Christian Schwochow

Paula – Mein Leben soll ein Fest sein

Der Maler Otto Modersohn (Albrecht Abraham Schuch) berät seine Ehefrau Paula Modersohn-Becker (Carla Juri). Foto: © Pandora Film / Martin Menke
(Kinostart: 15.12) Wider die Männer, wider den Mainstream: In Christian Schwochows Film stellt sich die Malerin Paula Modersohn-Becker gegen den konservativen Machismo der Jahrhundertwende - einfühlsames Biopic über eine Künstlerin, die ihrer Zeit voraus war.

Man hört, wenn Paula (Carla Juri) malt. Der Pinsel knallt auf die Leinwand, während alle anderen fein und vorsichtig ihre Arbeitsfläche streicheln. Trotzdem ist sich die Bremer Bürgerstochter Paula Becker (1876-1907) sicher, das Richtige zu tun: Sie setzt bei ihrem Vater durch, den Sommer in der bekannten Künstlerkolonie Worpswede verbringen zu können. Die gastgebenden Herren, angeführt von Fritz Mackensen (Nicki von Tempelhoff), lassen begabte, sozial höher gestellte Töchter wie Paula gegen Entgelt dort wohnen und das Künstlerinnen-Dasein ausprobieren.

 

Info

 

Paula – Mein Leben
soll ein Fest sein

 

Regie: Christian Schwochow,

123 Min., Deutschland 2016;

mit: Carla Juri, Albrecht Abraham Schuch, Roxane Duran

 

Website zum Film

 

Davon, dass die Frauen jedoch nicht ernst genommen werden, lässt sich die forsche junge Frau nicht beirren. Sie kann eine solide Malerei-Ausbildung vorweisen und hat bereits ihren eigenen Stil. Grob und flächig gemalt, haben ihre Bilder wenig gemein mit den schönen, impressionistischen Landschaften der Herren.

 

Das Leben ein Fest

 

Paula genießt die Zeit auf dem Land und schließt schnell Freundschaft mit der Bildhauerin Clara Westhoff (Roxane Duran). Es gibt wilde Feste, auf denen bald auch der Dichter Rainer Maria Rilke (Joel Basman) auftaucht sowie der zurückhaltende Malerkollege Otto Modersohn (Albrecht Abraham Schuch), ein junger Witwer. An einem dieser seligen Abende beichtet Paula ihrer Freundin Clara, was sie vom Leben erwartet: Es soll ein Fest sein, sie will drei gute Bilder malen und ein Kind bekommen. Aus kunsthistorischer Sicht sind ihr mehr als drei gute Bilder gelungen, und auch die beiden anderen Wünsche haben sich wenigstens für kurze Zeit erfüllt.

Offizieller Filmtrailer


 

Geschlecht als handicap

 

Leicht und ernsthaft zugleich erzählt Regisseur Christian Schwochow („Novemberkind“ und „Westen“) in der Filmbiografie „Paula – Mein Leben soll ein Fest sein“ von einer Frau und Künstlerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Sie ist nicht damenhaft, hat ein gesundes Selbstbewusstsein und will etwas schaffen, das „man selbst ist“. Verbissen ist sie nicht, aber sie merkt schnell, dass ihr Geschlecht auch in der Kolonie ein handicap ist. Manche Kolonisten glauben, dass Kinderkriegen das einzig Schöpferische sei, was Frauen leisten können.

 

Der Maler Otto Modersohn, den Paula schon bald heiratet, ist anders. Statt ihr Komplimente zu machen, will er ihre Bilder sehen, auch wenn er sie, wie die meisten, nicht versteht. Nur Paulas neue Freunde Clara und Rainer Maria nehmen den Stil der jungen Malerin ernst; sie erkennen das Innovative in „Händen wie Gabeln und Nasen wie Kohlköpfe“. Im Jahr 1900 ist man noch nicht bereit für ihren modernen, expressiven Stil. Dass sie anstelle von Feldern lieber Leute aus dem nahe gelegenen Armenhaus malt, sorgt auch für Spannungen.

