Friedrich Moser

A Good American

Der frühere NSA-Verschlüsselungs-Experte Bill Binney heute. Foto: Drop Out Cinema
(Kinostart: 3.11.) Die gute Daten-Krake: Für den NSA-Geheimdienst entwickelte Bill Binney ein Abhörprogramm, das die Privatsphäre schützte – er wurde kaltgestellt. Die Doku von Friedrich Moser schildert die Geschichte vor Edward Snowdens Enthüllungen.

Er könnte der Vater von Edward Snowden sein: Als der zurzeit berühmteste politische Flüchtling der Welt noch nicht geboren war, hatte der heute 73-jährige William „Bill“ Binney bereits eine steile Karriere beim US-Auslandsgeheimdienst NSA absolviert. In den 1970/80er Jahren analysierte Binney militärische Aktivitäten im Ostblock – nach eigenen Angaben sagte er 1979 den Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan voraus.

 

Info

 

A Good American

 

Regie: Friedrich Moser,

100 Min., Österreich 2015;

mit: Bill Binney, Diane Roark, Ed Loomis, Kirk Wiebe

 

Website zum Film

 

Später entwickelte er mit einem kleinen team das Überwachungs-Programm „ThinThread“: Es sollte durch Metadaten-Analyse Terroristen aufspüren und dabei die Privatsphäre der Bevölkerung schützen. Dieses Projekt ließ der damalige NSA-Chef Michael Hayden drei Wochen vor den Attentaten vom 9. September 2001 einstellen. Stattdessen wurde das enorm aufwändige „Trailblazer“-System installiert, dass sich um Datenschutz nicht scherte.

 

Zeuge vor NSA-Untersuchungsausschuss

 

Aus Protest verließ Binney Ende Oktober 2001 die NSA; seither betätigt er sich als whistleblower, der vor illegaler Totalüberwachung durch westliche Geheimdienste warnt. Auf der Leinwand konnte man ihn schon im Oscar-prämierten Dokumentarfilm „Citizenfour“ von Laura Poitras erleben: Darin ist Binney zu sehen, wie er im Juli 2014 als erster Zeuge vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagt. Nach diesem Kurzauftritt erzählt nun der österreichische Regisseur Friedrich Moser the full story.

Offizieller Filmtrailer


 

Entschlüsselung nur bei Terrorverdacht

 

Anfangs als konventionelles biopic: Mit Archiv-Aufnahmen und re-enactment wird bebildert, wie der junge Binney während des Vietnam-Kriegs sein Konzept der Metadaten-Analyse ausarbeitete. Vereinfacht gesagt, wird dabei nicht der Inhalt von Kommunikation gespeichert und ausgewertet, sondern ihre Struktur: Wer kontaktiert wen und wo, wie oft und wie lange? Da Menschen in organisierten Gruppen agieren, kann man aus diesen Metadaten Muster herauslesen, etwa von Hierarchien und Befehlsketten. Damit ließen sich Kriminelle und Terroristen aufspüren, so Binney, ohne das Gesagte oder Geschriebene selbst zu kennen.

 

Auf diese Weise wollte sein team die NSA ins cyberwar age katapultieren. Deren technische Ausstattung sei Mitte der 1990er Jahre völlig veraltet gewesen, erzählt Diane Roark, die im zuständigen Komitee des US-Abgeordnetenhauses tätig war: Der Geheimdienst drohte im gesammelten Wust von Informationen unterzugehen. Mit „ThinThread“ wäre deren effiziente Auswertung samt Datenschutz möglich gewesen, ist sie überzeugt: Nur bei akutem Terrorverdacht wären die jeweiligen Datensätze entschlüsselt und realen Personen zugeordnet worden.

