
Leidenschaften in den Ländern des Lächelns? Wo im Alltag das Wichtigste ist, nicht das Gesicht zu verlieren und keinen bloßzustellen? In China und Japan setzt jedermann allmorgendlich eine freundliche Maske auf, bewahrt jederzeit die Fassung und zeigt nur gemessenes, sozial erwünschtes Verhalten – so stellt es sich zumindest der gemeine Westler vor.
Info
Leidenschaften in der Kunst Ostasiens
13.08.2016 - 29.01.2017
täglich außer montags
11 bis 17 Uhr im
Museum für Ostasiatische Kunst,
Universitätsstraße 100, Köln
Mit Unsterblichkeit anfangen
Allerdings überrascht das Museum mit einem faible für Leidenschaftslosigkeit: Von fünf Abschnitten, in die diese Schau unterteilt ist, sind allein drei – also mehr als die Hälfte – der Überwindung irdischer Begierden gewidmet. Den Anfang macht seltsamerweise die „Sehnsucht nach Freiheit und Unsterblichkeit“: ein komplexes Gefühl, das im Abendland nicht gerade als Inbegriff verzehrender Leidenschaft gilt, eher als edler Charakterzug.
Interview mit Kuratorin Petra Rösch + Impressionen der Ausstellung
Leidenschaft für Ordnung bei KP-Kadern
Solche Freiheitsliebe liefert den Kuratorinnen einen willkommenen Anlass, um Rollbilder mit klassischer Landschaftsmalerei aufzuhängen. Darunter etliche exquisite Stücke – aber was haben sie mit Leidenschaft zu tun? Der menschliche Faktor beschränkt sich auf winzige Staffage-Figuren; längliche Texte erläutern akribisch, auf welche Fabeln und Legenden sich die Ansichten beziehen. Eine eher akademisch trockene als passionierte Einführung ins sujet.
Noch abwegiger wird die Auswahl der Exponate im zweiten Teil zu „konfuzianischer Moral und Tugendliebe“. Beides ist durch Ablehnung irrationaler Impulse geradezu definiert: Konfuzius‘ Lehren befürworten stets wohltemperierte Harmonie. Alles soll brav den ihm zugewiesenen Platz einnehmen; wie schematische Konterfeis hochverehrter Vorfahren auf chinesischen Ahnen-Gruppenporträts. Man müsste schon ein an KP-Hochschulen in Dialektik gedrillter Kader sein, um in solchen Wandbildern eine Leidenschaft für Ordnung oder dergleichen auszumachen.
Nur Brettspiele, kein Glücksspiel
Der dritte Teil über „Liebeslust und -leid“ kommt endlich zur Sache. Malerei und Farbholzschnitte mit Liebesszenen, meist aus Dramen oder Dichtung, lassen trotz konventioneller Kompositionen intensive Gefühle erkennen. Und „Frühlingsbilder“ (chinesisch: chunhua, japanisch: shunga) werden drastisch deutlich: Erotica aus Fernost ist ebenso explizit wie westliche Pornographie. Allerdings beschränkt sich die Schau auf weniger als ein Dutzend Blätter; sie sind verschämt in ein verhülltes Kabinett verbannt.
Dagegen präsentiert der vierte Teil zahllose Beispiele für „Gesellschaftsspiele und Vergnügungen“: meterlange Rollbilder mit Szenen aus Hof- und Alltagsleben, Porträts von Schauspielern oder Bogenschützen und manches mehr. So füllen die Vitrinen auch Brettspiele und Trinkgefäße – man stelle sich vor, leere Weinflaschen und -Pokale sollten als Belege der europäischen Leidenschaft für edle Tropfen herhalten. Indes bleibt die ostasiatische Passion für Glücksspiel um Geld unerwähnt; obwohl die Kasinos im südchinesischen Macau fünf Mal mehr umsetzen als diejenigen in Las Vegas.
Kopulierende verkörpern Gegensätze
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Buddha – Sammler öffnen ihre Schatzkammern" - exzellente Überblicks-Schau mit Meisterwerken buddhistischer Kunst aus 2.000 Jahren in der Völklinger Hütte, Völklingen
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die Leidenschaften – Ein Drama in fünf Akten" über das Spektrum der menschlichen Affekte im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Der chinesische Lustgarten" - pikante Einführung in erotische Kunst aus China im Museum für Asiatische Kunst, Berlin.
Für ihre Sphäre ist eine expressive Gestaltung vorgeschrieben, die bei irdischen Belangen völlig unschicklich wäre. Wobei der Anschein trügen kann: So genannte Yab-Yum-Figuren – vielarmige, kopulierende Wesen – symbolisieren keine Ekstase, sondern die Vereinigung abstrakter Gegensätze.
Gegenwärtiges fehlt völlig
Erstaunlich sind nicht nur Auswahl und Aufteilung der Artefakte, sondern auch ihr Alter: Kaum eines ist jünger als 100 Jahre. Als hätte sich im 20. Jahrhundert der künstlerische Ausdruck von Leidenschaften nicht auch in Ostasien rasant gewandelt: vom Autorenkino über manga und anime in Japan und chinesischen blockbuster-Produktionen bis zur karaoke-Kultur mit Sino-, K- und J-Pop. Prägnante Ausschnitte daraus samt Analyse ihrer Bildformeln würde hiesigen Betrachtern die Darstellung von Seelenleben in Ostasien zugänglicher machen als der Formenkanon altehrwürdiger Tuschemalerei.
Dazu müssten die Macher ihren historischen Fundus mit Gegenwärtigem kombinieren, wie es in Ethnologischen Museen mittlerweile üblich ist. Es scheint aber, als wollten sie nur ein best of des eigenen Depots vorführen, garniert mit einem catchy Titel – schließlich hat jede Abbildung von Personen irgendwie mit menschlichen Gefühlsregungen zu tun. Doch die vergangenheitsselige Inszenierung dieser Ausstellung vermittelt einen Eindruck, der bei diesem Thema fatal ist: Sie wirkt völlig leidenschaftslos.