Gus Van Sant

My Own Private Idaho

Mickey Waters (River Phoenix, li.) und Scott Favor (Keanu Reeves). Fotoquelle: Filmmuseum Düsseldorf
Road Movie von Oregon nach Italien: In seinem Kult-Film von 1991 erzählt Regisseur Gus van Sant von der Sinnsuche zweier Heranwachsender. River Phoenix glänzt als Stricher, der bei Stress sofort einschläft: zu sehen im Filmmuseum Düsseldorf am 7. Februar.

Der US-Regisseur Gus van Sant hat 1991 mit seinem Film „My Own Private Idaho“, der hierzulande unter dem Titel „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ in die Kinos kam,   ein Meisterwerk des independent cinema inszeniert. Als Kombination aus drei verschiedenen Geschichten: erstens einem Drehbuch über Straßenkinder in Portland, das von Shakespeares Historiendrama „Henry IV.“ inspiriert wurde.

 

Info

 

My Own Private Idaho

 

Regie: Gus Van Sant,

102 Min., USA 1991

mit: Keanu Reeves, River Phoenix, James Russo

 

Weitere Informationen

 

Vorführung im Filmmuseum Düsseldorf

 

Zweitens integrierte der Regisseur ein Skript über zwei jugendliche Stricher, die nach Italien reisen, um die Mutter eines der beiden zu finden. Dazu kommt drittens eine Kurzgeschichte, in der ein homosexueller Stricher von einem Deutschen in dessen Haus mitgenommen wird. Aus all diesen Elementen entsteht das vielschichtige Porträt der beiden befreundeten Stricher Mike und Scott auf einer wirren Suche nach sich selbst; in diesen Rollen brillieren River Phoenix und Keanu Reeves.

 

Streuner + Bürgermeister-Sohn

 

Mike wohnt auf der Straße und sucht nach seiner Mutter. Scott ist Sohn des Bürgermeisters von Portland, Oregon, und will seiner elitären Familie entfliehen. Als enge Freunde schlagen sich beide zunächst durch die Straßen von Portland – das Revier von junkies und Freiern. Über highways im US-Nordwesten fahren sie nach Idaho und finden Hinweise, dass Mikes Mutter in Italien wohnt. Ihre von einem exzentrischen Freier finanzierte Reise nach Europa verändert die Beziehung zwischen beiden: Scott findet mit Carmella die Liebe seines Lebens und tritt das Erbe seines Vaters an. Mike kehrt allein zum Leben auf der Straße zurück.

Anfangsszene von "My Own Private Idaho"


 

Wolken + western song

 

Karg und intensiv in der Bildgestaltung, ironisch und symbolisch auf der Tonebene: „My Own Private Idaho“ stellt vor allem tristesse und Einsamkeit dar. Zugleich gilt der Film als wichtiger Auslöser des New Queer Cinema; so wird eine Strömung von US-Spielfilmen aus den frühen 1990er Jahren mit queerer Thematik bezeichnet. Dazu zählen auch etwa „Poison“ (1993) von Todd Haynes und „Edward II“ (1991) von Derek Jarman.

 

Mit der Eröffnungs-Sequenz lässt sich wunderbar die Atmosphäre des Films charakterisieren. Es geht los mit einem Blick auf einen highway, der sich am Horizont verliert. Dazu erklingt der western song „Cattle Call“ in einer Interpretation von Eddy Arnold. Wolken bewegen sich schnell am Horizont; die Landschaftsbilder werden von Mikes träumerisch wirkendem Gesicht durchbrochen. Eingeblendete Farbtafeln zeigen die credits an.

 

Schlaf-Krankheit prägt Film-Rhythmus

 

Bevor deutlich wird, dass sich Mike nicht in dieser Weite befindet, sondern mit einem Freier in einem Hotelzimmer in Seattle, ist seine Suche nach dem Lebenssinn und seinen Träumen bereits angedeutet. Im Zusammenspiel von Bild und Musik entwickelt sich untergründig ein melancholischer Humor, der den ganzen Film durchzieht. Doch das verklärt nicht Trost- und Hoffnungslosigkeit sowie menschliche Abgründe, die gleichermaßen thematisiert werden.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films Promised Land – Polit-Thriller über Gas-Förderung mittels Fracking mit Matt Damon von Gus van Sant

 

und hier einen Bericht über den Film "Restless – Coming-of-Age-Story über todgeweihte Teenager mit Mia Wasikowska von Gus van Sant

 

und hier einen Beitrag über den Film „Sag nicht wer du bist!“schwuler Psychothriller in der kanadischen Provinz von Xavier Dolan.

 

Mike ist Narkoleptiker: Bei Stress fällt er in komatösen Schlaf. Durch diese Form der Ohnmacht wird der Erzählfluss des Films mehrfach durchbrochen. Die Krankheit gibt in gewisser Weise einen Rhythmus vor, der geprägt ist von Brüchen in der Formensprache – vor allem in den Dialogen oder dem vielschichtigen soundtrack.

 

River Phoenix spielt seine Figur ebenso klug wie ehrlich, absolut authentisch und knallhart: Sie hat nicht nur mit der Krankheit, sondern auch mit der Brutalität des Stricherlebens zu kämpfen. Der Schauspieler selbst sollte zwei Jahre später an einer Drogen-Überdosis sterben.

 

Hineinmontierte Doku-Aufnahmen

 

Der Kultstatus des Films ist aber nicht nur auf Phoenix‘ Präsenz, sondern auch in der Inszenierung des Lebensgefühls von zwei Heranwachsenden begründet, die sich zu orientieren versuchen. Dafür ist keine große zusammenhängende Geschichte nötig.

 

Insofern verwundert es nicht, dass Gus van Sant auch dokumentarische Elemente in seinen Film integrierte: Kurze Ausschnitte mit Straßenkindern in Portland, die von ihren Erfahrungen berichten, sind authentisch. Es handelt sich um zufällige Aufnahmen während der Dreharbeiten, die der Regisseur in den Film hineinmontierte. Die Klarheit, mit der er das unaufhörliche Suchen seiner Protagonisten im Nirgendwo beschreibt, hinterlässt kaum Hoffnung.

 

Ein Gastbeitrag von Thomas Ochs, Filmmuseum Düsseldorf