Dieter Berner

Egon Schiele – Tod und Mädchen

Egon Schiele (Noah Saavedra) zeichnet Wally Neuzil (Valerie Pachner). Foto: Alamode Film
(Kinostart: 17.11.) Der Zeit ihre Kunst – der Kunst ihre Freiheit: Egon Schiele war der sinnlichste Expressionist der Wiener Moderne; er starb mit nur 28 Jahren. Ihn porträtiert Regisseur Dieter Berner schwungvoll als ebenso leidenschaftlichen Eroto- wie Graphomanen.

Sex sells – und die erotischen Kunstwerke von Egon Schiele (1890-1918) zählen zu den bekanntesten der Klassischen Moderne. Da verwundert, dass es über ihn nicht längst diverse Leinwand-Epen gibt, die den sinnlichen Reiz seiner Akt-Darstellungen lustvoll auskosten. Zumal Schiele oft festhielt, was in unseren sittenstrengen Zeiten kaum noch geduldet wird: Nacktbilder von Minderjährigen. Nicht etwa, weil er pädophile Neigungen gehabt hätte – meist konnte er sich professionelle Frauen-Modelle gegen Bezahlung einfach nicht leisten.

 

Info

 

Egon Schiele -
Tod und Mädchen

 

Regie: Dieter Berner,

110 Min., Österreich/ Luxemburg 2016;

mit: Noah Saavedra, Valerie Pachner, Maresi Riegner

 

Website zum Film

 

Zwar entstand 1980 ein ORF-ZDF-Fernsehfilm über ihn. Im Folgejahr drehte der Österreicher Herbert Vesely den Spielfilm „Egon Schiele – Exzesse“, immerhin mit Mathieu Carrière und Jane Birkin in den Hauptrollen: Dieser wirre, sensationsheischende Bilderreigen wurde von der Kritik verrissen. Das ist 35 Jahre her – länger, als Schiele gelebt hat. Ein vom Wiener Leopold Museum – es besitzt die größte Sammlung seiner Werke weltweit – produzierter Dokumentarfilm von 1994 über wichtige Stationen seines Lebens dauert nur 45 Minuten.

 

Nach Frauen gegliedertes Leben

 

So erscheint dieses biopic „Tod und Mädchen“, das nach Schieles vielleicht berühmtesten Ölbild betitelt ist, quasi überfällig. Regisseur Dieter Berner, ein gebürtiger Wiener, reiht gleichfalls die wichtigsten Abschnitte dieses kurzen, intensiven Künstler-Lebens aneinander – verknüpft sie aber mit Zeitsprüngen und Rückblenden so geschickt , dass nie der Eindruck einer schematischen Film-Biographie aufkommt. Mit einem simplen, aber wirkungsvollen Kunstgriff: Statt nach Wohnorten wird Schieles vita nach den Frauen gegliedert, die jeweils die Hauptrolle spielten.

Offizieller Filmtrailer


 

Mulattin-Modell aus dem varieté

 

Angefangen mit seiner jüngeren Schwester Gertrud, genannt Gerti: Beide standen sich sehr nahe. Der Vater war als Bahnhofs-Vorsteher in Tulln an Syphilis erkrankt, verrückt geworden – er verbrannte alle Wertpapiere in Familienbesitz – und 1905 gestorben; fortan war Egon Gertis Vormund. 1906 wurde er an der Wiener Kunstakademie aufgenommen, die er nach zwei Jahren enttäuscht verließ, um unabhängig zu arbeiten: Sie stand in dieser Zeit unentwegt Modell für ihn.

 

Mit solchen Bildern setzt der Film ein – und mit Eifersuchts-Szenen, die ihn wie ein refrain untermalen. Gerti (Maresi Riegner) ist wenig begeistert, als Egon (Noah Saavedra) im varieté die Mulattin Moa entdeckt und in sein atelier einlädt. Die exotische Schönheit ist auch mit von der Partie, als Egon, sein Künstlerfreund Anton Peschka und Gerti ins südböhmische Krumau reisen.

