Jim Jarmusch

Paterson

Paterson (Adam Driver) hat seiner Laura (Golshifteh Farahani) Verse vorgelesen. Fotoquelle: Weltkino Filmverleih
(Kinostart: 17.11.) Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort: Sein Porträt eines dichtenden Busfahrers verwandelt Regisseur Jim Jarmusch in ein Meisterwerk aus Poesie im Alltag – Und die Welt hebt an zu singen, triffst Du nur das Zauberwort.

Poesie ist wie ein hack in die Wirklichkeit. Sie bringt die alltägliche Wahrnehmung durcheinander, aber auch die Imagination. Sie suspendiert das Rationale, fördert verborgene Wahrheiten zutage, und: Sie verwandelt das Banale in das Außerordentliche.

 

Info

 

Paterson

 

Regie: Jim Jarmusch,

117 Min., USA 2016;

mit: Adam Driver, Golshifteh Farahani, Barry Shabaka Henley

 

Website zum Film

 

Den Dichter Paterson (Adam Driver) im gleichnamigen Film von Jim Jarmusch interessieren vor allem vermeintliche Banalitäten des Alltags. Der Endzwanziger, der so heißt wie sein Wohnort, eine Kleinstadt in New Jersey, lebt mit seiner Frau Laura (Golshifteh Farahani) und der englischen Bulldogge Marvin in einem kleinen Haus im behaglichen Wohngebiet. Er verdient sein Geld als Busfahrer und schreibt Gedichte, während seine Frau sich nebenbei als Musikerin und cupcake-Bäckerin versucht. Ein glückliches, wenn auch ereignisarmes Leben – und Regisseur Jim Jarmusch, der auch Musiker ist, komponiert es aus wie einen song.

 

Sieben Kapitel für alle Wochentage

 

Der Film ist in sieben Abschnitte für alle Wochentage unterteilt: Sieben Mal beginnen die Tage mit der Vogelperspektive auf das Bett des Ehepaares. Sieben Mal wacht Paterson auf, beugt seinen Körper nach vorne, schaut auf seine Armbanduhr, auf seine neben ihm schlafende Frau und sinkt kurz zurück auf das Kopfkissen. Er scheint von etwas zu träumen, das jedoch immer unausgesprochen bleibt.

Offizieller Filmtrailer


 

Kaleidoskop der Stadt + ihrer Bewohner

 

Dann steht er auf, isst eine Schüssel Müsli und geht zur Arbeit; die schwarze Ledertasche in der Hand, die ersten Wörter für sein nächstes Gedicht im Kopf. Abends geht er in eine bar, trinkt stets nur ein Bier und unterhält sich mit dem beredten Betreiber Doc (Barry Shabaka Henley), bevor er wieder zu Laura zurückkehrt. Sie wird von der iranischen Star-Schauspielerin Farahani mit virtuoser Lakonie gespielt: als vitaler, hyperaktiver Gegenpart zu ihrem Ehemann – und als Kontrastfigur zu dessen immergleichem Alltag.   

 

Denn Paterson führt ein Leben im loop. Die Routine von Arbeit, Zerstreuung und Eigenheim ist aber für den genügsamen Mann kein Grund zur Unzufriedenheit, sondern womöglich ein Motor seiner Kreativität. Zumindest hat es diesen Anschein, wenn er allmorgendlich auf dem Fahrersitz des Busses thront, der für ihn zum Kaleidoskop der Stadt und ihrer Bewohner wird: wie Geister wirkende Pendler im Anzug, überdrehte Schulkinder, aus dem Fenster blickende Melancholiker und Bauarbeiter, die nach ihrem Arbeitstag müde auf das Wochenende hinfiebern.

 

Handschriftliche Verse auf der Leinwand

 

Paterson beobachtet seine Passagiere genau. Wenn er mit seinem Blick, der stets zwischen Grinsen und Deprimiertheit oszilliert, in den Rückspiegel schaut und lauscht, wird klar: Seine Kunst ist maßgeblich vom Leben selbst inspiriert – von den Fantasien der Kinder, den Sehnsüchten der Erwachsenen und dem Animismus der Dinge. Eines seiner schönsten Gedichte beginnt mit der Beschreibung seiner Lieblings-Streichhölzer und endet mit einer Liebeserklärung an seine Frau.

