Pablo Larraín

Neruda

Der Dichter und KP-Senator Pablo Neruda (Luis Gnecco) muss in den Untergrund gehen. Foto: Piffl Medien Filmverleih
(Kinostart: 23.2.) Als das Dichten noch geholfen hat: Den chilenischen Nationalpoeten Pablo Neruda porträtiert Regisseur Pablo Larraín als charismatischen Lebemann auf der Flucht vor der Geheimpolizei – ein grandioses Panorama romantischer Politik.

Dichter als Nationalhelden? Das war einmal, zumindest hierzulande. Wenn Zeitgenossen überhaupt noch Poesie zitieren, dann am ehesten Humoriges von Wilhelm Busch oder Ringelnatz. In anderen Kulturen sieht das anders aus: Jeder halbwegs gebildete Russe kann Zeilen von Puschkin auswendig, jeder Iraner solche von Hafis. Und Lateinamerikaner führen gern Pablo Neruda (1904-1973) im Mund.

 

Info

 

Neruda

 

Regie: Pablo Larraín,

107 Min., Chile/ Argentinien/ Frankreich 2016;

mit: Gael García Bernal, Luis Gnecco, Mercedes Morán

 

Website zum Film

 

Sein Hauptwerk „Canto General“ über die Geschichte ihres Kontinents in 15.000 Versen ist Schullektüre. Mit seinen Liebesgedichten haben schon unzählige Jünglinge Briefe an ihre Angebeteten veredelt. Dennoch erreichte das Werk des chilenischen Kommunisten im Kalten Krieg nur die halbe Welt. Im Ostblock feierte man ihn als Minnesänger des Sozialismus; im westlichen Kulturbetrieb wurde er weitgehend ignoriert. Das änderte sich erst, nachdem Neruda 1971 den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte.

 

Einzigartige Episoden-Auswahl

 

Nun widmet ihm Pablo Larraín einen Film. Der bedeutendste und kreativste südamerikanische Regisseur seiner Generation verehrt Neruda, wie alle Chilenen links der Mitte. Aber Larraín hat kein Heldenepos gedreht, im Gegenteil. Zwar bedient er sich eines bei biopics geläufigen Kunstgriffs und beschränkt sich auf eine besonders aussagekräftige Episode im Leben des Poeten. Doch was der Filmemacher daraus macht, ist einzigartig.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Räuberpistole der Schwarzen Serie

 

1948 sitzt Neruda seit drei Jahren für die Kommunisten im Senat von Chile. Zwei Jahre zuvor hat er das Reformprogramm des Präsidentschafts-Kandidaten González Videla unterstützt. Als der nach seiner Wahl stattdessen mit der traditionellen Oberschicht paktiert, wirft ihm der Dichter-Senator mit flammenden Worten Verrat am Volk vor. Videla lässt seine Immunität aufheben und einen Haftbefehl gegen ihn ausstellen. Neruda muss untertauchen und wechselt in den nächsten eineinhalb Jahren fast täglich seine Unterkunft. Bis der chilenische KP-Chef seine Flucht über die Berge im unwirtlichen Süden des Landes nach Argentinien organisiert.

 

Sein jahrelanges Untergrund-Dasein wäre allein schon spektakulär genug. Regisseur Larraín macht daraus eine rasante Räuberpistole: Er erfindet den Polizisten Oscar Peluchonneau, der Neruda im Auftrag des Präsidenten jagt. Diesen Ermittler gibt Gael García Bernal ganz fabelhaft als abgebrühten Schwarze-Serie-Geck, irgendwo zwischen Erroll Flynn und Humphrey Bogart.

 

Katz-und-Maus-Spiel als Epochen-Gemälde

 

Er hasst den Intellektuellen für alles, was ihm selbst fehlt: seinen Ruhm, seine freimütige Lebensart und seinen Schlag bei Frauen. Und zugleich bewundert er ihn für seine Prinzipientreue und Wortgewalt, wenn er in Mußestunden Nerudas Autobiographie liest. Mit diesen Antagonisten inszeniert der Regisseur ein aberwitziges Katz-und-Maus-Spiel, das sich ganz beiläufig zum Epochen-Gemälde entwickelt. Samt allerlei Schlüsselszenen, die vielleicht nicht verbürgt sind, aber über das Wesen von Nerudas Charisma mehr verraten als dickleibige Biographien.

