München

World of Malls – Architekturen des Konsums

El Helicoide von J.R. Gutiérrez, P. Neuberger, D. Bornhorst, 1955-1960, Caracas, Venezuela; © Pietro Paolini/TerraPro. Fotoquelle: Pinakothek der Moderne, München
Shop til you drop: Einkaufszentren sind die Kathedralen der Konsum- Gesellschaft. Ihre Geschichte zeichnet die Pinakothek der Moderne originell mit gelungenen und gescheiterten Beispielen nach – ignoriert aber die wahren Ursachen für ihren weltweiten Erfolg.

Alte Stierkampf-Arena + abgerissenes Schloss

 

Selten gelingt das so geschmackvoll wie 2011 beim „Aldar Central Market“ von Norman Foster. Die Gestaltung dieses „Luxus-Souk“ in Abu Dhabi ist an traditionelle arabische maschrabiyya angelehnt: Dekorativ durchbrochene Holzgitter sorgen für abwechslungsreiches Licht- und Schattenspiel. Andere Einkaufszentren nisten sich in funktionslos gewordenen Monumente ein: Für „Las Arenas“ wurde 2011 die alte Stierkampf-Arena von Barcelona umgebaut.

 

Oder sie lassen Baudenkmäler neu auferstehen: Als Blickfang seiner „Schloss-Arkaden“ in Braunschweig rekonstruierte Marktführer „ECE Projektmanagement“ 2007 die Vorderfront des 1960 abgerissenen Stadtschlosses. Meist fallen Konsumtempel aber stromlinienförmiger aus: Auf einem Hügel thront das 2013 eingeweihte „Zorlu Center“ mit vier Wohntürmen wie eine Festung über Istanbul.

 

Freizeitspaß für die ganze Familie

 

Nicht jede Protzerei ist profitabel: Die „New South China Mall“ in Dongguan, bei der Eröffnung 2005 die größte der Welt, steht trotz eines Einzugsgebiets mit 23 Millionen Verbrauchern inzwischen halb leer – obwohl sie Rummelplatz, Vergnügungspark und sightseeing-Meile bietet. Solcher fun for all the family scheint inzwischen unerlässlich.

 

Die kanadische „West Edmonton Mall“ lockt mit dem Nachbau von Kolumbus‘ Karavelle im Spaßbad; die „Dubai Mall“ mit dreistöckigem Aquarium samt 33.000 Fischen; die „Mall of the Emirates“ in der Nachbarschaft mit der weltgrößten indoor-Skipiste. Im Vergleich dazu wirkt eine Eislaufbahn unterm Dach der „Central World“ im tropischen Bangkok als dürftige Mindest-Ausstattung.

 

Wellensurfen + Fliegen im Windkanal

 

Wie weit wird die Branche ihre Disneylandisierung treiben? Das neben dem erfolgreichen „Alexa“ in Berlin-Mitte geplante „VOLT“ verspricht ab 2018 indoor-Wellensurfen und body flying im gläsernen Windkanal. Aber wollen die Leute Einkaufen plus Extremsportarten? Welchen Mehrwert bieten eigentlich shopping centers? Dass sie Bewohnern der Vorstädte oder Provinz ihre Versorgung erleichtern, ist klar. Aber in Metropolen mit – noch – intakten Innenstädten und Fachgeschäften mit überbordendem Warenangebot?

 

Pessimisten sagen das Ende des Siegeszugs von shopping malls voraus: Der florierende online-Handel werde ihnen ebenso den Garaus machen wie dem stationären Einzelhandel. Dagegen betonen Optimisten das sinnliche Einkaufs-Erlebnis, das mouse clicks und Paketannahme nicht gewähren. Dafür spricht, dass ständig mehr online-Händler Filialgeschäfte eröffnen – sowie die Erfahrung der Filmindustrie: DVDs und streaming-Dienste haben dem Kinobesuch als sozialem Ereignis zwar zugesetzt, ihn aber nicht abgelöst.

 

Mood management bleibt unerwähnt

 

Über die Psychologie des Einkaufens schweigt sich die Ausstellung völlig aus. Sie wurde von und für Architekten erstellt, die sich trotz aller Lippenbekenntnisse zu sozialer Verantwortung vor allem für Raumaufteilung, Verkaufsflächen und Verkehrsflüsse interessieren. Wegen dieser Haltung wird die Welt immer weiter mit Glasstahlbeton-Schuhschachteln zugerümpelt – der Publizist Hans Magnus Enzensberger schmäht heutige Architektur als „terroristische Kunst“.

