Ben Affleck

Live by Night

Polizei-Offizier Thomas Coughlin (Brendan Gleeson, mi.) findet seinen Sohn Joe (Ben Affleck, v.) zusammengeschlagen auf der Straße. Foto: © 2016 Warner Bros. Pictures
(Kinostart: 2.2.) Ein Gangster als Gutmensch: In seiner dritten Regie-Arbeit malt Ben Affleck die Prohibitions-Ära der 1920er Jahre als opulent inszeniertes Epos aus. Darin beeindruckt er als moralisch anspruchsvoller Mafioso – bei leider verkitschtem Schluss.

Hätte es die Prohibition nicht tatsächlich gegeben, müsste die Film-Industrie sie erfinden: Als ab 1919 Alkohol in den Vereinigten Staaten untersagt war, formierte sich beim massenhaften Schmuggel die US-Mafia. Und als booze 1933 wieder erlaubt wurde, wandte sie sich anderen Geschäftsfeldern zu: Drogen- und Waffenhandel, Prostitution, illegales Glücksspiel, Schutzgeld-Erpressung und manchem mehr. Ohne 14 Jahre Alkohol-Verbot also kein organisiertes Verbrechen, zumindest nicht auf diese Weise.

 

Info

 

Live by Night

 

Regie: Ben Affleck,

129 Min., USA 2016;

mit: Ben Affleck, Zoe Saldana, Brendan Gleeson

 

Engl. Website zum Film

 

Und ebenso wenig ein ganzes Kino-genre: Was wäre Hollywood ohne seine gangster-Filme – von der „Schwarzen Serie“ der 1940/50er Jahre bis zu Leinwand-Epen wie etwa „Der Pate I-III“ (1972-90) von Francis Ford Coppola, „Es war einmal in Amerika“ (1984) von Sergio Leone oder „Good Fellas“ (1990) von Martin Scorsese? Zumal mobster ihre Schwarzgelder oft im Studiosystem wuschen; ohne budgets aus dubiosen Quellen wären etliche Filme nie gedreht worden. Wenn Hollywood-Studios einen Mafia-Film produzieren, feiern sie also im Grunde sich selbst.

 

Wagenrennen mit Speichenfelgen

 

Das mag erklären, warum „Live by Night“ mit aufwändiger Ausstattung und viel Liebe zum Detail prunkt – bei einem period piece kommt es nun einmal auf Atmosphäre an. Die Roaring Twenties werden hier blendend in Szene gesetzt: von verqualmten speakeasies über raffinierte Damenkleider und perfekt geschnittene Anzüge bis zum Fuhrpark herrlicher classic cars für rasante Wagenrennen mit Speichenfelgen.

Offizieller Filmtrailer


 

Rum-Import en gros in Florida

 

Dagegen ist der plot, nun ja: etwas konstruiert. Als Veteran des Ersten Weltkriegs verfällt Joe Coughlin (Ben Affleck), Sohn eines Polizei-Offiziers (Brendan Gleeson) in Boston, den Reizen von Emma, der gangster-Braut des irischen Mafia-Bosses Albert White. Sein italienischer Gegenspieler Maso Pescatore erpresst Joe; er will daher mit seinem Liebchen nach Kalifornien fliehen. Doch Emma verrät Joe, Whites Häscher schlagen ihn grün und blau, und wegen eines missglückten Banküberfalls landet er im Knast.

 

Nach seiner Freilassung will sich Joe an White rächen und heuert dafür bei Pescatore an. Der schickt ihn nach Tampa, Florida, um den illegalen Rum-Import aus Kuba zu organisieren. Was Joe mit seinem Partner Dion Bartolo glänzend gelingt; bis zur Heirat mit Graciela (Zoe Saldana), der Schwester seines farbigen kubanischen Geschäftspartners.

 

Laienpredigten der Ex-Heroin-Hure

 

Rassistische Rivalen im Ku-Klux-Klan beseitigt Joe effizient; danach plant er den Bau eines lukrativen Casinos. Das verhindert die kaum volljährige Tochter des lokalen sheriff: Als ehemalige Heroin-Hure schwört sie nun mit feurigen Laienpredigten ihre Glaubensgemeinde gegen sämtliche Laster ein. Dennoch liefe alles glatt für Joe – würde er nicht von seiner Vergangenheit eingeholt, da Pescatore mit seinen Schergen anrückt.

 

Selbst bei mehr als zwei Stunden Laufzeit sind das arg viele Schauplätze und Episoden; Figuren tauchen umstandslos auf und werden ebenso schnell beseitigt, bevor sie wie jack in the box wieder ins Bild springen. Doch das macht nichts: Im underground business muss man flexibel bleiben und situativ reagieren.

 

Mehr Gesprächs- als Gewalt-Szenen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Accountant" - angenehm entschleunigter Action-Thriller über kriminellen Autisten von Gavin O’Connor mit Ben Affleck

 

und hier eine Besprechung des Films "Der große Gatsby"  – prachtvolle Verfilmung des Romans von F. Scott Fitzgerald über die „Roaring Twenties“ in den USA von Baz Luhrmann mit Leonardo DiCaprio

 

und hier einen Beitrag über den Film „Rum Diary“ – alkoholgeschwängerte Verfilmung des Romans von Hunter S. Thompson über Puerto Rico um 1960 durch Bruce Robinson mit Johnny Depp

 

und hier einen Bericht über den Film "Gangster Squad" – aufwändiger Mafia-Thriller im Los Angeles der 1940er Jahre von Ruben Fleischer.

 

Was Ben Affleck als Hauptdarsteller seiner dritten Regie-Arbeit überraschend gut gelingt. Als Hollywoods bestbezahlter Hüne stapft er in feinster cremeweißer Tuche stoisch durch Scharen von aufgeregten Südstaatlern und caribbean immigrants – ein eindrucksvolles Gegenmodell zum normalerweise hyperaktiv großmäuligen mafioso à la „Scarface“ Al Pacino.

 

Deshalb kommt Affleck auch mit wohltuend wenigen Gewalt-Szenen aus: Außer dem Banküberfall in Boston und der beiläufigen Hinrichtung von Klansmen blitzt und kracht es nur noch im genre-üblichen showdown. Stattdessen zeigt der Film ausgiebig, woraus Geschäftsleben auch in der Illegalität vor allem besteht, nämlich Verhandlungen: fortgesetztes Feilschen um Konditionen, Fristen und Prozente.

 

Schnaps + Poker ja, Drogen nein

 

Die führt Affleck in einem Geist, den man als aufgeklärte Toleranz loben muss: leben und leben lassen, sich in sein Gegenüber hineinversetzen und legitime Interessen akzeptieren. Schnapsverkauf ist okay; ein Schlückchen in Ehren kann niemand verwehren. Glücksspiel gleichfalls; jeder ist seines Glückes Schmied. Drogenhandel, Zuhälterei, Betrug und Verrat sind es nicht – alle Branchen, auch halbseidene, brauchen einen Ehrenkodex.

 

Für solches Sinnieren über den Pfad der Tugend für Kriminelle nimmt sich Affleck viel Zeit. Das atmet den spirit der entschwindenden Obama-Ära: do the right thing unter unübersichtlichen Umständen. Nur der völlig verkitschte Schluss erscheint wie ein Zugeständnis an vermeintliche family values im beginnenden Trump’s term: eine groteske Karikatur des gangster als Gutmenschen, dessen Porträt der Film zuvor so überzeugend gezeichnet hat. Was so absurd wirkt wie sein Titel: Von wenigen Ausnahmen abgesehen, spielen sämtliche Szenen am hellichten Tag.