Ang Lee

Die irre Heldentour des Billy Lynn

Billy Lynn (Joe Alwyn) im Zentrum der irren Heldentour durch die USA. Foto: © 2016 Sony Pictures Releasing GmbH
(Kinostart: 2.2.) Krieger-Ehrung in den Zeiten von Mega-Sport-Shows: Aus dem Auftritt eines hochdekorierten Veteranen macht Regisseur Ang Lee ein dialoglastiges Kammerspiel, das alle Aspekte von Krieg kurz antippt. Da hilft nur Rückzug an die Front.

Der deutsche Titel „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ ist so stichhaltig wie einst George W. Bushs Begründung für den Irak-Krieg, mobile Biowaffen-Labore unschädlich machen zu wollen. Der englische Roman-Titel „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ trifft die Sache besser: Lynn und seine Kameraden haben ihren großen Auftritt während der Halbzeit-Pause eines football game der „Dallas Cowboys“. Und dieses Spektakel ist für sie nur eine absurde Atempause zwischen zwei Fronteinsätzen.

 

Info

 

Die irre Heldentour des Billy Lynn

 

Regie: Ang Lee,

113 Min., USA/ Großbritannien/ China 2016,

mit: Joe Alwyn, Kristen Stewart, Vin Diesel

 

Website zum Film

 

Darum geht es: Der 19-jährige Texaner Billy Lynn (Joe Alwyn) lässt sich 2004 von der US-Armee für die Spezialeinheit „Bravo Squad“ rekrutieren. Mit seinem Sold will er die horrenden Arztrechnungen seiner Schwester Kathryn (Kristen Stewart) nach einem Autounfall begleichen. Was der überzeugten Kriegsgegnerin gar nicht recht ist; sie versucht mit allen Mitteln, ihren Bruder zurück nach Hause zu holen.

 

Propaganda-tour durch Provinz

 

Im Irak gerät die US-Einheit nach ausgiebigem Training in ein Gefecht mit Aufständischen, dessen Verlauf in Rückblenden zu sehen ist. Lynns Vorgesetzter Shroom (Vin Diesel) wird angeschossen; der junge Rekrut eilt ihm wagemutig zu Hilfe. Zwar kann er dessen Leben nicht retten, doch für seinen selbstlosen Einsatz wird Lynn hochdekoriert – und zum star einer Propaganda-tournee aufgebaut, bei der acht „Bravo Squad“-Soldaten durch die Provinz touren, um für moralische Unterstützung zu sorgen.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein Tag im Kolossal-Labyrinth

 

Die eigentliche Handlung spielt am Tag des Auftritts der Veteranen im „Texas Stadium“. Diese 2010 abgerissene Arena mit 65.000 Sitzplätzen war ein kleiner Kosmos für sich: eine teilüberdachte Betonschüssel, vollgestopft mit teurer Stadiontechnik. In diesem labyrinthischen Koloss aus Gängen, Wandelhallen, Lobbys und VIP lounges bewegen sich die Akteure fast die ganze Zeit: eine Kunstwelt, die mit ihrem übrigen Leben nichts zu tun hat.

 

Vor ihrem Hotel werden die Soldaten mit einer stretch limousine abgeholt. Während sie sich in comfy chairs räkeln, erzählt ihnen ein dauertelefonierender Agent, die Verfilmung ihrer Geschichte sei so gut wie sicher. Sie erwarte ein dicker Batzen Geld für die Filmrechte – diese verlockende Aussicht wird später so schnell zerstieben, wie sie aufgetaucht war.

 

Quickie mit dem cheerleader girl

 

Im Stadion selbst werden die Jungs hin und her gescheucht wie auf einem Kasernenhof. Event managers, stage managers und ein undurchsichtiger promoter (Steve Martin) – irgendwer will immer was von ihnen, ob Bühnen-Proben oder Foto-Termine. Einfache Stadionbesucher schwärmen zwischen zwei hamburger-Bissen, wie sehr sie ihre Heldentaten bewundern. Ein cheerleader girl macht Billy an und entführt ihn für einen quickie hinter die Kulissen.

 

Dann beginnt die Pausen-show. Die acht Rekruten in Kampfanzügen stehen wie antike Statuen herum, während vor ihnen die R’n’B mega stars „Destiny’s Child“ das Publikum begeistern und ringsherum Heerscharen von farbigen Tänzern die Bühne füllen – illuminiert von Pyrotechnik der Sonderklasse. Nach wenigen Minuten ist alles vorbei und geordneter Rückzug angesagt: Die Soldaten werden bald wieder in den Irak geschickt – ihre Mission an der Heimatfront ist erfüllt.

 

Vin Diesel mit menschlichen Zügen

 

Das alles läuft recht zahm und vorhersehbar ab – auch wenn solche monströsen halftime shows im europäischen Profi-Sport noch unüblich sind. Regisseur Ang Lee hält sich eng an die Vorlage und setzt auf Realismus: Seine Veteranen sind keine vierschrötigen Kampfmaschinen, sondern Heranwachsende, die nach ihrer Rolle im Leben suchen. Selbst Vin Diesel, Hollywoods aktueller Lieblings-Haudegen, zeigt als Spieß durchaus menschliche Züge.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Continuity" – komplexer Experimental-Film über die Heimkehr eines Bundeswehr-Soldaten aus Afghanistan von Omer Fast

 

und hier eine Besprechung des Films "Zwischen Welten" – realistisches Kriegsdrama über Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan von Feo Aladag mit Ronald Zehrfeld

 

und hier einen Beitrag über den Film "Life Of Pi – Schiffbruch mit Tiger"  – Verfilmung des spirituellen Bestseller-Romans von Yann Martel durch Ang Lee.

 

Newcomer Joe Alwyn in der Hauptrolle nimmt man das irritierte greenhorn jederzeit ab. Sensibel und reflektiert, hadert er mit sich und den widersprüchlichen Erwartungen, die an ihn gerichtet werden. Er stört sich an Heuchelei und wohlfeilem Zweckoptimismus in seinem Umfeld – aber weiß dem nichts entgegenzusetzen außer seiner Rückkehr in die Kaserne.

 

So überteuert wie realer Krieg

 

Dieser Film ist ein dialoglastiges Kammerspiel unter Zuschauermassen. Es tippt alle geläufigen Aspekte von Krieg kurz an und formuliert keinen aus; Gräuel und Grausamkeit, Irrsinn und Aberwitz bleiben außen vor. Den himmelschreienden Kontrast zwischen saturierter Freizeitgesellschaft und surrealen Fronterlebnissen hat etwa Regisseurin Feo Aladag 2014 in „Zwischen Welten“ am Beispiel Afghanistan deutlich prägnanter dargestellt. Da hinkt „Billy Lynn“ zeitlich und thematisch hinterher: Der Irak-Krieg ist Zeitgeschichte; mittlerweile setzt das Pentagon auf einheimische Söldner und high tech warfare mit Drohnen.

 

Man fragt sich, was Regisseur Ang Lee – den Schöpfer solcher bildgewaltigen Leinwand-Epen wie „Tiger and Dragon“ (2000), „Brokeback Mountain“ (2005) und „Life of Pi“ (2012) – an diesem Stoff gereizt haben mag. Sowie, warum diese schnörkellos schlichte Umsetzung sagenhafte 48 Millionen US-Dollar gekostet haben soll. Offenbar ging es am set zu wie im realen Irak-Krieg: Während Militär-Statisten mit magerem Entgelt abgespeist wurden, sahnten contractors wie „Halliburton“, bis zum Jahr 2000 von Bushs Vize Dick Cheney geleitet, mit Mondpreisen mächtig ab.