 

Anfangs erscheint er als dekadenter Faun, der seine Verse auf einer wilden Kostümparty deklamiert und sich dafür bejubeln lässt wie einst Nero. Kurz darauf verhandelt er mit Regierungs-Vertretern in einer Art Fiebertraum von kolonialbarockem Prunk-Bad. Politisch sind Neruda und seine Gesprächspartner Todfeinde, sozial stehen sie auf einer Stufe: Alle zählen zur hauptstädtischen Elite und gehen lässig vertraut miteinander um.

 

Transen-Gesang im Variété-Bordell

 

Wenn der Staatschef im Amtszimmer seinen aasigen Häscher losschickt, löst der Regisseur das in hektische Gegenlicht-Schnappschüsse und jump cuts auf. Büxt Neruda nachts in ein Variété-Bordell aus, weil ihm die Decke auf den Kopf fällt, lässt sich der Film Zeit, dem melancholischen Gesang eines Transvestiten bis zum letzten Ton zuzuhören.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Regisseur Pablo Larraín über seinen Film "Neruda"

 

und hier eine Rezension des Films "Jackie: Die First Lady" - Biopic über Jacky Kennedy von Pablo Larraín

 

und hier einen Bericht über den Film „El Club“ – beklemmendes Drama über pädophile Priester in Chile von Pablo Larraín

 

und hier eine Besprechung des Films „¡No!“ – packendes Polit-Drama über das Ende der Pinochet-Diktatur in Chile von Pablo Larraín

 

Für jede Situation findet Larraín eine eigene, passende Bildsprache. So entsteht das Panorama einer Gesellschaft, die trotz europäischer Prägung geographisch wie zeitlich recht fern gerückt ist: mit Salonkommunisten, die sich beim Wein an radikalen Parolen berauschen, aber in der Praxis eher kneifen. Mit Proletariern, die ihnen das vorhalten, während sie bei Streiks Neruda-Strophen schmettern.

 

Politik wie in der italienischen Oper

 

Mit Gesten unglaublicher Großherzigkeit und schäbigster Niedertracht – die Fronten waren klar und alles Teil des welthistorischen Ringens zwischen Fortschritt und Reaktion. Politik war nicht so technokratisch durchkalkuliert wie heute, sondern hatte noch etwas Romantisches: mit Akten wie in der italienischen Oper.

 

Diese Bühne füllt Luis Gnecco hinreißend. Alle Rollen seiner Figur nimmt man ihm jederzeit ab: den charmanten Lebemann ebenso wie den eitlen Star-Literaten und den gehetzten Staatsfeind – der sich einen Jux daraus macht, seine Verfolger mit Ködern anzulocken und ihnen dann um Haaresbreite zu entwischen. Neruda als hasardeur, der mit Freiheit und Leben spielt.

 

Roman hätte Neruda gefallen

 

Wobei den showdown im verschneiten Anden-Hochgebirge dann doch sein Gegenspieler verlieren muss. Nicht nur, weil Neruda tatsächlich die Flucht nach Paris und vier Jahre später seine triumphale Rückkehr nach Chile gelungen ist. Sondern auch aus Prinzip: Venceremos!

 

Gerade weil er seine eigene Parteilichkeit nicht verhehlt, sondern luzide reflektiert, ist dieser Film von Pablo Larraín sein bislang bester – und ein großer Wurf. In seiner schillernden Vielseitigkeit erweist er sich seines Helden würdig. „Unser Film ist wahrscheinlich weniger ein Film über Neruda als einer in seinem Geiste – vielleicht ist er auch beides zusammen“, sagt der Regisseur: „Wir wollten einen Roman erzählen, von dem wir gerne hätten, dass Neruda ihn mit Vergnügen liest.“ Das ist ihnen geglückt.