 

Freiheit in Paris

 

Rilke holt Paula fünf Jahre nach der Hochzeit mit Otto nach Paris, weg aus der „Kleingartenkolonie“ Worpswede und aus ihrer – vor allem sexuell – unerfüllten Ehe. Otto lässt sie gehen; auch weil er ihr nicht geben kann, was sie braucht. In Paris findet sie endlich mit dem jungen Malerkollegen Georges (Stanley Weber) körperliche Befriedigung, studiert weiter Malerei, entdeckt Geistesbrüder wie den berühmten Maler Paul Cézanne und genießt ihr freies Künstlerleben, das Otto mit regelmäßigen Geldsendungen unterstützt.

 

Er hingegen leidet und reist schließlich nach Paris, um Paula zurückzuholen. Dort spricht er mit ihr ehrlich über seine Verlustängste – seine erste Frau starb im Kindbett. Als er Paulas neue Bilder sieht, erkennt er ihr großes Talent. Sie kommt zurück, und das ersehnte Kind ist bald unterwegs. Dessen Geburt überlebt sie jedoch nur wenige Tage: Paula stirbt mit 31 Jahren.

 

Zeitlose Fragen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Egon Schiele – Tod und Mädchen" – schwungvolles Biopic über den Wiener Expressionisten von Dieter Berner

 

und hier eine Besprechung des Films "Meine Zeit mit Cézanne" über den von Paula Modersohn-Becker bewunderten Maler Paul Cézanne von Danièle Thompson

 

und hier einen Bericht über den Film "Westen" – packendes Drama über durch die Stasi unterwanderte DDR-Flüchtlinge von Christian Schwochow

 

und hier einen Beitrag über "Feuchtgebiete" – brillante Bestseller-Verfilmung von David Wnendt mit Carla Juri

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Weltkunst – Von Buddha bis Picasso" mit Werken von Paula Modersohn-Becker im Von der Heydt-Museum, Wuppertal.

 

Das sind nur drei Jahre mehr, als das Drehbuch von Stefan Kolditz und Stephan Suschke von der ersten Idee bis zur Realisierung brauchte. Damals noch für die DEFA als deutsch-deutsche Produktion geplant, verschwand es nach der Wende für lange Zeit in der Schublade. Erst Paula Modersohn-Beckers 2007 erschienene „Briefe und Tagebücher“ und die Biografie von Kerstin Decker 2008 brachten ihr Werk wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein. Die Arbeit am jetzigen Drehbuch begann 2010; ein normaler Zeitrahmen. Gleichwohl merkt man dem Film seine lange Reifezeit vor allem in der vielschichtigen Zeichnung der Figuren an.

 

„Paula“ ist ein lebendiges Porträt einer modernen Frau, die sich in einer Männerdomäne durchsetzt. Der Film verhandelt zeitlose Fragen wie die Vereinbarkeit von künstlerischen Ambitionen mit der profanen Wirklichkeit, Familie oder einem anderen Beruf. Es geht auch um eine große Liebe, die schön romantisch beginnt und dann am Alltag wie an Ängsten beinahe zerbricht.

 

Die perfekte Unperfektheit

 

Paula, von Carla Juri wunderbar natürlich gespielt, ist wie alle anderen Protagonisten im Film sehr lebhaft dargestellt, so dass man beinahe vergisst, dass hier bedeutende Künstler-Persönlichkeiten agieren. Wohltuend reduziert ist auch die Ausstattung, die zwar historisches Ambiente zeigt, aber wie die Kostüme stets einen modernen Kniff hat, da alles leicht unperfekt und dadurch normal erscheint.

 

Wer ein einwandfrei historisch korrektes biopic erwartet, wird vielleicht enttäuscht. Doch es sind genau jener Mangel an Perfektion und die großartigen Darsteller, die einen unmittelbar in die Geschichte hineinziehen. Am Ende meint man, diese Paula genau zu kennen, und ist ehrlich gerührt von ihrem zu frühen Tod.