
Señor Larraín, Ihr Film beginnt mit einer ungewöhnlichen Szene: In einem riesigen, pompös ausgestatteten Bad treffen die politisch Mächtigen von Chile aufeinander. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Einstieg?
Wir wollten eine Szene schaffen, die etwas Absurdes an sich hatte. Wo sonst wird das Schicksal einer Nation im Badezimmer diskutiert? Da gab es allerdings sogar drinks, so dass der Raum Bad und Bar in einem war. Wir mussten dieses Bad eigens bauen.
Pablo Neruda scheint Teil der chilenischen Identität zu sein. Welche Rolle spielte er in Ihrem Leben?
Info
Neruda
Regie: Pablo Larraín,
107 Min., Chile/ Argentinien/ Frankreich 2016;
mit: Gael García Bernal, Luis Gnecco, Mercedes Morán
Ein Film über den Neruda-Kosmos
Warum nennen Sie Ihren Film ein „Anti-Biopic“?
Man kann Neruda nicht in einen Film stecken und behaupten: Das ist Neruda. Das funktioniert nicht; dafür ist seine Person zu komplex und zu groß. Neruda war ein großartiger Koch, ein Weinkenner, ein Weltreisender, ein womanizer und Diplomat. Als Senator war er der Führer der kommunistischen Partei; er wäre fast Präsident Chiles geworden. Wie soll man solch eine facettenreiche Persönlichkeit in einem einzigen Film darstellen? Das ist unmöglich. Deshalb entschieden wir uns einen Film über den Neruda-Kosmos zu drehen.
Offizieller Filmtrailer OmU
Unklare Todesursache
Warum war Neruda von Stalin so fasziniert?
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die halbe Welt fasziniert von der kommunistischen Ideologie als Theorie, die in die Praxis umgesetzt wurde: Die haben den Krieg gewonnen, wow! Heute wissen wir, was danach alles passiert ist, von der Kubakrise bis zum Fall der Mauer.
Wir wissen, dass Neruda hätte Präsident werden können, und ebenso, dass Neruda zwei Wochen nach Pinochets Putsch im September 1973 gestorben ist. Sein Körper wurde danach vier Mal untersucht, aber bis heute ist unklar, woran er starb. Selbst das FBI hat nichts gefunden. Ich würde mir sehr wünschen, dass nicht Pinochet schuld daran war, sondern dass Neruda einen natürlichen Tod starb. Ich bin mir aber sicher, dass es nicht so ist.
Gelebt, geträumt oder geschrieben
Wieso haben Sie sich für diese ungewöhnliche Variante einer Filmbiographie entschieden?
Anfangs war unser Ansatz kommerzieller, dann fanden wir eine andere Perspektive. Wir wollten Neruda nicht vereinnahmen, er wird nie uns gehören. Er wird immer frei wie ein Vogel sein. Als er 1971 den Nobelpreis für Literatur bekam, sagte er in seiner Dankesrede: Er wisse nicht, ob er sein Leben wirklich gelebt, geträumt oder geschrieben habe. Das war wie ein Schlüssel für unseren Film.
Inwieweit entspricht Ihre Version der historischen Realität? Neruda wurde wirklich verfolgt, aber wohl anders als im Film?
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Neruda" von Pablo Larraín
und hier eine Besprechung des Films "Jackie: Die First Lady" – intimes Biopic über Jacky Kennedy von Pablo Larraín
und hier einen Bericht über den Film „El Club“ – beklemmendes Drama über pädophile Priester in Chile von Pablo Larraín, prämiert mit Silbernem Bären 2015
und hier eine Besprechung des Films „¡No!“ – packendes Polit-Drama über das Ende der Pinochet-Diktatur in Chile mit Gael García Bernal von Pablo Larraín.
Dichter und Jäger brauchen einander
Haben Sie sich bei der Figur des Polizisten Oscar Peluchonneau, den Gael Garcia Bernal spielt, von Klischees des Film noir inspirieren lassen?
Ja; er zieht sich manchmal an, wie ein cop in den 1950er Jahren: Die Figur des Polizisten ist wie für Gael gemacht! „Neruda“ ist ein Film über Filme: Er kombiniert cops und Verfolgungsjagden mit Elementen eines road movie, er ist manchmal schwarze Komödie und auch ein existentialistischer Western. Vor allem ist er ein Film über die Dichtkunst und Auferstehung.
Neruda musste verfolgt werden, um seine Legende zu begründen; er floh, um seine kommunistischen Genossen und Getreuen zu schützen. Dabei bedingen und brauchen der Dichter und sein Jäger einander – deshalb ist es für Neruda auch so aufregend. Das sagt er auch im Film; er will diesen Nervenkitzel. Umgekehrt liest der Polizist unentwegt in Nerudas Autobiographie „Ich gestehe, ich habe gelebt“.
Wir wissen, dass viele Menschen Neruda geholfen haben, aber nicht, was hinter den verschlossenen Türen der Helfer passiert ist. Da erschaffen wir unsere Fiktion, die richtig oder falsch sein kann. Wir erschaffen mit Schauspielern und Kameras Projektionen und lieben diese Figuren. Es ist, als wären beide füreinander geboren.