Porträt der Lyrik-Genies als junge Dichter: Ingeborg Bachmann (1926-1973) und Paul Celan (1920-1970) trafen sich drei Jahre nach Kriegsende 1948 in Wien. Sie war noch Studentin. Er war auf der Flucht aus Rumänien gen Westen; seine Eltern waren in Konzentrationslagern gestorben. Die beiden Jungautoren wurden Liebende, gingen aber wenig später getrennte Wege. Das war der Beginn eines Briefwechsels, der bis zu Celans Freitod in Paris 1970 fortdauerte; er wurde 2008 unter dem Titel „Herzzeit“ in Buchform veröffentlicht.
Info
Die Geträumten
Regie: Ruth Beckermann,
89 Min., Österreich 2016;
mit: Anja Plaschg, Laurence Rupp
Briefe über alle Liebes-Aspekte
Celan und Bachmann wussten wohl mehr über die Kraft von Wörtern als die meisten Menschen. Sie schrieben sich Briefe über ihre Liebe – erst euphorisch, dann zunehmend zweifelnd, später bitter, dann wieder versöhnlich. Sie sprachen ihre künstlerische Entwicklung und Karrieren an, suchten beieinander Rat und Bestätigung, stritten und vertrugen sich – auch als Celan 1952 in Paris die Grafikerin Gisèle Lestrange heiratete.
Offizieller Filmtrailer
Eltern-Herkunft gebiert Riss
Dabei überlagern sich die Briefe mit dem jeweiligen Werk. In der Auswahl von Regisseurin Beckmann spielt die Metapher von „Mohn und Gedächtnis“ aus dem Gedicht „Corona“ eine zentrale Rolle; Celan hatte es Bachmann gewidmet und darin eine Liebe beschrieben, die von Sehnsucht nach Auslöschung und Auflösung geprägt ist.
Noch aussagekräftiger für den Charakter der Beziehung ist Celans Gedicht “In Ägypten”. Dessen Verse tauchen wiederholt auf und verweisen auf den Riss zwischen beiden. Celans Eltern waren als rumänische Juden ermordet worden; Bachmanns österreichischer Vater war NS-Parteimitglied gewesen. So kehrt leitmotivisch Bachmanns Frage immer wieder zurück: “Sind wir nur die Geträumten?”
Abgleich mit eigenen Erfahrungen
Die Tiefe der Abgründe und die Sprachkunst jener, die versuchen, darüber hinweg aneinander Glück zu finden, machen beide Vortragende in den zwischendurch eingefügten Pausen-Gesprächen zunächst sprachlos. Anja Plaschg wird mehr als einmal von der Trauer in Bachmanns Briefen überwältigt; nach rührend unbeholfenem Herantasten beginnen sie und Rupp, über ihre Rollen zu diskutieren.
Dabei gleichen sie nicht nur die Emotionen und Stimmungen zweier Liebender, die voneinander getrennt sind, mit eigenen Erfahrungen ab; es geht auch um die Verortung des eigenen kreativen Weges. Etwa bei einem kleinen Exkurs zur Musik, in dem Plaschg ihr Misstrauen gegenüber tradierten Formen erklärt; es lohnt sich, dazu ihre Aufnahmen als „Soap&Skin“ an- oder wiederzuhören.
Leinwand-Lesungen von Verbrechern
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft“ - brillantes Literaturbetriebs-Drama mit Jude Law von Michael Grandage
und hier einen Bericht über den Film „Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika“ – beeindruckendes Biopic über den Star-Autor im Exil von Maria Schrader mit Josef Hader
und hier einen Beitrag über den Film „Die Poetin“ – Biopic über die US-Dichterin Elizabeth Bishop im brasilianischen Exil von Bruno Barreto
Das deutschsprachige Kino wollte seine Wurzeln im Sprechtheater niemals gänzlich kappen; daher gab es öfter Versuche, szenische Lesungen für die Leinwand aufzubereiten. Nur beruhten Filme wie „Der Totmacher“ (1995) über den 1920er-Jahre-Serienmörder Fritz Haarmann oder „Das Himmler-Projekt“ (2000) über die erste Posener Rede des SS-Reichsführers 1943, beide von Romuald Kamarkar gedreht, auf Zeugnissen von – noch dazu besonders abscheulichen – Verbrechen und den dafür Verantwortlichen.
Mehr als bebildertes Hörspiel
Sie vor laufender Kamera vorzulesen, waren Sololeistungen der vortragenden Schauspieler – eine monotone und -thematische one way-Kommunikation, die den Tätern bizarrerweise mehr Aufmerksamkeit einräumte als den Opfern. Die Vierer-Konstellation dieses Films eröffnet dagegen ein dynamischeres Bedeutungsfeld: nicht minder schockierend, aber durch fließende Übergänge von Lektüre und Performanz bei beiden Vortragenden ungleich interessanter und humanistischer.
Damit werden “Die Geträumten” zu weit mehr als einem bebilderten Hörspiel. Zwar hat sicher schon irgendein Produzent das Drehbuch für eine gebührenfinanzierte TV-Schmonzette in der Schublade – aber dem ist diese Version allemal vorzuziehen.