Alexandra Leclère

Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste

Die Hausgemeinschaft im Fahrstuhl: Grégory Bretzel (Michel Vuillermoz), Christine Dubreuil (Karin Viard), Pierre Dubreuil (Didier Bourdon) und Béatrice Bretzel (Valérie Bonneton, v.l.n.r.). Fotoquelle: ©SquareOne/Universum
(Kinostart: 9.2.) Gekommen, um zu bleiben: Laut Regierungsdekret müssen alle Franzosen mit viel Wohnraum obdachlose Mitbürger einquartieren. Die Sozial-Komödie von Regisseurin Alexandra Leclère beginnt raffiniert, doch löst sich später im Rosaroten auf.

Ein herrliches Mietshaus in bester Pariser Innenstadtlage: Jede Wohnung ist ein 300 Quadratmeter großer Immobilientraum aus Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung schien – Parkettböden, Stuck, französische Fenster, Dienstmädchen und gesellschaftliche Hierarchie inklusive.

 

Info

 

Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste

 

Regie: Alexandra Leclère,

120 Min., Frankreich 2015;

mit: Karin Viard, Didier Bourdon, Valérie Bonneton

 

Website zum Film

 

Unten wohnt die strenge concierge (Josiane Balasko), darüber die betuchten Mieter: Neben dem bourgeoisen Ehepaar Christine (Karin Viard) und Pierre Dubreuil (Didier Bourdon) lebt in dem imposanten Anwesen noch eine alternative Familie, die ihre Wohnung in ein loft umgewandelt hat; ein älterer Herr, der in Kitsch und Plüsch logiert, sowie ein uraltes, lärmempfindliches Ehepaar. Ein Mikrokosmos der französischen Oberschicht.

 

Untermieter per Dekret

 

So unterschiedlich die Bewohner des Hauses auch sein mögen, eines haben sie alle gemein: Sie leben verschwenderisch großzügig. Das ist natürlich legitim, aber in Zeiten von akutem Wohnungsmangel auch ein moralisches Problem. Daher erlässt die französische Regierung im Film von Alexandra Leclères ein umstrittenes Dekret: Aufgrund einer extremen Kältewelle müssen alle Menschen, denen mehr Wohnraum als nötig zur Verfügung steht, Bedürftige als Untermieter bei sich aufnehmen.

Offizieller Filmtrailer


 

Solidarität endet an der Türschwelle

 

Mit diesem originellen Gedankenspiel entspinnt sich nun eine provokante und  überdrehte Komödie über Gutmenschen, Rassismus, Vorurteile, Helfer-Syndrome und eine Menge Egoismus. Französische Komödien über soziale Missstände und Ungerechtigkeiten haben in den letzen Jahren Hochkonjunktur. Dass der deutsche Titel dem des Kassenerfolgs „Monsieur Claude und seine Töchter“ ähnelt, ist sicher kein Zufall; der französische Originaltitel „Le Grande Partage“ („Das große Teilen“) trifft die Sache besser.

 

„Hätte ich doch niemals links gewählt!“, entfährt es Béatrice Bretzel (Valérie Bonneton), jener alternativen Mutter aus dem loft, die kürzlich noch auf einer großen Demo gegen Wohnungsnot mitlief. Doch an der eigenen Türschwelle endet jede Solidarität abrupt. Alle Mietparteien des Luxushauses entwickeln nun ihre eigenen Strategien, um mit der ungeliebten Verordnung umzugehen. Einige nutzen die neuen Untermieter als willkommene Ablenkung von ihrer Einsamkeit; Andere tricksen und bestechen, um das vermeintliche Unheil abzuwenden.

 

Madame rächt sich für Lieblosigkeit

 

Ehepaar Dubreuil holt sogar Pierres Mutter aus dem Altenheim zurück und bezahlt die Haushälterin als Scheinmieterin, um das zulässige Verhältnis von Wohnfläche pro Person einzuhalten. Doch solches Durchmogeln findet ein jähes Ende, als Madame Christine selbst die Sache in die Hand nimmt: Sie meldet die Trickserei ihres Mannes und ihrer Nachbarn den Behörden. Madame Christine erträgt die Bigotterie und die Meckerei ihrer Mitmenschen nicht mehr. Und was wäre eine bessere Rache für jahrelang ertragene Lieblosigkeit, als die Spötter aus ihrer Komfortzone zu verjagen?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Nur wir drei gemeinsam" – bewegende iranisch-französische Migranten-Tragikomödie von Kheiron

 

und hier eine Besprechung des Films “Monsieur Claude und seine Töchter” – französische Multikulti-Komödie von Philippe de Chauveron

 

und hier einen Bericht über den Film “Die Farbe des Ozeans” – intensives Flüchtlings-Drama auf Gran Canaria von Maggie Peren

 

und hier einen Beitrag über den Film "Mein Stück vom Kuchen" – originelle Klassenkampf-Komödie von Cédric Klapisch mit Karin Viard.

 

Bald schon wohnt man deutlich vielfältiger und beengter als bisher: Flüchtlinge, Obdachlose, eine allein erziehende Mutter mit Kind, ein mittelloser Student und eine schwarze Frau aus Mali, die gerade ihren job verloren hat, mischen sich unter die upper class-Vertreter.

 

Tauschbörse für Mitbewohner

 

Ein culture clash wie aus dem Bilderbuch erschüttert nun das feine Haus: Die ehrbaren Bürger vergessen ihre gute Kinderstube und ergehen sich in rassistischen Sprüchen, Heuchelei und jeder Menge Verlogenheit. Natürlich verändert das Beisammensein alle Beteiligten: Grantler und Gutmenschen erhalten bald eine Lektion in Sachen Nächstenliebe und Solidarität.

 

Regisseurin Leclère hat genau hingeschaut und den Reigen der zahlreichen Rechtfertigungen, Lügen und Strategien raffiniert aufbereitet. Sie findet das rechte Maß zwischen Überhöhung und bitterer Wahrheit. Die offen rassistische concierge erfindet etwa eine lukrative Tauschbörse, um unliebsame Mitbewohner gegen etwas passendere Kandidaten auszutauschen: „Ob sie es glauben oder nicht, einigen ist die Hautfarbe egal!“

 

Flucht ins Märchenreich

 

Was äußerst reizvoll anfängt, entwickelt aber im Verlauf doch ein paar grobe Schwächen: Sobald der Läuterungsprozess in Gang kommt, verlieren Figuren und Konflikte stark an Glaubwürdigkeit. Zu holzschnittartig entwickeln sich die Charaktere; sie werden so überzeichnet, dass sich Mitgefühl und Anteilnahme nicht mehr einstellen mag. Handfeste Konflikte lösen sich ins Rosarote auf; eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema verflüchtigt sich im Märchenreich. Schade, dass Regisseurin Leclère nicht den Mut hatte, so unbequem zu enden, wie sie begonnen hat.