
Hauptsache weggeschlossen: Der strukturalistische Philosoph Roland Barthes zeigt in seiner Studie „Sade – Fourier – Loyola“ von 1971, dass der radikale Pornograph, der soziale Utopist und der Gründer des Jesuitenordens ähnliche Orte bevorzugen. Die Schauplätze ihrer Schriften sind von der übrigen Welt scharf getrennt und kaum zugänglich, damit sich in völliger Isolation das Schauspiel extremen Verhaltens ungestört entfalten kann.
Info
Die Taschendiebin -
The Handmaiden
Regie: Park Chan-wook,
145 Min., Südkorea 2016;
mit: Kim Min-hee, Kim Tae-ri, Ha Jung-woo
Reiche Erbin muss Pornos vorlesen
Parks neuer Film ist gleichfalls an einem solchen Ort angesiedelt: Das einsame Anwesen im japanisch besetzten Korea der 1930er Jahre wurde halb im traditionell koreanischen Stil, halb in englischer Neogotik erbaut. In diesem luxuriösen Labyrinth lebt die junge, schöne und reiche Japanerin Lady Hideko (Kim Min-hee) unter der Fuchtel ihres Onkels Kouzuki. Er unterbindet jeden Kontakt zur Außenwelt und zwingt sie, begüterten Buchliebhabern seltene pornographische Werke vorzulesen – um sie anschließend meistbietend zu versteigern. Außerdem will er Hideko um ihr Erbe betrügen.
Offizieller Filmtrailer
Erst aus Sicht von Dienerin, dann von Herrin
Das plant auch ein koreanischer Hochstapler (Ha Jung-woo), der sich als Graf Fujiwara ausgibt und Hideko Mal-Unterricht erteilt. Er schleust die Taschendiebin Sookee (Kim Tae-ri) als neues Dienstmädchen in den seltsamen Haushalt ein: Sie soll Hideko geneigt machen, sich in den falschen Adligen zu verlieben. Damit beide nach Japan fliehen und heiraten, bevor der Graf seine Gattin für verrückt erklären und ihr Vermögen kassieren kann. Davon verspricht er Sookee einen Anteil.
Diese Erbschleicher-Intrige klingt hemmungslos überkonstruiert – wie in historical fantasy, die sich um Plausibilität nicht schert. Doch die Ränkeschmiede haben ihre Rechnungen ohne die beiden Hauptdarstellerinnen gemacht; bald empfinden sie zarte Gefühle füreinander und schmieden zugleich jeweils eigene Pläne. Die verwickelte Geschichte wird zwei Mal in Folge erzählt: erst aus der Sicht von Dienerin Sookee, anschließend aus der ihrer Herrin Hideko. Da enthüllen vermeintliche Wiederholungen ganz unterschiedliche Perspektiven.
Selten sinnliche lesbische Liebesszenen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Stoker“ – stilvoller Familien-Thriller mit Mia Wasikowska von Park Chan-wook
und hier eine Rezension des Films "Guilty of Romance" – brillanter Erotik-Psycho-Thriller aus Japan von Sion Sono
und hier einen Bericht über den Film "Pieta" – Schuld-und-Sühne-Drama aus Südkorea über die Rache einer vermeintlichen Rabenmutter von Kim Ki-duk
und hier einen Beitrag über den Film "Der Seidenfächer" – Drama über zwangsverheiratete Seelen-Schwestern in China von Wayne Wang.
Bis der Regisseur seinen Protagonistinnen lesbische Liebesszenen gönnt, die selten so sinnlich und lustvoll auf der Leinwand zu sehen sind. Da stört es nicht, dass der plot arg viele Haken schlägt und so viele Wendungen bereithält, dass bald keine mehr überrascht. Ebenso wenig, dass westliche Zuschauer kaum die vielen Anspielungen auf das komplizierte koreanisch-japanische Verhältnis entschlüsseln können, mit denen Regisseur Park seinen Film spickt.
Gegen Gesinde, Geishas + Deko-Objekte
Hier geht es nicht um historische Korrektheit, sondern um eine virtuose Verknüpfung von doppelbödiger love and crime story, prickelnder Erotik und protofeministischer Selbstermächtigung: in einer Gesellschaft, die Frauen sonst nur als Gesinde, Geishas oder makellose Deko-Objekte kennt. Arrangiert in tableaus von verschwenderischer visueller Eleganz – das vermag Park wie kaum ein anderer Regisseur. Solcher Augenschmaus gelingt nur an abgeschiedenen Orten, an denen die Sumpfblüten des Lasters besonders schön blühen.