 

Daher bleiben viele relevante Aspekte unerwähnt. Etwa die Bedeutung von Ankermietern, deren Sortiment viele Käufer ins shopping center holt, wovon kleinere Geschäfte profitieren. Oder das Hundeknochen-Prinzip: Zwei Ankermieter an beiden Enden einer Einkaufsmeile erzeugen Laufkundschaft für die Läden dazwischen. Oder das so genannte mood management: Dekoration, Berieselung mit Musik und künstliche Düfte sollen die Kauflust steigern.

 

Gustav Stresemann weiß Rat

 

Doch warum gehen Leute überhaupt in malls? Die Antwort findet sich im so informativen wie kostspieligen Katalog – als Zitat aus einer 116 Jahre alten Warenhaus-Studie des späteren Reichskanzlers und Friedensnobelpreisträgers Gustav Stresemann: „Hat man Bekannte gefunden oder mitgebracht, so bleibt man wohl plaudernd längere Zeit sitzen, zeigt sich die gegenseitigen Einkäufe und reizt sich dadurch gegenseitig zu neuen Ausgaben.“ Sehen und gesehen werden, sich unterhalten und gemeinsam etwas erleben: Das macht große Einkaufs-Areale attraktiv.

 

Hohe Aufenthaltsqualität in Leipzig

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Zoom! Architektur und Stadt im Bild" mit Fotografie über aktuelle Stadtentwicklung in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Architecture China – The 100 Contemporary Projects" – Überblick über u.a. chinesische Geschäftszentren in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Supermarket of the Dead" – originelle Einsichten in Konsumismus + Vermögensvernichtung in China im Residenzschloss, Dresden.

 

Wie seit jeher auf Marktplätzen, die schon immer auch Belustigung und Remmidemmi boten; shopping malls sind ihre high tech-Nachfolger. Deren Rentabilität weniger auf Gigantomanie als Verdichtung beruht: Sie sollen möglichst viele abwechslungsreiche Eindrücke liefern. Und zugleich eine Komfortzone, in der keine Irritationen – ob Schmutz, graffiti, Bettler oder Demonstranten –  die Behaglichkeit stören.

 

Wohlfühl-Kokons sind in unserer sicherheits-süchtigen Zeit begehrt: Wer oder was gegen die Hausordnung des Betreibers verstößt, wird vom Wachdienst sofort entfernt. Solchen Genuss ohne Reue versprechen so unspektakulär wie überzeugend seit 2012 die „Höfe am Brühl“ in Leipzig: Sie bilden kleinteilig innerstädtische Handelshäuser samt -höfen nach und integrieren die „Blechbüchsen“-Fassade des früheren DDR-Kaufhauses – das sorgt für hohe Aufenthaltsqualität, würden Makler sagen.

 

Ein Fünftel der US-malls kriselt

 

Noch pfiffiger wehrt sich Bad Münstereifel gegen Moloche auf der grünen Wiese: Die restaurierte mittelalterliche Altstadt wurde 2014 in ein „Outlet-Center“ mit 30 Ladenlokalen umgewandelt. Nun kommen Einkaufs-Touristen aus den nahen Niederlanden; sie schätzen das malerische Ambiente. Ähnliches ist im niedersächsischen Celle geglückt.

 

Die Frage lautet also nicht, ob, sondern welche center-Konzepte künftig Erfolg versprechend sein werden. Keinesfalls Kopien des Immergleichen: Etwa 20 Prozent der US-malls kriseln mit mehr als zehn Prozent Leerstand; drei Prozent gelten als „praktisch tot“, weil fast zur Hälfte unvermietet.

 

Schneckenhaus-Ruine in Caracas

 

Auch das ist nicht neu: 1955 begann in Caracas die Errichtung von „El Helicoide“ („Das Schneckenhaus“). Der spektakuläre Rundbau sollte der reichen Oberschicht gestatten, mit dem Auto auf spiralförmigen Beton-Rampen bis vor das Geschäft ihrer Wahl zu fahren. Er wurde nie fertig; seither nutzen die Ruine nacheinander Obdachlose, Venezuelas Geheimdienst und die Polizei.