Natalie Portman

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Arieh (Gilad Kahana), Fania (Natalie Portman) und Amos (Amir Tessler) (v.l.n.r.) lauschen der Radio-Übertragung über die UN-Abstimmung zur Anerkennung Israels. Foto: Koch Media
(Kinostart: 3.11.) Glanz und Elend einer Literatur-Adaption: Star-Schauspielerin Natalie Portman verfilmt als Regisseurin die Roman-Autobiographie des israelischen Autors Amos Oz – ihrem sorgfältig bebilderten Episoden-Reigen fehlt meist die Tiefendimension.

Wenn das eigene Leben zum bestseller wird: Die 2002 veröffentlichte „Geschichte von Liebe und Finsternis“ soll das meistverkaufte israelische Buch aller Zeiten sein. In 15 Sprachen wurde der autobiographische Roman von Amos Oz übersetzt; darin beschreibt der linkszionistische Erfolgs-Schriftsteller die Welt seiner Kindheit. Oz wurde 1939 in Jerusalem geboren; seine Eltern waren Anfang der 1930er Jahre nach Palästina eingewandert.

 

Info

 

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

 

Regie: Natalie Portman,

95 Min.,Israel 2015;

mit: Natalie Portman, Gilad Kahana, Amir Tessler

 

Weitere Informationen

 

Für die israelisch-amerikanische Schauspielerin Natalie Portman, die 1981 ebenfalls in Jerusalem zur Welt kam, war die Adaption des 800-Seiten-Romans offenbar eine Herzens-Angelegenheit: Es ist ihre erste Regiearbeit. Die Hauptrolle von Amos‘ Mutter Fania übernahm Portman selbst, um Finanziers für das Projekt zu finden. Ehemann Arieh wurde mit Gilad Kahana besetzt, einem in Israel bekannten Sänger. Der elfjährige Amir Tessler stand als Amos erstmals vor einer Kamera.

 

Hebräisch-Studien + Litauen-Küche

 

Mitte der 1940er Jahre ist Palästina noch von britischen Truppen besetzt; die Familie führt ein bescheidenes Leben in Jerusalem. Vater Arieh arbeitet tagsüber in einer Bibliothek und treibt abends Hebräisch-Studien, die keinen so recht interessieren. Mutter Fania bekocht ihre Lieben mit Rezepten aus der litauischen Heimat und beglückt Amos mit erfundenen Geschichten. Manchmal unterbrechen Besuche von Verwandten und Freunden das tägliche Einerlei.

Offizieller Filmtrailer


 

Mutter versinkt in Depressionen

 

Dann bricht die große Politik herein: Am 29. November 1947 nimmt die UN-Generalversammlung den Teilungsplan für Palästina an, der einen jüdischen Staat vorsieht. Am Folgetag brechen Kämpfe zwischen arabischen und jüdischen Milizen aus; dieser „Volkswache“ schließt sich auch Bücherwurm Arieh an. Am 14. Mai 1948 erklärt Israel seine Unabhängigkeit – und wird sofort von den arabischen Nachbarländern angegriffen.

 

Der neue Staat kann sich behaupten, doch seine Lage bleibt prekär. Was Mutter Fania zunehmend bekümmert: Perspektivlosigkeit und Resignation lassen sie in Depressionen versinken. Ihrem Leiden stehen Familie und Freunde hilflos gegenüber. Anstelle von Schlaf- und Schmerz-Tabletten würde eher ein besseres Leben helfen; das kann ihr niemand bieten.

 

Wie Trümmerfrauen in Europa

 

Turbulente Weltgeschichte und familiäre Katastrophe werden mit Kinderaugen betrachtet – und sehen aus dieser Perspektive überraschend gleichförmig aus. Von Aufbruchstimmung keine Spur, weder öffentlich noch privat: Das ärmliche Dasein jüdischer Immigranten scheint sich in jenen Jahren kaum von dem im zerstörten Europa zu unterscheiden. Fania und ihre Freundinnen ähneln Trümmerfrauen, die zerbombte Städte aufräumen müssen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Am Ende ein Fest“ – warmherzige Sterbehilfe-Tragikomödie aus Israel von Sharon Maymon + Tal Granit

 

und hier einen Bericht über den Film „Bethlehem“ – brillanter Spionage-Thriller im Nahostkonflikt von Yuval Adler

 

und hier einen Beitrag über den Film "Knight of Cups" – assoziatives Sinnsucher-Drama von Terrence Malick mit Natalie Portman

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Jahrhundertzeichen – Tel Aviv Museum of Art visits Berlin" mit zeitgenössischer Kunst aus Israel im Martin-Gropius-Bau, Berlin.

 

Diese tristesse wird in malerische tableaux umgesetzt, die zuweilen an Kalenderblatt-Optik erinnern. Nuancenreiche Bildkompositionen in entsättigten Farben – nur bei Erinnerungs- und Traum-Sequenzen hellt sich die Palette auf – täuschen nicht darüber hinweg, wie wenig eigentlich geschieht. Vater Arieh versucht sich halbherzig in Zweckoptimismus; Mutter Fania leidet als mater dolorosa still und ergreifend vor sich hin. Beide leben liebenswürdig, aber ausdauernd aneinander vorbei – und die parallele Chronik einer Staatsgründung wirkt sehr statisch.

 

Höhenflüge des Geistes als Kopfkino

 

Was nicht verwundert: Die Qualität der Buchvorlage liegt weniger im plot, als vielmehr in Beobachtungen und Reflexionen. Das wird deutlich, sobald eine Erzählerstimme daraus zitiert: Sie verleiht dem Bilderfluss eine Tiefendimension, die ihm fehlt, solange der Film nur eine familiäre Episode nach der anderen brav nacherzählt. Daran ändern auch atmosphärische Dichte – für größtmögliche Authentizität wurde auf Hebräisch gedreht – und sorgfältige Ausstattung nichts. Zumal Amir Tessler ein selten ausdrucksarmer Kinderdarsteller ist.

 

Womit Portman die Grenzen von Literatur-Verfilmungen demonstriert: Geht es um mehr als simples storytelling, wird es heikel. Man muss als Regisseur schon über die übersprudelnde visuelle Fantasie etwa eines Terrence Malick verfügen, um für subjektive Empfindungen und abstrakte Spekulationen adäquate Bildideen zu finden, die nicht in Edelkitsch abgleiten. Höhenflüge des Geistes sind eben eine Form von Kopfkino, die sich nur sehr schwer auf die Leinwand bringen lässt.