der verblühte „Arabische Frühling“ hat überall tiefe Desillusionierung hinterlassen. Mancher Alleinherrscher wurde verjagt, doch die Diktatur des Patriarchalismus herrscht weiter ungebrochen – selbst wenn sie eine Frau im Familienkreis ausübt.

 

Kein Wunder, dass die Untertanen ihr Heil allein in der Flucht in den Westen suchen. Da wirkt der Silberne Bär, den Majd Mastoura auf der Berlinale 2016 als bester Darsteller erhielt, wie ein Trostpreis: als hiesige Anerkennung, die ihm daheim versagt bleibt.