Lambert Wilson + Audrey Tautou

Jacques – Entdecker der Ozeane

Der mit den Haien taucht: Sohn Philippe (Pierre Niney) filmt unter Wasser. Foto: © Wild Bunch
(Kinostart: 8.12.) Wiedersehen mit dem Herrn der Fische: Den Meeresforscher und TV-Star Jacques Cousteau porträtiert Regisseur Jérôme Salle halbherzig als egozentrischen Patriarchen – er kratzt am Lack seines Denkmals, bringt es aber nicht ins Wanken.

Die Tiefsee – unendliche Weiten: In den 1970/80er Jahren verfolgten Millionen TV-Zuschauer begeistert, wie ihnen Jacques-Yves Cousteau (1910-1997) die „Geheimnisse des Meeres“ enthüllte. Diese Doku-Serie lief im deutschen Fernsehen 13 Jahre lang; damals war Cousteau hierzulande so bekannt wie der ähnlich telegene Zoologe Bernhard Grzimek.

 

Info

 

Jacques -
Entdecker der Ozeane

 

Regie: Jérôme Salle,

122 Min., Frankreich 2016;

mit: Lambert Wilson, Pierre Niney, Audrey Tautou

 

Franz. Website zum Film

 

In Frankreich genoss der Meeresforschungs-Pionier zu Lebzeiten quasi den Status eines Nationalhelden. Dass ihm nun ein aufwändiges biopic gewidmet wird, verwundert nicht – höchstens, dass es erst zwei Jahrzehnte nach seinem Tod zustande kommt: als konventionell chronologischer Lebenslauf.

 

Erfinder von Tauch-Atemreglern

 

Er setzt 1949 ein, als der Marineoffizier (Lambert Wilson) mit seiner Frau Simone (Audrey Tautou) und zwei kleinen Jungen an der südfranzösischen Küste lebt. Den Wunsch, Pilot zu werden, muss Cousteau nach einem Autounfall aufgeben. Stattdessen erfindet er mit zwei Kollegen Atemregler für Druckluftgeräte, die langes Tauchen ermöglichen, sowie unterwassertaugliche Foto- und Filmkameras.

Offizieller Filmtrailer


 

Eine Goldene Palme + drei Oscars

 

1950 erhält Cousteau das ausgemusterte Minensuchboot „Calypso“ und baut es zum Forschungsschiff um. Fortan kreuzt er mit seiner Frau und einem Taucher-team für mehrjährige Expeditionen über die Weltmeere, während ihre Kinder in ein Internat abgeschoben werden.

 

Bereits Cousteaus frühe Arbeiten sind äußerst erfolgreich: Sein zweiter Kurzfilm läuft 1951 im Festival-Wettbewerb von Cannes. Sein erster Langfilm „Die schweigende Welt“, den er gemeinsam mit dem späteren nouvelle vague-Regisseur Louis Malle dreht, wird 1956 mit der Goldenen Palme und einem Oscar für den besten Dokumentarfilm prämiert. Zwei weitere Oscars und etliche andere Preise sollten folgen.

 

Quasi-Monopol für Unterwasser-Bilder

 

Bald beschäftigt er etliche Mitarbeiter, mit denen er kleine U-Boote und viele andere Geräte zur Erkundung der Ozeane entwickelt. Ein Dutzend Bücher, mehr als 100 Filme, zahllose TV-Auftritte und Exklusiv-Verträge mit US networks: Cousteau wird zum household name und Quasi-Monopolisten für Unterwasser-Bilder. Auch die Söhne Jean-Michel und Philippe (Pierre Niney) steigen nach ihrer Schulzeit in den multimedialen Familienkonzern ein – der oft rote Zahlen schreibt, weil sein chef viel zu ehrgeizige Pläne schmiedet.

 

Die enorme Resonanz weltweit auf Cousteaus Einblicke in die maritime Fauna registriert Regisseur Jérôme Salle nur nebenbei. Ihn kümmern ebenso wenig dessen Beiträge zur Meeresforschung: Wo genau die „Calypso“ ankert und was ihre Besatzung untersucht, wird kaum erwähnt. Ist Cousteaus Vision von „Ozeanauten“, die auf dem Meeresboden leben und arbeiten sollen, zukunftsweisend oder ein PR gag? Das bleibt offen; über Bootsmodell-Prototypen gleitet die Kamera rasch hinweg.

 

Antarktis als Familien-Kulisse

 

Sie ist für einen Film, dessen Protagonisten dauernd in Taucheranzüge steigen, erstaunlich wasserscheu. Abgesehen von familiärem Badespaß am Anfang wagt sich die Kamera nur selten ins nasse Element; die Faszination spektakulärer Tiefsee-Aufnahmen bieten nur wenige kurze Passagen. Allein eine Szene veranschaulicht, wie gefährlich solche Streifzüge sein können: Als Sohn Pierre hungrige Haie beobachtet, muss er vor ihnen in einen Käfig flüchten.

 

Hintergrund

 

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Waren den Produzenten weitere Unterwasser-Abenteuer zu kostspielig? Bei einem budget von 35 Millionen Euro sollten doch ein paar Ausflüge zu Korallenriffen und Robbenkolonien drin sein. Immerhin ist das team bis in die Antarktis gereist, um dort Sonnenuntergänge über Eisbergen und -schollen abzulichten: als malerisch bunte Kulisse für die Versöhnung entzweiter Familienmitglieder.

 

Virtuose der Selbstvermarktung

 

Die interessieren Regisseur Salle viel mehr als Entdeckergeist und Wissenschaft: Ausgiebig verfolgt er, wie Cousteau zum Virtuosen der Selbstvermarktung aufsteigt, indem er allen stets erzählt, was sie hören wollen – und sich dabei von Frau und Söhnen entfremdet. Ihn spielt Lambert Wilson hyperaktiv und zugleich nuanciert – mit vollem Körpereinsatz: Er hungerte sich herunter, bis er so ausgemergelt aussah wie der wettergegerbte Kapitän.

 

Als beiseite geschobene Gattin zeigt Audrey Tautou herrlich kratzbürstigen charme wie in ihrer legendären Rolle als „Amélie“ (2001). Und Pierre Niney, derzeit Frankreichs attraktivster Jung-star, rebelliert so überzeugend gegen des Patriarchen regime, dass er ihn bewegen kann, seine beiden letzten Lebensjahrzehnte dem Umweltschutz zu widmen.

 

Genie nur im juste milieu

 

Drei phänomenale Hauptdarsteller für das Psychogramm eines Egozentrikers – im engsten Familienkreis. Es wirkt, als wolle Regisseur Salle ein wenig am Lack des Denkmals kratzen, traue sich aber nicht, es zum Wanken zu bringen oder gar umzustürzen. Millionen Cousteau-fans zu verprellen, wäre finanziell noch ruinöser als manche seiner Fehlinvestitionen.

 

Damit folgt „Jacques – Entdecker der Ozeane“ einem unseligen trend neuerer Filmbiographien. Ob die Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé, der Maler Paul Cézanne oder jüngst die Physikerin Marie Curie, deren biopic vor einer Woche ins Kino kam: Ihre Lebensleistung wird achtlos herunter gehaspelt, um sich auf Liebe, Sex und Eifersucht zu konzentrieren. Als seien Genies dem Publikum nur zuzumuten, wenn sie auf human interest und juste milieu verzwergt werden. So auch hier: Am Ende steht ein netter Fernseh-Onkel mit roter Mütze für die ganze Familie.