Anne Zohra Berrached

Ich habe selbst abgetrieben

Anne Zohra Berrached. Fotoquelle: Paul Katzenberger/ wikipedia.org
In "24 Wochen" muss sich Julia Jentsch zwischen Spätabtreibung und Kind mit Behinderung entscheiden. Ihr Film solle Schuldgefühle bei Frauen mindern, die in ähnlicher Lage selbst abgetrieben haben, erklärt Regisseurin Zohra Berrached im Interview.

Frau Berrached, Ihr Film zeigt das Dilemma zwischen Spätabtreibung und Geburt eines schwer behinderten Kindes. Formuliert „24 Wochen“ eine politische Botschaft?

 

Der Film sagt nicht, ihr sollt das oder jenes tun. Ich zeige nicht diesen Missstand oder jenen auf. Ich sage nur: Das gibt es, schaut her! Der Film urteilt nicht.

 

Man hätte den Film auf viele verschiedene Weisen erzählen können. Sie spitzen auf die Entscheidung einer Frau zu, in deren Bauch ein Fötus heranwächst. Wieso stellen Sie die Rolle der Frau so in den Vordergrund?

 

Info

 

24 Wochen

 

Regie: Anne Zohra Berrached,

103 Min., Deutschland 2016;

mit:  Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Johanna Gastdorf

 

Website zum Film

 

Ich stärke nicht die Rolle der Frau. Als Regisseurin schaffe ich Konflikte im Film – die sollen sich nicht künstlich anfühlen. Für mich ist es spannender, wenn eine Kontroverse entsteht. Dieses Paar hat alles, was es sich wünschen kann. Beide lieben sich, haben ein großes Haus, genug Geld und führen ein schönes Leben. Dann stehen sie vor einer Entscheidung, in der nicht nur ihre persönlichen Wünsche, sondern auch Ethik und Rechtslage eine Rolle spielen.

 

Die Frau steht im Vordergrund, weil sie das Kind in sich trägt; also ist es ihre Entscheidung. Ich erzähle von einer Ausgangslage, in der sich beide Partner einig sind, und frage, was daraus folgt. Wobei beide im Lauf des Films ihre Meinung ändern; am Anfang wollen beide das Kind.

Offizieller Filmtrailer


 

Arzt wollte anonym bleiben

 

Irgendwann bereitet sie sich mit der Hebamme auf die Abtreibung vor…

 

Es war eine echte Hebamme, genau wie der Arzt. Das gesamte Fachpersonal wird von Menschen gespielt, die dasselbe wie im wahren Leben tun. Dafür musste ich einen Arzt finden, der Abtreibungen in der 24. Woche vornimmt, was lange dauerte.

 

Unser Darsteller verlangte, dass sein Gesicht nicht zu sehen sei und sein Name nicht genannt werde; außerdem sollte seine Stimme verzerrt werden. Wir filmten ihn von hinten, denn es geht nicht um ihn, sondern um die Reaktion des Paares. Nachdem der Arzt den Film im Rohschnitt gesehen hatte, sagte er mir, er hätte geweint und sei einverstanden, dass seine Stimme nicht verändert wird.

 

Filmdreh in einer Down-Syndrom-Gruppe

 

Beim Ungeborenen wird das Down-Syndrom diagnostiziert. Im Film besucht das Paar eine Selbsthilfe-Gruppe. Wie war das Drehen in diesem Umfeld?

 

Ich habe dort erfahren, dass Menschen mit Down-Syndrom sehr emotional und sehr individuell sind. Zuviel Stress ist nicht gut für sie, weshalb das Team ruhiger auftreten musste. Ich musste ihnen vieles anders erklären und zeigen; das hat etwas länger gedauert. Aber alle waren ins Team integriert, das war ein sehr schöner Drehtag.

 

Wieso haben sie Hauptrolle als Kabarettistin angelegt?

