Berlin

Dada Afrika – Dialog mit dem Fremden

Hannah Höch: Ohne Titel (Aus einem ethnographischen Museum), 1930, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © VG BILD-KUNST Bonn, 2016. Fotoquelle: Berlinische Galerie, Berlin
Avantgarde mit Faible für Exotik: Die Dadaisten begeisterten sich für außereuropäische Kulturen. Wie vielfältig das ihr Schaffen inspirierte, zeigt die Berlinische Galerie – und übertreibt, indem sie diese Künstler zu Afrika-Verstehern hochstilisiert.

Diese Gedenk-Ausstellung passt zum Jubilar: 2016 wird die Dada-Bewegung 100 Jahre alt. Anstatt wie andernorts Werdegang und Wirken einzelner Akteure zu würdigen, arbeiten zwei Museen aus den Dada-Geburtsstädten Zürich und Berlin zusammen, um einen bislang kaum beachteten Aspekt zu beleuchten: den Einfluss außereuropäischer Kunst auf die Avantgardisten. Solche Grenzüberschreitungen waren ein Markenzeichen dieser Bilderstürmer.

 

Info

 

Dada Afrika -
Dialog mit dem Fremden

 

05.08.2016 - 07.11.2016

täglich außer dienstags

10 bis 18 Uhr

in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Berlin

 

Katalog 34,80 €

 

Weitere Informationen

 

Die vom Züricher Museum Rietberg konzipierte und vorwiegend aus eigenen Beständen bestückte Schau wurde dort bis Juli gezeigt; anschließend zog sie in die Berlinische Galerie um. Dort wirkt eine Raumflucht aus drei großen Sälen nur spärlich gefüllt, da die meisten der 120 Exponate recht kleinteilig sind: Grafik, Collagen, Fotos und andere Flachware – dazwischen verstreute Beispiele traditioneller Kunst erscheinen als Treibgut. Bloß kein opulenter Augenschmaus; das ist ganz im Sinne von Dada.

 

Ohne Begleitheft unverständlich

 

Ihre visuell karges arrangement haben die Schweizer Kuratoren zudem in fünf Sektionen mit elf Unterabteilungen gegliedert, die wie puzzle-Teile miteinander verschränkt sind. Eine bemüht überkomplexe Präsentation: Ohne das ausführliche Gratis-Begleitheft begreift man wenig, denn kaum ein Objekt erklärt sich von selbst. Nur selten wird anschaulich vorgeführt, wie Dadaisten exotische Motive aufgegriffen und weiter verarbeitet haben.

Trailer zur Ausstellung mit etlichen Werkbeispielen; © Berlinische Galerie


 

Dada als erste performance-Kunst

 

Wobei der Ausstellungs-Titel das Thema lautmalerisch verengt. Der Horizont wichtiger Dada-Vertreter war weiter: Sophie Taeuber-Arp ließ sich von indianischen Katsina-Figuren anregen. Marcel Janco gestaltete Masken nach volkstümlichen Vorbildern aus der Schweiz und Japan. Tristan Tzara sammelte Artefakte aus Ozeanien und verwendete Maori-Liedzeilen für seine Lautgedichte. Es geht also um die Rezeption aller nichtwestlichen Kulturen auf drei Kontinenten, die man damals „primitive“ nannte. Aber „Dada Übersee“ klingt nicht so gut.

 

Formen und Gestaltung fremdländischer Masken und Skulpturen hatten zuvor schon Kubisten und Expressionisten begeistert und inspiriert. Doch die Dadaisten gingen darüber hinaus, so die These der Macher, indem sie „das ‚Fremde‘ mit dem ‚Eigenen‘ zusammenbrachten“: als „diskursive Verlebendigung der außereuropäischen Ausdrucksformen“. Damit sind etwa Skulpturen aus Alltags-Materialien und Collagen aus Zeitungs-Schnipseln gemeint. Oder Auftritte im Züricher „Cabaret Voltaire“, dem Geburtsort der Bewegung, die vermeintlich an afrikanische Riten angelehnt waren: Dada als erste performance-Kunst.

 

Mit „Negerplastik“-Buch fängt alles an

 

Dieser erweiterte Kunstbegriff wird arg überdehnt, wenn Afrika sogar musikalisch Dada-ensembles geprägt haben soll – weil deren Kakophonie für Zuhörer so schräg und unmelodisch klang wie der aufkommende jazz. Der ist zwar auch afro-, aber vor allem -amerikanisch. Dagegen liegen afrikanische Quellen der dadaistischen Bildproduktion deutlich zutage. Maßgeblich war die Pionier-Studie „Negerplastik“, die Carl Einstein 1915 veröffentlichte: Darin analysierte er erstmals die polyperspektivische Ästhetik solcher Kunstwerke.

