Oliver Stone

Snowden

Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt) schmuggelt im Zauberwürfel einen USB-Stick durch die NSA-Sicherheitskontrolle. Foto: Universum Film GmbH
(Kinostart: 22.9.) Porträt des Whistleblowers als NSA-Programmierer: Regisseur Oliver Stone zeigt Edward Snowdens Leben, bevor er mit Enthüllungen einen Mega-Skandal auslöste. Formal konventionell, inhaltlich revolutionär – gewiss Stones wichtigster Film.

Ist das nicht ein Anti-Film par excellence? Dieses biopic eines jungen Patrioten, der als Programmierer beim Geheimdienst eine Blitzkarriere macht und immer umfassendere Befugnisse erhält. Bis er die Konsequenzen seiner Arbeit erkennt und britischen Reportern in Hongkong enthüllt, dass der weltweite Datenverkehr überwacht und gespeichert wird. Womit er erst einen internationalen Skandal auslöst und dann von der Bildfläche verschwindet.

 

Info

 

Snowden

 

Regie: Oliver Stone,

138 Min., USA/ Deutschland/ Frankreich 2016;

mit: Joseph Gordon-Levitt, Rhys Ifans, Nicolas Cage

 

Website zum Film

 

All das ist bekannt; bebildert durch Laura Poitras‘ Oscar-prämierte Doku „Citizenfour“ von 2014. Ebenso, dass Edward Snowden zurecht befürchtete, seine Enthüllungen würden am status quo nichts ändern. Das Kartell der beteiligten Regierungen hat bislang jeden Versuch vereitelt, die flächendeckende Ausspionierung einzustellen oder gesetzlich zu regulieren. Dass sie zumindest in westlichen Demokratien verfassungswidrig ist, stört die Verantwortlichen nicht. Warum auch – die betroffenen Bürger kümmern sich kaum um Datenschutz.

 

Abstraktes wird menschliches Drama

 

Snowdens coup und Flucht ins Exil nach Russland waren 2013 das Medienereignis des Jahres. Seither haben sich Milliarden von internet– und smartphone-Benutzern an den Gedanken gewöhnt, dass sie ständig beobachtet werden – manche zähneknirschend, die meisten achselzuckend. Da kommt der Film von Oliver Stone zur rechten Zeit: Er ruft in Erinnerung, wie allumfassend die jetzige Abhörpraxis ist – mit denkbar katastrophalen Auswirkungen. Indem Stone schafft, was zuvor noch keinem Regisseur gelungen ist: das abstrakte Phänomen in ein menschliches Drama zu verwandeln.

Offizieller Filmtrailer


 

Reise ins Hirn des IT-Avantgardisten

 

Bisher krankten alle Spielfilme über Gefahren der Digitaltechnik am selben Defizit: der Unsichtbarkeit virtueller Prozesse. Schauspieler, die auf Tastaturen tippen, sind völlig unsexy, und Datenströme lassen sich naturgemäß nicht veranschaulichen. Alle Versuche, in Simulations-Szenen Elektronen auf Leiterbahnen herumsausen zu lassen, wirkten bemüht bis lächerlich. Also griffen die Filmemacher auf archaische Strickmuster der analogen Welt zurück; damit entstanden bestenfalls solide thriller, die so altmodisch aussahen wie diese selbst.

 

Oliver Stone wählt einen anderen Ansatz. Da er die Abläufe in Computern nicht filmen kann, bringt er auf die Leinwand, was im Kopf desjenigen vorgeht, der sie steuert. Als ganz normale, chronologisch erzählte Biographie: Die Form ist vertraut, ihr Inhalt nicht. IT-Experten sind die revolutionäre avantgarde unserer Epoche; sie konstruieren und beherrschen Sphären, von deren Existenz durchschnittliche user nicht die leiseste Ahnung haben.

 

Drehbuch mit Moskau abgestimmt

 

Snowden ist einer dieser unsichtbaren Strippenzieher. Während des Irak-Kriegs meldet er sich 2003 zu den Special Forces, doch Beinbrüche beim Training setzen seinem Militärdienst rasch ein Ende. 2005 heuert ihn die CIA als Techniker an, entsendet ihn zwei Jahre später nach Genf und schickt ihn 2009 zurück in die USA. Snowden wechselt zu contractors: Er ist anfangs für „Dell“ in Japan, später für „Booz Allen Hamington“ in Hawaii tätig – und arbeitet stets für NSA-Einrichtungen.