 

Die Zuschauer werden Zeugen des lyrischen Schöpfungs-Prozesses, wenn Paterson einen seiner inneren Monologe führt – oder seine Gedichte als handschriftliche Notizen auf der Leinwand erscheinen. So beharrlich aber der Busfahrer seine Dichtkunst betreibt, so wenig ambitioniert ist er, sie mit anderen zu teilen. Laura bittet ihn immer wieder darum, seine Verse zu publizieren.

 

Busfahrer bleiben, um Dichter zu sein

 

Das passiert nie, was zu einem der zentralen Konflikte im Film wird: Patersons schwankt zwischen Erwerbsarbeit, Kunst und Selbstzweifeln, und damit dem vermeintlichen Gegensatz von Routine und Kreativität. Am Ende ahnt Paterson, dass es für ihn wohl das Beste ist, Busfahrer zu bleiben, um Dichter zu sein. Selbst Franz Kafka hatte bis ans Lebensende einen Brotberuf: Er war Angestellter der „Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt“.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Only Lovers Left Alive" – herrlich geistreiche Vampir-Liebesgeschichte mit Tilda Swinton von Jim Jarmusch

 

und hier eine Besprechung des Films "Frances Ha" – leichthändige Bohemien-Tragikomödie in New York von Noah Baumbach mit Adam Driver

 

und hier einen Beitrag über den Film "My Sweet Pepper Land" – origineller Western in Kurdistan von Hiner Saleem mit Golshifteh Farahani.

 

Regisseur Jarmusch gelingt es, diesen Konflikt nie explodieren, sondern ihn ruhig auf der Oberfläche treiben zu lassen. Diese Methode der radikalen Entschleunigung hat er in vielen seiner Filme perfektioniert, zuletzt in „The Limits of Control“ (2009). Auch der strenge Rhythmus von „Paterson“ ist typisch für Jarmuschs Stil; daran hat er als Autorenfilmer durch bewusste Unabhängigkeit von der Film-Industrie fast vier Jahrzehnte lang gefeilt.

 

Score von „Sqürl“-band des Regisseurs

 

Dazu gehört vor allem die ungewöhnliche Verwendung von sound, Sprache und Musik. Die Filme von Jarmusch unterlaufen, wie die Autorin Sara Piazza in ihrem Buch „Jim Jarmusch: Music, Words and Noise“ (Reaktion Books, 2015) detailliert beschreibt, die übliche Dominanz des gesprochenen Wortes und behandeln die Ebene der Klänge als gleichwertig. In „Paterson“, dessen sphärischer score von Jarmuschs band „Sqürl“ stammt, wird Sprache nun selbst zur Musik – und macht den Film zur ultimativen Liebeserklärung an Poesie.

 

Das mag autobiographische Gründe haben: Bevor er eine Filmhochschule besuchte, studierte der Regisseur von 1973 bis 1976 Literatur an der New Yorker Columbia University und veröffentlichte Gedichte in Magazinen. Poesie, ob klassisch als Lyrik oder modern als hip hop, war immer schon Teil seiner Filme, wie Jarmuschs aktuelles Meisterwerk erneut beweist.

 

Poesie als Alltags-Bejahung

 

Die Gedichte im Film stammen von seinem Lieblingsdichter Ron Padgett, einem Vertreter der „New York School“. Sie strebte bereits in den 1960er Jahren die Auflösung von Grenzen zwischen Musik, Poesie und Bildender Kunst an, die Jarmusch in seinen Filmen ebenfalls verfolgt. „Paterson“ geht noch einen Schritt weiter; indem er zeigt, dass zwischen Kunst und Leben kein Unterschied bestehen muss. Und dass die Poesie, die in allem steckt, was uns umgibt, keine Flucht aus dem Alltag ist, sondern im Gegenteil: dessen radikale Affirmation.