Benjamin Ree

Magnus – der Mozart des Schachs

Der 13-jährige Magnus spielt 2004 in Reykjavik gegen Ex-Weltmeister Garri Kasparow. Foto: © Moskus Film. Fotoquelle: NFP marketing & distribution
(Kinostart: 10.11.) Wunderkind aus Norwegen: Magnus Carlsen ist der zweitjüngste Schach-Weltmeister aller Zeiten – was sein Ausnahme-Talent ausmacht, kann Regisseur Benjamin Ree nicht ansatzweise klären. Seine Doku ist so fade wie ein zähes Remis.

Was ist ein Genie? Die Kriterien dafür mögen auf vielen Gebieten umstritten sein, aber nicht beim Spiel der Könige: Magnus Carlsen ist zweifellos ein Schach-Genie. Der heute 25-Jährige gewann 2013 die Weltmeisterschaft – als zweitjüngster Champion aller Zeiten. Schon zuvor hatte er als Wunderkind von sich reden gemacht: Den Großmeister-Titel erhielt er mit nur 13 Jahren. 2010 eroberte er den Spitzenplatz der Weltrangliste, den er bis heute innehat.

 

Info

 

Magnus -
der Mozart des Schachs

 

Regie: Benjamin Ree,

76 Min., Norwegen 2015;

mit: Magnus Carlsen, Garry Kasparow, Viswanathan Anand

 

Website zum Film

 

Da liegt der Gedanke nahe, ihm ein Porträt zu widmen, um dem Geheimnis seines Ausnahme-Talents nachzuspüren. Das unternimmt der norwegische Regisseur Benjamin Ree mit seinem ersten Langfilm – vergeblich. In 75 Minuten Spielzeit, die gefühlt länger dauern als eine lustlose Hängepartie, erfährt man ebenso wenig über die Persönlichkeit des Norwegers wie über die Faszination von Schach an sich.

 

Kleinkind-Schach auf home video

 

Obwohl Regisseur Ree sogar auf das Familien-Album zugreifen kann: Magnus‘ Kindheit hat sein ehrgeiziger Vater Henrik – der für Großkonzerne als Manager arbeitete, bevor er zu dem seines Sohnes wurde – offenbar eifrig gefilmt: Home video-Aufnahmen zeigen ihn als Knirps, der sich ungelenk bewegt, aber erstaunliche Rechen- und Merkfähigkeit an den Tag legt. Der Vater bringt ihm die Schachregeln bei – damit ist sein Schicksal besiegelt.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Immer nur an das Eine denken

 

Von nun an übt Magnus entweder Schach, oder er fährt zu Turnieren, um Partien zu spielen. Kein Wunder, dass der Junge sich als Außenseiter in der Schule isoliert fühlt. Sein Lebensraum wird die spröde Welt des Profi-Schachs: karge Hallen im Kunstlicht voller Tische, an denen Spieler über ihren Stellungen brüten. Was ihm wenig Freude zu bereiten scheint; Siege nimmt er fast ebenso regungslos hin wie Niederlagen.

 

Magnus selbst beschreibt sich als „sehr introvertiert“; er gehe im Hinterkopf ununterbrochen Kombinationen von Zügen durch. Dezente Andeutungen seiner Familie lassen auf einen leicht autistischen Charakter mit Sozialphobie schließen. Wie seine Gestik und Mimik: Mit markantem Überbiss des Unterkiefers, halboffenem Mund und starrem Blick wirkt er nicht gerade wie ein Sympathieträger. Man könnte ihn beinahe für etwas beschränkt halten.

 

100 Züge im Voraus berechnen

 

Wären nicht seine phänomenalen Erfolge: In Harvard spielt Magnus gleichzeitig blind gegen zehn Gegner. Er besiegt alle – und notiert anschließend sämtliche Partien aus dem Gedächtnis. Nach eigenen Worten kann er bis zu 100 Spielzüge im Voraus berechnen; doch Schach-Kenner bewundern weniger seine Kalkulations-Künste als vielmehr seine Intuition.

 

Allerdings versucht der Film nicht ansatzweise, Magnus‘ spezifische Spiel-Stärken anschaulich zu machen. Auch die Titel-Formel vom „Mozart des Schachs“ wird ständig wiederholt, aber nicht erklärt: Hätten Mozart und seine Kompositionen so langweilig gewirkt wie dieser Hochleistungs-Denksportler, würde niemand mehr auch nur die „Kleine Nachtmusik“ klimpern.

 

Unfassbare Spiel-Spannung

 

Stattdessen beobachtet Regisseur Ree im Sportreporter-Stil seinen Helden ausgiebig 2013 beim Kandidaten-Turnier in London und dem WM-Finale im indischen Chennai gegen Titelverteidiger Viswanathan Anand. Leider geben Schach-Wettkämpfe optisch wenig her: Außer Herren in Anzügen und den ewig gleichen Floskeln von guter Vorbereitung, hohem Erwartungsdruck und nervlicher Anspannung gibt es nichts zu berichten. Das eigentlich Aufregende spielt sich auf dem Brett ab – und das bekommt der Filmemacher nicht zu fassen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Talent des Genesis Potini" – vielschichtiges Biopic eines Maori- Schachmeisters von James Napier Robertson

 

und hier einen Bericht über den Film „Bauernopfer – Spiel der Könige“ – fesselndes Drama über die Schach-WM 1972 zwischen Bobby Fischer + Boris Spasski von Edward Zwick.

 

Dabei sind brillante Schachspieler oft auch schillernde Persönlichkeiten. Wie der US-Amerikaner Bobby Fischer und sein sowjetischer Gegenspieler Boris Spasski: Über ihren legendären Titelkampf 1972 in Reykjavik hat Regisseur Edward Zwick 2014 das packende Drama „Bauernopfer – Spiel der Könige“ gedreht.

 

Galionsfigur des digital age

 

Carlsens Vorgänger Anand, der Schach-Weltmeister von 2007 bis 2013, wäre als indischer Nationalheld gleichfalls ein lohnender Protagonist – Indien gilt als Ursprungsland des Spiels. Ganz zu schweigen vom charismatischen Garri Kasparow, WM-Titelträger von 1985 bis 2000: Nach dem Ende seiner Schach-Karriere wurde er ein führender Kopf der Oppositions-Bewegung gegen das Regime von Wladimir Putin in Russland.

 

Ähnliches ist von Magnus Carlsen nicht zu erwarten. Er erscheint als typische Galionsfigur des digital age, in dem nerds dafür gefeiert werden, ihr Dasein monomanisch mit Berechnungs-Formeln zu verbringen. Angeblich haben seine Erfolge viele Jugendliche weltweit für Schach begeistert – das wird dieser Doku wohl kaum gelingen.