Zurück zur Mehrzweckhalle: Die Phase, in der exzentrisch gestaltete Museums-Neubauten quasi selbst ihr spektakulärstes Exponat wurden, ist offenbar vorbei. Ob der im April eingeweihte Erweiterungsbau des Kunstmuseums Basel, ganz grau in grau gestaltet, oder der Entwurf von Herzog & de Meuron für das geplante Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin, dessen Backstein-Block wie eine Scheune oder ein Hangar aussieht – der Trend geht zur schlichten Kiste. Allein edle Materialien erinnern dezent an die hochkulturelle Bestimmung des Hauses.
Info
130% Sprengel. Sammlung Pur
05.06.2016 - 29.01.2017
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
dienstags bis 20 Uhr
im Sprengel Museum, Kurt-Schwitters-Platz, Hannover
Neustart mit sechs Sonderschauen
Zur Eröffnung des Erweiterungsbaus Anfang Juni hat das Museum nicht nur seine Kollektion neu gegliedert. Es zeigt auch ein halbes Dutzend Sonderschauen: vom eigenen „Kosmos“ für den Hausheiligen und gebürtigen Hannoveraner Kurt Schwitters mit seinen Dada-Merzbildern über eine Parade der drall-bunten „Nanas“ von Niki de Saint Phalle bis zur stark erweiterten Foto-Abteilung. Kernstück ist aber die veränderte Präsentation der ständigen Sammlung: Kunst nach 1945 im Altbau, Klassische Moderne im Neubau.
Impressionen des Erweiterungsbaus vor der Einweihung; © walkoArt
Sprengel wurde Sammler nach „Entartete Kunst“
Der Rundgang beginnt mit einer hommage an das Sammler-Ehepaar Margit und Bernhard Sprengel. Es schenkte seine umfangreiche Kunst-Kollektion 1969 der Stadt Hannover, schoss einen Teil der Baukosten zu und ermöglichte damit die Einrichtung des 1979 eröffneten Museums; fünf Jahre später erhielt es seinen Namen. Ironie der Geschichte: Der Schokoladen-Fabrikant und seine Frau hatten ausgerechnet durch die NS-Femeschau „Entartete Kunst“ 1937 Geschmack an moderner Kunst gefunden; nach deren Besuch erwarben sie die erste Arbeit.
Das Museum lässt nun die klassische Moderne mit dem Kubismus von Pablo Picasso, Juan Gris und Henri Laurens beginnen. Nebenan hängt ein Prunkstück des Hauses: „Die Straße dringt in das Haus“ (1911) von Umberto Boccioni ist eines der wenigen Hauptwerke des italienischen Futurismus in deutschem Besitz. Die Aussicht einer Dame von ihrem Balkon auf eine Großbaustelle zwischen Häuserzeilen demonstriert formvollendet das futuristische Gestaltungsprinzip dynamischer Kraftlinien.
Brücke auf Gelb, Blauer Reiter auf Rot
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Sculpture on the Move 1946–2016" zur Eröffnung des Erweiterungsbaus des Kunstmuseums Basel
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Menschliches – Allzumenschliches" mit Werken der Neuen Sachlichkeit im Lenbachhaus, München
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Dix/Beckmann: Mythos Welt" mit Werken von Otto Dix + Max Beckmann in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Pablo Picasso: Frauen – Stiere – Alte Meister" – hervorragende Grafik-Ausstellung im Kupferstichkabinett, Berlin
und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Traum-Bilder – Die Wormland-Schenkung" – mit Werken des Surrealismus von Max Ernst, René Magritte, Salvador Dalí und anderen in der Pinakothek der Moderne, München.
Horizont der 1920/30er Jahre abgesteckt
Dagegen werden im Raum nebenan die Bilder von Mitgliedern des „Blauen Reiters“ wie Franz Marc, Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin oder August Macke von der purpurroten Wandfarbe fast verschluckt – hoffentlich bleicht sie bald etwas aus. Gut ausbalanciert ist hingegen der Kontrast von Bildern der Neuen Sachlichkeit, etwa von Otto Dix, Christian Schad oder der Hannoveranerin Grethe Jürgens, mit Bauhaus-Konstruktivisten wie Oskar Schlemmer einerseits und Surrealisten wie Max Ernst, Paul Delvaux oder Yves Tanguy andererseits: Die Gegenüberstellung steckt quasi den künstlerischen Horizont der 1920/30er Jahre ab.
Etwas aus der Chronologie fällt ein Raum, der ausschließlich Picasso, Paul Klee und Max Beckmann gewidmet ist: Hier werden Publikumslieblinge versammelt. Stark ist jedoch wiederum der Schlussakkord mit Künstlern wie Beckmann, Max Ernst und Schwitters, die nach 1933 ins Exil getrieben wurden, in Konfrontation mit mehr oder weniger NS-regimetreuen Kollegen wie Franz Radziwill. Er ist mit dem ambivalenten Gemälde „Deutschland 1944“ vertreten: Hinter einer mondänen Raucherin mit Augenklappe zerfällt eine hermetisch-surreale Welt.
Weiße Nachkriegs-Leere
Eine abgeschlossene Welt ist auch die klassische Moderne im Erweiterungsbau: Nur eine Tür führt zum Durchgangs-Saal mit mobiles von Alexander Calder und mächtiger Rampe. Sie gewährt Einlass zur Abteilung mit Nachkriegskunst – und die glänzt durch strahlend weiße Leere. Auf sieben Säle sind nur wenige Exponate verteilt, die zudem kaum miteinander korrespondieren. Da fehlt den Kuratoren offenbar noch eine zündende Idee, wie sich die hauseigenen Bestände plausibel kombinieren lassen.