Ein Künstlerbegräbnis fürs Kino: Als Jan Toorop 1928 in Den Haag beigesetzt wurde, folgte dem Sarg eine unübersehbare Menschenmenge; den Trauerzug filmten Wochenschau-Kameras. Der Verstorbene hatte in seiner Heimat oft mit spektakulären Werken Aufsehen erregt; er war mit vielen berühmten Kollegen befreundet und im Kulturbetrieb gut vernetzt. Auch in Deutschland war Toorop zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg häufig präsent und auf etlichen Ausstellungen vertreten.
Info
Jan Toorop (1858–1928)
27.10.2016 - 29.01.2017
täglich außer montags
11 bis 18 Uhr
im Museum Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, München
Katalog 29,95 €
23.02.2017 - 21.05.2017
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Bröhan-Museum, Schlossstraße 1a, Berlin
Erste Werkschau seit Jahrzehnten
Das war im Kanon der modernen Kunst suspekt, doch dessen Geschmacksdiktat verblasst. Anfang 2016 präsentierte das Gemeentemuseum Den Haag die erste Toorop-Retrospektive seit Jahrzehnten mit rund 150 Arbeiten; sie ist nun etwas verkleinert in der Münchener Villa Stuck und anschließend im Berliner Bröhan-Museum zu sehen. Eine verdienstvolle Initiative, um diesen originellen Künstler und sein weit gefächertes Werk wieder zu entdecken.
Jan Toorop kam 1858 als Sohn eines niederländischen Kolonialbeamten und seiner britischen Frau auf Java zur Welt. Mit elf Jahren wurde er ins Mutterland auf eine höhere Schule geschickt und sah Indonesien nie wieder. Später ließ er sich an mehreren Kunsthochschulen umfassend ausbilden und schloss sich 1884 der Brüsseler Avantgarde-Gruppe „Les Vingt“ („Die Zwanzig“) um James Ensor an, den späteren „Maler der Masken“.
Impressionen der Ausstellung
Seine frühesten in der Schau gezeigten Gemälde sind realistische genre-Szenen in tonigen Farben. 1885/6 versucht sich Toorop an impressionistischen interieurs und Porträts von Bürgersfrauen in strahlendem Weiß. 1887 wechselt er zu einer Tüpfel-Technik in der Manier des Postimpressionismus: für idyllische Landschaften in leuchtenden und Momente aus dem Leben einfacher Leute in fahlen Farben.
Monochrome Riesen-Zeichnungen
Zwei Jahre darauf der nächste Schwenk: Der unstete Toorop lässt sich im Badeort Katwijk an der Nordsee nieder und malt Fischer samt ihren Booten mit kräftig-pastosen Pinselstrichen. Bis er sich ab 1891 völlig neue Gefilde erschließt: den wundersamen Bilderkosmos des Symbolismus. Seine Bilder werden flächig, filigran und von fabelhaften Erscheinungen geradezu überschwemmt.
Anfangs benutzt er noch schreiende Komplementär-Farben, doch rasch er geht zu einem fast monochromen Zeichenstil über: Toorop bedeckt getöntes Papier mit unzähligen Bleistift- oder Kreide-Strichen und -Schraffuren. Langgliedrig ausgemergelte Gestalten, die entfernt an indonesische wayang-Figuren erinnern, tummeln sich in bizarren Konstellationen – als Allegorien auf Seelenzustände wie „Fatalismus“ oder „Sehnsucht und Befriedigung“.
Reklameplakat prägt Salatöl-Stil
Nach neuen visuellen Ausdrucksformen für Gefühle und Geistiges suchen damals viele Künstler – aber kaum einer treibt das in solche Extreme wie Toorop: Im Vertrauen auf seine Intuition radiert er große Bildteile aus oder stückelt Papierbahnen an, kerbt Zeichnungen ein oder überzieht sie mit Wachs. Bis jeder Zentimeter bedeckt ist: horror vacui. Seine vor Details wimmelnden Riesen-Bögen, wilder als jeder fantasy comic, verblüffen die Zeitgenossen – doch kaufen will sie kaum jemand.
Kein Wunder, dass der Maler seine rauschhaften Visionen ab 1894 mäßigt: zu einem gefälligen, ausgewogenen Jugendstil, der sich gut für Buch- und Plakatgestaltung eignet. Aus ätherischen wayang-Silhouetten werden würdevolle Damen, durch elegant geschwungene Linienbündel apart mit ihrer Umgebung verflochten; wie ihre Kusinen von Alfons Mucha oder Gustav Klimt. Toorops Reklame-Motiv für „Delfter Salatöl“ ist in den Niederlanden so populär, dass man dort vom „Salatöl“-Stil spricht.
Für Kirchen-Aufträge Katholik werden
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Piet Mondrian – Die Linie" über das Frühwerk des niederländischen Malers im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Artikel über die Ausstellung "Leidenschaft, Funktion und Schönheit" über den Jugendstil-Künstler Henry van de Velde im Neuen Museum, Weimar
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Johan Thorn Prikker: Mit allen Regeln der Kunst" - Retrospektive des Gesamtwerks "Vom Jugendstil zur Abstraktion" im Museum Kunstpalast, Düsseldorf
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Kunst für Alle – Der Farbholzschnitt in Wien um 1900" mit Werken des Jugendstil + Symbolismus in Frankfurt/ Main + Wien
und hier einen Beitrag über die Ausstellung „Schönheit und Geheimnis: Der deutsche Symbolismus – Die andere Moderne“ in der Kunsthalle Bielefeld.
Als Sakral-Ausstatter kultiviert Toorop eine weitere Formensprache: stark stilisierte Köpfe im Gebet oder auf dem Kreuzweg. Streng frontal wie Ikonen oder im Profil wie antike Reliefs, strahlen sie beeindruckende Spiritualität aus – und demonstrieren zugleich, wie eng verwandt damals religiöses Pathos mit der Bildsprache der Arbeiterbewegung war, die einen stark christlich geprägten Flügel hatte. Die Mixtur aus esoterischen und reformerischen Überzeugungen teilte der Künstler mit Piet Mondrian, mit dem er ab 1908 in Kontakt stand.
Raunende Wandtexte + konfuser Katalog
Dabei bediente Toorop alle Sphären gleichermaßen; er war kein Einzelfall. Sein Landsmann Johan Thorn Prikker wandelte sich vom anarchistischen Jugendstil-Künstler zum Lieferanten von Monumental-Werken, oft für Kirchen im Rheinland; dort ist sein Name geläufig. Der Belgier Henry van de Velde war ähnlich flexibel: vom Total-Ausstatter von Jugendstil-Villen wurde er zum sachlichen Industrie-designer.
Doch mit seinem behänden Wechsel diverser Malweisen je nach sujet steht Toorop in der Kunst um 1900 recht einzigartig dar – ganz abgesehen von seiner Radikal-Version des Symbolismus. Leider erläutert die Ausstellung das unzulänglich: Kurze Wandtexte sind im weihevoll raunenden jargon seiner Lebenszeit gehalten. Der schön gestaltete Katalog ist ein konfuses Sammelsurium von Daten und Zitaten; er taugt nur als Bilderbuch. So lässt sich in dieser Schau vor allem ein handwerklich brillantes Künstler-Chamäleon bewundern; da kommt man aus dem Staunen kaum heraus.