 

Wobei er oft mit denselben Leuten zu tun hat: Die Szene der hacker, die im Geheimdienst-Auftrag an cutting edge technology feilen, wirkt recht überschaubar. Das ließe sich als typische Hollywood-Vereinfachung abtun, hätten nicht Oliver Stone und Drehbuch-Koautor Kieran Fitzgerald mehrfach Snowden in Moskau befragt und ihm die Endfassung des script vorgelegt. Alle dramaturgischen Zuspitzungen wurden also wenigstens von ihm akzeptiert.

 

Im Paralleluniversum der Drohnen-Piloten

 

Dazu mag der James Bond look des riesigen unterirdischen NSA-Bunkers auf Hawaii zählen, in dem Snowden beschäftigt ist. Dort versteckt er eines Tages seinen USB-stick in einem Zauberwürfel, um ihn durch die Sicherheitskontrolle zu schmuggeln; diese Schlüsselszene hat sich in Wirklichkeit anders zugetragen, räumt der Regisseur ein. Zudem schmeichelt er seinem Helden, indem er ihn maßgebliche Überwachungs-Programme federführend erstellen lässt: Geburt und Aufzucht der monströsen Daten-Krake waren sicherlich keine one man show.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Citizenfour” – beeindruckende Doku von Laura Poitras über Abhörskandal-Enthüller Edward Snowden

 

und hier den Artikel "The Holder of Secrets" von George Packer in der US-Zeitschrift „The New Yorker“ über die Entstehungsgeschichte von "Citizenfour"

 

 und hier eine Besprechung des Films “We Steal Secrets: The Story of WikiLeaks” – anschauliche Doku von Alex Gibney mit Julian Assange + Bradley Manning

 

und hier einen Beitrag über den Film "Savages" – Thriller über Drogenkrieg in Kalifornien von Oliver Stone mit Salma Hayek + Benicio del Toro.

 

Was den Erkenntniswert solcher Passagen nicht mindert: Erstmals bietet das Kino Einblick in das Paralleluniversum von Geheimdiensten im cyberwar age. Darin sind die Hauptakteure tekkies in streetwear, die sich bei Pizza und grunge rock daran berauschen, die ganze Welt im Visier zu haben – und Tausende Kilometer entfernt per Knopfdruck mittels Drohnen Menschen zu liquidieren. Mit laut Schätzungen mindestens 4000 Opfern in zwölf Jahren.

 

Sex-Spionage als Ausstiegs-Auslöser

 

Das stößt Snowden ab – was man seinem Darsteller Joseph Gordon-Levitt sofort abnimmt. Er spielt den introvertierten IT-freak so kontrolliert und überzeugend, als hätte er jahrelang ein Büro mit ihm geteilt. Doch Gordon-Levitt kann auch ausrasten, wenn er mit seiner Freundin Lindsay Mills (Shailene Woodley) streitet. Ihr ist eine wichtige Rolle zugedacht: als Stimme des common sense in diesem künstlichen Kosmos aus codes, data mining und security checks.

 

Sie wird auch zum Auslöser für seinen Ausstieg aus dem System: Als er entdeckt, dass seine Kollegen ihr Schlafzimmer ausspähen. Sex-Spionage als Abschaffung aller Privatsphäre – spätestens das stellt die ungeheuerlichen Ausmaße von Big Brother 2.0 klar. Was Oliver Stone ohne die ihm sonst eigene Schwarzweiß-Malerei vor Augen führt: Da macht sich der Einfluss des nüchternen Naturells von Snowden segensreich bemerkbar.

 

Stone hatte als Regisseur stets große Formschwankungen. In seinem Werk stehen technisch brillante und absolut fesselnde Filme wie „Platoon“ (1986) und „Natural Born Killers“ (1994) neben krudem Agitprop wie „Comandante“ (2003) über Fidel Castro oder „Savages“ (2012). „Snowden“ zählt eindeutig zur ersten Kategorie: als sein vielleicht bester, gewiss aber wichtigster Film.