Diese Szene hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der ganzen Welt eingebrannt: US-Präsident John F. Kennedy wird am 22. November 1963 in Dallas im offenen Wagen erschossen. Seine neben ihm sitzende Ehefrau Jackie (Natalie Portman) klettert verzweifelt auf das Heck der Limousine. Ihr blutverschmiertes rosa Chanel-Kostüm behielt sie in den folgenden Stunden an – sogar während der Vereidigung des bisherigen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson zum neuen Staat- und Regierungschef.
Info
Jackie: Die First Lady
Regie: Pablo Larraín,
100 Min., USA/ Frankreich/ Chile 2016;
mit: Natalie Portman, Peter Sarsgaard, Greta Gerwig, Caspar Phillipson
Eine Frau im Ausnahmezustand
Den Reiz des Filmes macht vor allem seine nicht-lineare, assoziative Struktur aus; das verlangt dem Zuschauer erhöhte Konzentration ab. Elliptisch bewegt sich die Geschichte hin und her zwischen der Zeit vor dem Mordanschlag und danach. Als Rahmenhandlung dient ein langes interview, das Jackie eine Woche später einem Reporter des „Life“-Magazins gab. Auf diese Weise entsteht das Bild einer Frau im Ausnahmezustand, die in ihrer tiefsten Trauer dem grellen Licht der Weltöffentlichkeit ausgesetzt ist.
Offizieller Filmtrailer
Ein Spezialist der Pinochet-Diktatur
Selbst in dieser Situation bewahrt Jackie – von Natalie Portman bravourös und nuanciert verkörpert, was ihr soeben eine Oscar-Nominierung eintrug – eisern Haltung: Schwäche oder gar einen Zusammenbruch kann sie sich nicht leisten. Stattdessen nutzt sie die Chance, das politische Vermächtnis ihres Mannes zu festigen, indem sie ein pompös-pathetisches Staatsbegräbnis inszeniert. Gegen alle Bedenken setzt Jackie durch, dass sie den Trauerzug hinter Kennedys Sarg zu Fuß anführt; vor allen ausländischen Staatsoberhäuptern. Ihre beiden Kinder sind Teil dieses Schauspiels.
Genau diese politische Inszenierung interessiert Regisseur Larraín. Sein erster Film auf Englisch ist zugleich der erste, den er außerhalb seiner Heimat Chile und ohne seine langjährige Filmfamilie gedreht hat. Die Macht und ihre deformierenden Auswirkungen auf das Seelenleben sind die Leitmotive seines Werks: Vor allem die Ära der Pinochet-Diktatur (1973-1990) arbeitet Larraín filmisch immer wieder auf.
Analoge Kameras für Retro-Ästhetik
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "El Club" – beklemmendes Drama über pädophile Priester in Chile von Pablo Larraín
und hier eine Besprechung des Films "¡No!" – packendes Polit-Drama über das Ende der Pinochet-Diktatur in Chile von Pablo Larraín
und hier einen Bericht über den Film "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" – Verfilmung der Roman-Autobiographie des israelischen Autors Amos Oz durch + mit Natalie Portman
und hier einen Beitrag über den Film "Der Butler" – beeindruckendes Biopic über einen schwarzen Diener im Weißen Haus von Lee Daniels mit Forest Whitaker.
Gleichwohl merkt man seinem neuen Film an, dass der Regisseur sich auf ungewohntem terrain bewegt und Zugeständnisse an Hollywood macht. „Jackie“ ist in seiner optischen Perfektion glatter und konventioneller geraten als Larraíns frühere Arbeiten, die mit ihrer ausgefeilten Retro-Ästhetik dem Publikum einiges zumuten. Auch hier setzt der Filmemacher analoge Kameras mit alten Objektiven ein, um einen authentischen look zu erzeugen. Allerdings tut er es diesmal nicht durchgängig.
Kostbarstes Juwel der Schatzkammer
Er hat nur die berühmte TV-Dokumentation vom Februar 1962 über Jackies Wirken im Weißen Haus nachgedreht, um das körnige Aussehen damaliger Fernsehbilder zu imitieren. Die übrigen Aufnahmen kommen dagegen im opulentem cinemascope daher: Die Präsidenten-Gattin und das Weiße Haus, das sie aufwändig renovieren ließ, werden prunkvoll in Szene gesetzt.
In dieser so prächtigen wie originalgetreuen Ausstattung wirkt die First Lady mit ihren stilbildenden Kostümen wie das kostbarste Juwel einer überladenen Schatzkammer. Hinter dieser öffentlichen Rolle verschwindet jedoch die Privatfrau weitgehend: Als Mensch wird sie kaum fassbar. Regisseur Larraín kratzt weder am image ihrer Legende, noch hinterfragt er den Sinn der von ihr betriebenen Inszenierung. Seine Jackie bleibt eine Ikone – und die versprüht per definitionem wenig Lebendigkeit.