 

Schon die erste Ausstellung der Bewegung 1917 in der Züricher Galerie Corray lief unter dem Titel „Dada. Cubistes. Art Nègre“ – ein klares Bekenntnis zur Gleichrangigkeit westlicher Avantgarde und nichteuropäischer Kunst. Diesen Ansatz verfolgte wohl am konsequentesten Hannah Höch. Auf ihren Fotocollagen kombinierte sie häufig beide Sphären miteinander, etwa in der vielteiligen Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ aus den 1920er Jahren.

 

Rein visuelle Analogien

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hannah Höch: Revolutionärin der Kunst – Das Werk nach 1945" - in der Kunsthalle Mannheim

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Minkisi – Skulpturen vom unteren Kongo" mit traditionellen, faszinierenden Nagel-Fetischen im Grassi Museum, Leipzig

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Traumanatomie" über die Dada-Pioniere Hugo Ball + Hans Arp im Arp Museum, Remagen

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Afrikanische Meister: Kunst der Elfenbeinküste" - gute Überblicks-Schau des Züricher Museums Rietberg über westafrikanische Kulturen in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Weltkunst – Von Buddha bis Picasso: Die Sammlung Eduard von der Heydt" - opulente Hommage an den Gründungsstifter des Züricher Museums Rietberg im Von der Heydt-Museum, Wuppertal.

 

Da wird das Bild eines Bubikopf-starlet dem edel geschwungenen Torso der Khmer-Göttin Uma aufgesetzt. Oder der anthropomorphe Aufsatz einer Flöte aus dem Sepik-Gebiet in Papua-Neuguinea verwandelt sich in den Kopf einer Statuette im geometrischen Reifrock. Oder eine Hörner-Maske der Guro an der Elfenbeinküste wird zum Haupt eines bizarr verdrehten „Denkmal I“. Diese Beispiele aus aller Welt zeigen: Höch war am fremdartigen Erscheinungsbild der von ihr verwendeten Elemente interessiert, nicht an ihrer geographischen Herkunft.

 

Ähnlich verhält es sich bei den meisten Arbeiten. Zwar sorgen Gegenüberstellungen von exotischem Original, zeitgenössischen Reproduktionen und Weiterverarbeitung in Dada-Werken für beliebte Wiedererkennungs-Effekte, doch die Analogien bleiben rein visuell. Die Dadaisten kannten Afrika nur aus zweiter Hand; eine vertiefte Beschäftigung mit dem schwarzen Kontinent blieb aus. Romantischer Rousseauismus prägte ihre Vorstellungen: als Gegenmodell zur europäischen Zivilisation, die im Ersten Weltkrieg zerfiel.

 

Nagel-Fetisch + Hausmann-Kopf

 

So imponierte Marcel Janco an afrikanischen Kunstwerken „das unbewusste Können, der ehrliche, primäre, reine Erlebnisausdruck“. Er sah ein „Handwerk, so intensiv und echt, dass alles, was sie bauen, die Gerüche des Blutes, die Farbe des Lebens und die Form der Ewigkeit hat“. Diese vitalistische Blut-und-Kunsthandwerk-Auffassung war sicher humaner, aber kaum weniger schlicht als die Variante, die in Deutschland nach 1933 propagiert wurde.

 

Insofern übertreibt die Ausstellung, wenn sie eine Inspirationslinie von minkisi-Figuren aus dem Kongo zum berühmten „Mechanischen Kopf“ (1919) von Raoul Hausmann zieht. Fetische, in die man Nägel einschlug, damit ihnen innewohnende Kräfte entweichen können, folgen ganz anderen Gestaltungsprinzipien als Hausmanns assemblage aus objets trouvés.

 

Erlaubt war, was Eindruck machte

 

Die Dadaisten eigneten sich unvoreingenommen exotische Ausdrucksformen an und nutzten sie für ihre Zwecke: Erlaubt war, was Eindruck machte. Ihnen aber mit heutiger politischer Korrektheit tiefe Einsichten in archaische Kulturen oder gar einen „Dialog mit dem Fremden“ zu unterstellen, geht zu weit: Sie waren antikolonialistisch, doch keine Afrika-Versteher.