 

Tagelöhnerin-Tochter wird Muse

 

Die pittoreske Altstadt des heutigen Český Krumlov liefert ihnen viele Motive – doch als sich Gerti mit Anton einlässt, den sie später heiraten wird, ist es vorbei mit der kleinen Künstlerkolonie. Durch seinen Freund und Mentor Gustav Klimt lernt Egon 1911 Walpurga Neuzil (Valerie Pachner) kennen; die Tochter einer Tagelöhnerin schlägt sich mit Gelegenheits-jobs durch. Wally wird seine Muse, Vertraute, Lebensgefährtin – sie bewahrt ihn mit Falschaussagen vor einer Haftstrafe, als er im Wienerwald wegen haltloser Vorwürfe vor Gericht steht, er habe Minderjährige missbraucht.

 

Dennoch trennt sich Egon von ihr, um 1915 die Bürgerstochter Edith Harms zu heiraten. Der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen und der Maler einberufen worden; von seiner Ehe erhofft er sich Vorteile beim Militär. Tief verletzt geht Wally als Krankenschwester an die Front; Ende 1917 erliegt sie im Lazarett dem Scharlach. Wenig später erlebt Schiele seinen größten Triumph: Er stellt in der Wiener Secession 19 Gemälde und 29 Zeichnungen aus. Das bleibt sein letzter Erfolg – im Oktober 1918 sterben Edith und Egon Schiele im Abstand von drei Tagen an der Spanischen Grippe.

 

Zwitscherlerche lässt interieurs leuchten

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Kunst für Alle – Der Farbholzschnitt in Wien um 1900" mit Werken des Symbolismus + Expressionismus in Frankfurt/ Main + Wien

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Wien – Berlin: Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz" mit Werken von Egon Schiele in Berlin + Wien

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Dekadenz – Positionen des österreichischen Symbolismus" mit Werken von Gustav Klimt + Max Klinger im Unteren Belvedere, Wien

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Frau in Gold" – Drama von Simon Curtis um die Restitution eines Gemäldes von Gustav Klimt mit Helen Mirren + Daniel Brühl.

 

Bei diesem rasanten Bäumchen-wechsel-dich-Spiel zwischen Wohnorten, ateliers und Partnerinnen könnte leicht hochtourige Monotonie aufkommen, würde der Film nicht von fulminanten Schauspielern zusammengehalten. Der 25-jährige Noah Saavedra verkörpert Schiele mit so lässigem Schmäh, dass man sofort begreift, warum die Damen reihenweise seinem dunkelgelockten Feuerkopf verfallen. Als bohémien nimmt er nichts ernst außer seiner Kunst – die aber mit Inbrunst: Seine Eroto- und Graphomanie bedingen offenkundig einander. Er brilliert in Letzterer, weil er von Ersterem so viel versteht.

 

Wie seine Wally, die ihre einfache Herkunft mit Herzensklugheit wettmacht. Valerie Pachner gibt ihr eine raffinierte Natürlichkeit, an der man sich kaum sattsehen kann: Alltägliche Wortwechsel verwandelt sie mit ironischem Schalk in geistreiches Geplänkel, während ihr Minenspiel ganze Liebesromane erzählt. Seine „Zwitscherlerche“, wie Egon sie zärtlich nennt, lässt die schlichtesten Kulissen leuchten – so vermitteln sie, obwohl der Film meist in intimen interieurs spielt, einen Abglanz der spielerischen décadence in der Endphase der K.u.k.-Ära.

 

Freud-Kosmos von Eros + Thanatos

 

Angesichts der verwickelten Frauengeschichten kommt der Kunst-Kontext etwas kurz: Außer Klimt tritt keiner der Kollegen und Förderer auf, die Schiele binnen weniger Jahre zum namhaften Vertreter der Wiener Moderne aufsteigen ließen. Doch das schadet nichts: Seine Arbeitsweise und die dabei entstehenden Werke sind häufig im Bild. Im Wechselspiel mit seinem leidenschaftlichen Liebesleben wird deutlich, was sie so einzigartig werden lässt.

 

In ein und denselben Zeichnungen hält Schiele mit wenigen Strichen lebenshungrige Erotik wie ausgemergelte Hinfälligkeit fest; den ganzen freudianischen Kosmos von Libido und Thanatos. Wären seine Porträts nicht längst kanonisiert, sie würden heute nicht minder schockieren. Als wäre die Parole, die in goldenen Lettern über dem Wiener Secessions-Gebäude prangt, vor allem auf ihn gemünzt: „Der Zeit ihre Kunst – der Kunst ihre Freiheit“.