Daniel Espinosa

Life

Miranda North (Rebecca Ferguson) und David Jordan (Jake Gyllenhaal) auf der internationalen Raumstation. Foto: © 2017 Sony Pictures Releasing GmbH
(Kinostart: 23.3.) Töten, um zu überleben: Im neuen Science-Fiction-Film von Regisseur Daniel Espinosa entdeckt ein Astronauten-Team eine neue Spezies, die sich bald als Monster erweist - so düsteres wie nachdenkliches Kammerspiel über menschliche Schwächen.

Früher stand die Raumfahrt mal für wilde Fantasien und Utopien. Heute ist sie nur noch Routine, die sich die Weltgemeinschaft leistet, um ein gewisses Prestige zu wahren. „Life“, der neue Film des Regisseurs Daniel Espinosa, beginnt daher ziemlich realistisch – also unspektakulär: Sterne, die sich aus einer diffusen Weltall-Dunkelheit schälen, sich langsam abzeichnende Konturen der Erde, eine Totale auf eine Raumstation, schließlich eine Kamerafahrt ins Innere. Dort schwebt ein geschäftiges team aus sechs Astronauten durch verwinkelte Röhrensysteme und raunt sich militärisch anmutende Handlungsbefehle zu.

 

Info

 

Life

 

Regie: Daniel Espinosa,

103 Min., USA 2016;

mit: Jake Gyllenhaal, Ryan Reynolds, Rebecca Ferguson 

 

Website zum Film

 

Auch die Protagonisten wirken lebensnah: Die russische Leiterin Ekaterina Golovkina (Olga Dihovichnaya) mimt die hyperrationale Chefin, die immer erst nach getaner Arbeit lächelt; Ingenieur Roy Adams (Ryan Reynolds) witzelt sich in surfer dude-Manier durch den tristen Alltag. Der dauermelancholische Bordarzt David Jordan (Jake Gyllenhaal) übernimmt seinen kontemplativ-philosophischen counterpart.

 

Keine Superhelden, sondern Wissenschaftler

 

Der Realismus ist intendiert, denn die Filmfiguren befinden sich auf der ISS, der real existierenden „Internationalen Raumstation“, die 400 Kilometern hoch über der Erde schwebt und sie 16 mal am Tag umrundet. Es sind also keine Superhelden, sondern Wissenschaftler, die ihrem täglichen Brot nachgehen: Sie führen wissenschaftliche, meistens medizinisch motivierte Experimente durch.

Offizieller Filmtrailer


 

Das erste außerirdische Leben

 

Nichts anderes macht der Mikrobiologe Dr. Derry (Ariyon Bakare), als er eine Gesteinsprobe vom Mars untersucht. Routiniert führt er im hermetisch abgeriegelten Labor unter den Blicken der hinter einer Schutzscheibe stehenden Crew der Probe diverse chemische Kombinationen zu. Bis sich etwas in der Petrischale bewegt – es ist, wie Derry völlig außer sich ruft, eine Art lebendige Zelle.

 

Das freut sogar die Rationalisten im team – immerhin haben sie gerade das erste außerirdische Leben überhaupt entdeckt. Eine Sensation, die sie der Erde nicht vorenthalten. In einer Szene des Kammerspiels, das sonst ausschließlich im All spielt, tauft ein Mädchen auf dem von hunderttausenden Menschen bevölkerten times square unter tosendem Jubel das Ding im Namen ihrer Schulklasse auf den Namen Calvin. Vermutlich in Anlehnung an den Biochemiker, der 1961 für seine Fotosyntheseforschung den Nobelpreis für Chemie erhielt.

 

Überlegene Spezies

 

Jener hätte sich aber im Grab umgedreht, wenn er hätte zusehen müssen, wie unbekümmert das Team das fremde Leben begrüßt – handelt es sich doch um eine hochentwickelte, dem Menschen überlegene Spezies: Jede einzelne Zelle ist zugleich eine Muskel- und eine Gehirnzelle – und somit unberechenbar. Bei einer weiteren Untersuchung passiert dann das von Nahaufnahmen besorgter Gesichter angekündigte Unglück. Die Zelle wächst, verwandelt sich in eine Art Krakenwesen und verletzt Dr. Berry am Arm. Kollege Adams eilt zur Rettung, wird aber getötet, bevor sein Blut in einer morbiden wie ästhetischen Szene in kleinen Farbpartikeln durch das Labor tänzelt.

 

Die Jagd auf das Monster beginnt. Doch die crew, die dem Ding nun in zum Teil rasanten, zum Teil sehr zähflüssigen action-Szenen nachstellt, ist weit unterlegen – und wird nach und nach dezimiert. Gerade die menschliche Schwäche beim unvorsichtigen Umgang mit dem alien ist die narrative Stärke des Films. Weil alle Figuren an altbekannte humane Unzulänglichkeiten gebunden sind, wirkt alles sehr realistisch – und lässt die Furcht und Ohnmacht, nicht vor dem Monster, aber vor dem einsamen Tod im All, umso spürbarer werden.

 

Sehr viele Tränen

 

Das zeigt sich besonders im vom Gyllenhaal gespielten Bordarzt Jordan. Er, der von allen am längsten auf der Raumstation arbeitet, weil er die Erde satt hat, ist ein traumatisierter Mann, nachdem er als Soldat in Syrien war. Jene Erfahrung spiegelt sich nun in den Tränen, die er wegen seiner toten Kollegen vergießt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Arrival“fesselnder Science-Fiction-Psychothriller von Denis Villeneuve mit Amy Adams

 

und hier einen Bericht über den Film „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“ – monumentale Robinsonade auf dem Mars von Ridley Scott mit Matt Damon

 

und hier einen Beitrag über den Film "Kind 44" - Drama über Sowjet-Geheimdienstler unter Stalin von Daniel Espinosa

 

Und überhaupt gab es selten soviel Trauer in einem science siction horror-Film, also einem genre, das traditionell weniger die Schwächen als die prometheische Kraft des Menschen zelebriert. Allzu rührselig wird es jedoch nie, geht der schwedisch-chilenische Regisseur doch nicht gerade zimperlich mit seinen Protagonisten um.

 

Fallstricke der menschlichen Neugier

 

So lässt sich der Film auch als eine Parabel auf die Fallstricke auf die Natur des Bösen lesen. Jenes ist, so wusste die Philosophin Hanna Arendt, oft banaler als gedacht. Das alien, sagt Dr. Berry in einer Szene, kenne keinen Hass. Es wolle bloß überleben. Jene Metaebene und das ziemlich überraschende Ende machen ″Life‶ trotz seiner zu sehr ausgedehnten Actionszenen im Mittelteil zu einem widersprüchlichen Werk.

 

Science Fiction ist hier nicht der Weltraum-western, der die Indianer durch Außerirdische ersetzt, wie der französische Regisseur Francois Truffaut einst bemerkt hat. Es ist vielmehr ein klaustrophobisches Kammerspiel über das Menschsein. Er enthält einen Hinweis, der in diesen Zeiten von allgegenwärtiger individueller Selbstüberschätzung nicht ganz unpolitisch ist: Manchmal sollte der Mensch seine Schwächen kennen – und die Grenzen seiner Macht akzeptieren.