 

Eine Milliarde Dollar Programmier-Kosten

 

Doch die NSA-Führungsriege schaltete „ThinThread“ ab. Nach dem Einsturz des World Trade Center wurden den Geheimdiensten riesige Summen bewilligt – das viele Geld wollte ausgegeben werden. Am „Trailblazer“-System der Total-Datenerfassung arbeiteten Hunderte von Informatikern. Offenbar krankte das Vorhaben an Größenwahn: Als man 2006 den Stecker zog, hatte es mehr als eine Milliarde US-Dollar verschlungen. Doch das Prinzip der Rundum-Überwachung behielt die NSA auch beim Nachfolge-Projekt „Turbulence“ bei – es stand Pate für die Abhör-Programme, die Edward Snowden enthüllt hat.

 

2002 reichten Roark, Binney und Ex-Kollegen beim US-Verteidigungsministerium Beschwerde gegen „Trailblazer“ ein: wegen Verschwendung öffentlicher Mittel, Betrugs und illegaler Abhör-Praktiken. Dem folgte eine jahrelange Schlammschlacht mit NSA und FBI; sie wird nach dem Muster David gegen Goliath ausführlich nachgezeichnet.

 

Entweder geheim oder völlig abstrakt

 

Inwieweit dieser Kampf zur Verteidigung von Bürgerrechten auch ein Rachefeldzug ausgebooteter high tech-Experten war, können Außenstehende kaum beurteilen. Zumal die andere Seite schweigt: Dazu wollte sich kein NSA- oder Regierungs-Vertreter äußern, versichert Regisseur Moser.

 

Er gibt sich größte Mühe, das sperrige Thema visuell attraktiv aufzubereiten: Nachgespielte Szenen, 3D-Simulationen von Kommunikations-Modellen und dramatischer score sollen Binneys Tun anschaulich machen. Aber es hilft wenig: Entweder waren die fraglichen Vorgänge streng geheim, so dass es keine Originalbilder gibt – oder sie sind völlig abstrakt, wie etwa die Konstruktion unterschiedlicher Überwachungs-Programme. Alles optisch sehr unergiebig.

 

Allmachtsfantasie nach Sowjet-Vorbild

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Snowden" - brillantes Biopic über den Whistleblower Edward Snowden von Oliver Stone

 

und hier einen Bericht über den Film “Citizenfour” – Oscar-prämierte Doku über den Überwachungs-Enthüller Edward Snowden mit Bill Binney von Laura Poitras

 

und hier einen Beitrag über den Film “We Steal Secrets: The Story of WikiLeaks” – anschauliche Doku von Alex Gibney mit Julian Assange + Bradley Manning

 

So gleicht der Film über weite Strecken einem illustrierten Hörspiel: Binney und Mitstreiter erzählen als talking heads, wie ihnen übel mitgespielt wurde, während malerisch dräuende secret service-Symbolbilder ablaufen. Dass es dabei recht IT-lastig zugeht, verwundert kaum. Wobei cutting edge technology stets so menschenfreundlich oder -feindlich ist wie diejenigen, die sie benutzen: Wie kam es, dass die Regierung im Land des 4. Verfassungs-Zusatzes, der vor staatlichen Übergriffen schützt, das Grundrecht auf Privatsphäre beiseite fegte?

 

Bei allem Verständnis für die damalige Post-9/11-Hysterie: Die Verantwortlichen votierten für eine totalitäre Allmachtsfantasie nach dem Vorbild ihres ideologischen Erzfeinds, der untergegangenen Sowjetunion. Diese Abschaffung von Transparenz und checks and balances hat die Obama-Administration kaum rückgängig gemacht – obwohl sie sich auf das civil rights mouvement beruft.

 

David gegen BND-Goliath

 

Vielleicht wird „Trailblazer“ dereinst als Anfang vom Ende der westlichen Demokratien as we knew them gelten. Oder sie raffen sich zur Selbstverteidigung auf: Das vor zehn Tagen vom Bundestag beschlossene BND-Gesetz bestellt einen „Ständigen Bevollmächtigten“, der im Parlaments-Auftrag kontinuierlich den Geheimdienst kontrollieren soll. David gegen Goliath, gewiss – aber ein Anfang ist gemacht.