 

Ich wollte ein Gegengewicht zu diesem schweren Thema schaffen. Deshalb sollte die Hauptrolle eine Kabarettistin übernehmen. Im Drehbuch stand sie anfangs noch als Moderatorin, aber das war mir zu trocken. Am Ende sollte die Frau öffentlich beichten, dass sie ihr Kind abgetrieben hat. Das tun Frauen normalerweise nicht, wie meine Recherche ergab. Sie verheimlichen das; es ist ein Tabu-Thema.

 

Ich weiß, wie alt mein Ungeborenes jetzt wäre

 

Sie haben selbst als junge Frau abgetrieben. Warum haben Sie sich entschieden, dies zum Thema Ihres Diplomfilms zu machen?

 

Man muss zwischen normaler Abtreibung und Spätabtreibung, also nach dem dritten Monat der Schwangerschaft, unterscheiden. Ich selbst habe vor dem dritten Monat abgetrieben und bin mit mir im Reinen. Mir ist wichtig, dass der Film intensive Gefühle weckt; am Anfang hat mir meine eigene Erfahrung dabei geholfen. Ich selbst denke noch öfter an mein Ungeborenes und weiß, wie alt es jetzt wäre. Und ich frage mich, wie eine Frau empfinden würde, die viel später abgetrieben hat.

 

Wie wurde der Film bisher aufgenommen?

 

Ich habe mit mehr Kritik an der Direktheit des Films gerechnet. Ich will mit dem Film nicht zur Abtreibung ermutigen; mir ist wichtig, dass darüber gesprochen wird. Hauptdarstellerin Julia Jentsch zeigt dem Publikum offen ihre Gefühle, beinahe als ob sie ein verwundetes Reh wäre. Dabei hofft der Zuschauer bis zum Schluss, dass sie nicht abtreibt. Was sie aber tut – genau wie 90 Prozent der Frauen in Deutschland.

 

Jede Frau fühlt sich nach Abtreibung schuldig

 

Was gibt der Film denjenigen Zuschauerinnen, die Ähnliches durchgemacht haben?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "24 Wochen" von Anne Zohra Berrached

 

und hier eine Rezension des Films "The Light between Oceans" – emotionales Findelkind-Drama mit Michael Fassbender von Derek Cianfrance

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ein freudiges Ereignis" – realistische Tragikomödie über werdende Eltern von Rémi Bezançon

 

und hier einen Bericht über den Film "Gabrielle – (K)eine ganz normale Liebe" über Sexualität + Liebe unter Behinderten von Louise Archambault.

 

Wenn darüber gesprochen wird, ist die Schuldfrage vielleicht nicht so stark – jede Frau, die abgetrieben hat, fühlt sich danach schuldig. Der Film soll ihr das Gefühl vermitteln, damit nicht allein zu sein.

 

Sie betonen stets die Rolle Ihres Filmteams. Welche Rolle spielt Teamarbeit für Sie?

 

Als Regisseurin bin ich keine Spezialistin; ich gebe nur die Richtung vor. Kameramann und Cutter können vieles, was ich nicht beherrsche. Ich konzentriere mich auf die Arbeit mit den Darstellern; das ist meine Aufgabe. Wirklich ausschlaggebend für den Film ist aber das, was Cutter und Kameramann einbringen; ich mache keinen einzigen Schnitt.

 

Harter Auslese-Prozess

 

Was kommt als nächstes?

Der nächste Film. Durch die Tatsache, dass „24 Wochen“ im Berlinale-Wettbewerb gelaufen ist, bin ich zur Regisseurin geworden. Das wird man erst durch Erfolge. Nur dann bekommt man Geld, um weiter zumachen.

 

Pro Jahr drehen sieben oder acht Filmhochschul-Absolventen einen Debütfilm; einen zweiten Kinofilm schaffen nur noch zwei oder drei von ihnen. Dann muss man Profi-Regisseur sein, oder man ist keiner. Das gelingt pro Jahr oft nur einem oder auch keinem Neuling; so hart ist dieses Geschäft.