G. Heinzen + F. Heinzen-Ziob

Original Copy – Verrückt nach Kino

Sheikh Rehman malt die letzten Details eines neuen Plakats, Surya schaut zu. Foto: W-film Distribution
(Kinostart: 9.3.) Das Kino stirbt, es lebe das Kino: Ein neuer Dokumentarfilm porträtiert den letzten Filmplakatmaler von Mumbai – er arbeitet im ältesten Filmtheater der Megacity. Gelungene Reflektion über das Ende und die Zukunft einer alten Zunft.

Im Herzen Mumbais, der megacity im Westen Indiens, bröckelt zwischen Marktständen, kolonialen Fassaden und Appartment-Neubauten ein altes Kino vor sich hin: Das „Alfred Talkies“ ist ein Überbleibsel aus der britischen Kolonialzeit, ein früher glanzvoller Kinopalast. Seine betagte 35-Millimeter-Projektoren rattern immer noch vor sich hin und zeigen die stars des Hindi-Kinos der vergangenen Zelluloid-Ära.

 

Info

 

Original Copy -
Verrückt nach Kino

 

Regie: Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen,

95 Min., Deutschland 2015;

mit: Sheikh Rehman, Najma Loynmoon, Huzefa Bootwala

 

Website zum Film

 

Mit einer Mischung aus Neugier und Respekt reisen die deutschen Regisseure Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen im neuen Dokumentarfilm „Original Copy“ ins Innere des Kinos: in den Vorführraum, die Büros und die Werkstatt des Plakatmalers Sheikh Rehman, der in mühevoller Kleinarbeit die Bewerbung der nächsten Wiederaufführung vorbereitet.

 

Filmplakat als Kaufmagnet

 

Rehman ist der letzte Filmplakatmaler der Stadt. Sein  Ton ist rau, wenn er seinen Adepten erklärt, wie man ein Kinoplakat gestaltet: Farbgebung und Positionierung der Stars, ihr Blick und ihre Bewaffnung, Requisiten (Helikopter) und Lichteinfall, all das spiele eine Rolle. Wenn der Film langweilig sei, so Rehman, könne er mit einem aufregend aussehenden Plakat dafür sorgen, dass die Leute trotzdem ein ticket kaufen.

Offizieller Filmtrailer


 

Kino als sozialer Ort

 

Der Beruf des Plakatmalers stirbt aus. Ebenso in Berlin, wo allein das „Delphi“-Kino sich noch den Luxus einer handgemalten Filmreklame leistet; wie in Westafrika, wo Photoshop die Maler verdrängt hat; und eben auch in Mumbai, wo Fernsehen und internet die Vertriebsstrukturen der weltweit größten Kino-Industrie umwälzen. So brütet der Manager des „Alfred Talkies“, das schon lange keine Kopien der beliebten action-Filme mehr bekommt, mit diesem speziellen indischen Kopfschütteln über den Büchern und erklärt seiner Chefin Najma Loynmoon, wie es um das Kino steht.

 

Loynmoon, die im Kino groß geworden ist, hat das Haus von ihrem Großvater geerbt. Und der wollte es ihr gar nicht überlassen, weil sie eine Frau ist. Nun kämpft sie gegen die schwindenden Besucherzahlen und den Zahn der Zeit, der an Material und Tradition nagt. Dabei wird das Kino nach wie vor besucht und hat als sozialer Ort durchaus noch seine Funktion. Es gebe doch zuhause schon so viele Tränen, sagt Rehman an einer Stelle – da solle man (und er meint Mann) sich doch wenigstens für die Dauer eines Filmes amüsieren können.

 

Wer ist der bärtige Mann?

 

Die Filmemacher führen behutsam und geduldig in diese Arbeits- und Lebenswelt ein – ohne Off-Kommentare, erklärende Einblendungen oder Kontextualisierung. Ein wenig Vorwissen hilft, („Talkies“ im Kino-Namen bezeichnen Tonfilme im Gegensatz zu Stummfilmen), ist aber keine Bedingung. So wird auch zunächst nicht erklärt, wer der bärtige Mann ist, der das Kino vor Vorstellungsbeginn mit Duftrauch einnebelt, und welcher Tradition das entspringt: Er fungiert auch als Vorführer. Wenn er nicht gerade in Gedanken oder Schlummer versunken ist, schreckt ihn erst das anschwellende Murren aus dem Auditorium auf, und er macht sich an den Rollenwechsel.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Lunchbox” indisches Kulinarik-Melodram von Ritesh Batra mit Irrfan Khan

 

und hier einen Bericht über den Film „Mitternachtskinder“  – grandiose Verfilmung von Salman Rushdies Indien-Epos von Deepa Mehta

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Deadly And Brutal. Filmplakate aus Ghana" - in der Pinakothek der Moderne, München

 

Obwohl nur wenig passiert, spinnt der Film klug seine Erzählfäden und wird nicht langweilig. Trotz der gelegentlich skurrilen Figuren und unerklärlichen Ereignisse schwebt über allem die Melancholie des baldigen Endes.

 

Ein Neuanfang? Vielleicht

 

Es gibt Tränen in diesem Film. Auch Rahman, der sonst zu jeder Gelegenheit ein Zitat von berühmten indischen Schauspielern wie Shah Rukh Khan oder Amitabh Bachchan zur Hand hat, zeigt Emotionen. Etwa, wenn er erzählt, dass seine Zunft stirbt und seine Söhne auf ihn herabsehen. Dabei wären die Söhne gefragt, möchte man ihm zurufen, um das Kunsthandwerk ihres Vaters ins globalisierte Zeitalter zu retten.

 

Rahman hat auch das Plakat von „Original Copy“ gestaltet – vielleicht ein Anfang vom Neuanfang. Dieser Filmtitel führt übrigens in die Irre. Es geht in diesem Film nicht wirklich um Raubkopien und copyright-Piraterie, und die Protagonisten sind auch nicht, wie der Untertitel suggeriert, „verrückt nach Kino“. Sie sind mit dem Kino eher schicksalhaft verbunden, so wie ein Bauer mit seinem Acker und ein Fischer mit dem Meer – was diese Geschichte jedoch nicht weniger berührend und relevant macht.