Robert Pattinson

Die Versunkene Stadt Z

Alles fließt in der grünen Hölle: Percy Fawcett und sein Team treiben über unbekannte Gewässer. Foto: Studiocanal
(Kinostart: 30.3.) Indiana Jones im Amazonasbecken: Der britische Abenteurer Percy Fawcett suchte nach versunkenen Kulturen im Regenwald und verschwand dort. Ihn will Regisseur James Gray würdigen – sein Biopic gerät zur operettenhaften Kuriositäten-Schau.

Ein Leben, wie geschaffen für die Cinemascope-Leinwand: Unter den Forschern, die im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert entlegene Landstriche durchstreiften, war Percy Fawcett (1867-1925) einer der tragischsten. Besessen von der fixen Idee, er könne in Südamerika eine versunkene Zivilisation aufspüren, durchforstete er sieben Mal monate- bis jahrelang den tropischen Regenwald – bis er spurlos in ihm verschwand.

 

Info

 

Die Versunkene Stadt Z

 

Regie: James Gray,

140 Min., USA 2016;

mit: Charlie Hunnam, Sienna Miller, Robert Pattinson

 

Website zum Film

 

Die erste Reise unternahm der Berufsoffizier 1906 im Auftrag der Royal Geographical Society (RGS): Er sollte umstrittene Abschnitte des Grenzverlaufs zwischen Bolivien und Brasilien im Amazonasbecken vermessen. Fawcett machte seine Sache so gut, dass er mehrfach von der RGS dorthin zurückgeschickt wurde, um weitere Grenzfragen zu klären.

 

Älter als alle bekannten Kulturen

 

Schon auf seiner ersten Reise erzählten ihm Einheimische, mitten im Dschungel seien die Ruinen einer großen Stadt verborgen. Kleinere Funde von Keramik und anderen Artefakten schienen solche Legenden zu bestätigen; der Gedanke daran ließ Fawcett nie wieder los. Er nannte sie „Z“ und nahm an, sie sei älter als alle bekannten präkolumbischen Kulturen sein – doch trotz aufwändiger Suche in verschiedenen Regionen fand er sie nie.

Offizieller Filmtrailer


 

Fawcett inspirierte „Jurassic Park“-setting

 

Im Ersten Weltkrieg wurde der Offizier bei einem Gefecht verletzt. 1925 brach er mit seinem Sohn Jack und einem Fotografen zu seiner letzten Expedition auf; sie versandte Depeschen, anhand derer Millionen von Zeitungslesern ihren Verlauf verfolgten. Als diese ausblieben, wurde das Trio zum Faszinosum: Für eine Mission, um es aufzuspüren, meldeten sich 1927 rund 100 Freiwillige – dabei kamen die meisten von ihnen selbst um.

 

So unerfüllt Fawcetts Lebenstraum blieb, so erfolgreich war sein mediales Nachleben. Schon erste Reiseberichte verarbeitete sein Freund, der Sherlock-Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle, zum Erfolgsroman „Die Verlorene Welt“ (1912). George Lucas‘ Filmfigur „Indiana Jones“ soll von Fawcett inspiriert sein, ebenso das setting von Steven Spielbergs Dinosaurier-action „Jurassic Park I-II“ (1993/7). Da wundert man sich fast, dass es über diesen gentleman adventurer bislang kein biopic gab.

 

Wandelnde Tapferkeits-Medaille

 

Das holt US-Regisseur James Gray, ein Spezialist für Grenzgänger, nun nach. Leider nähert sich er sich seiner schillernden Hauptfigur auf denkbar konventionelle Weise: mit linear chronologischer Handlung von einer Lebensphase zur nächsten. Was zwar den Helden schön strahlend als visionären Abenteurer-Pionier dastehen lässt – aber das unerhört Außergewöhnliche seiner Erfahrungen verzwergt.

 

Brav pendelt der Film zwischen Aufenthalten im Regenwald, wo Fawcett (Charlie Hunnam) sich mit Wolkenbrüchen, Giftschlangen und Proviantknappheit herumschlägt, und solchen in England, wo er dasselbe mit Zweiflern, Neidern und Geldmangel macht. Selbst sein Weltkriegs-Einsatz als wandelnde Tapferkeits-Medaille wird ausführlich ausgebreitet, ebenso seltene Besuche daheim bei seiner Familie – dabei lächelt Ehefrau Nina (Sienna Miller) ihr ewiges Strohwitwen-Dasein mit Scherzworten weg. Wer ist hier eigentlich der heroische Einzelgänger?

 

Operettenhafte Nummernrevue

 

Da bleibt nicht viel Zeit für Konfrontation mit dem Fremden. Im Amazonasgebiet muss alles ganz fix gehen: Boot zimmern, Ausrüstung aufladen und dann auf unkartierten Nebenflüssen von Zwischenfall zu Zwischenfall trudeln. Hier ein Piranha-Angriff, dort ein Indianer-Pfeilhagel, dazwischen eine Stippvisite beim Sklavenhalter-Kautschukbaron. Solche Episoden sind durch Fawcetts Schriften beglaubigt, aber ihre Verdichtung erscheint absurd: Das ganze Pandämonium des tropischen Lateinamerika um 1900 als Nummernrevue.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Schamane und die Schlange – Embrace of the Serpent" – brillant vielschichtiges Doppelporträt zweier Amazonas-Forschungspioniere von Ciro Guerra

 

und hier eine Besprechung des Films "A Floresta De Jonathas – Im dunklen Grün" – Coming-of-Age-Drama im Regenwald Brasiliens von Sergio Andrade

 

und hier einen Bericht über den Film "Amazonia – Abenteuer im Regenwald" – 3D-Dokumentation über Leben im Dschungel von Thierry Ragobert.

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Fluss war einst ein Mensch" – beeindruckendes Psycho-Drama über eine Odyssee in Afrikas Wildnis von Jan Zabeil.

 

Weil sich Regisseur Gray dafür wenig Zeit lässt, häufen sich handwerkliche Fehler. Da treibt ein Floß einem malerischen Wasserfall entgegen – stromaufwärts. Da erbricht ein schwer kranker Mitreisender schwarze Galle – und ist in der nächsten Szene wieder quicklebendig. Da beschwichtigen Fawcett und seine Mannen kriegerische Flussanrainer, die kaum oder noch nie Kontakt zu Weißen hatten – und ihr Häuptling spricht fließend Spanisch. Das wirkt zuweilen fast unfreiwillig komisch operettenhaft.

 

„Apocalypse Now“ als Ethnokitsch

 

Nebenbei zeigt sich Fawcett bei jeder Gelegenheit als einfühlsamer Indianer-Versteher; dankbar versorgen sie ihn mit Hinweisen auf die sagenhafte Z-Stadt. Er hätte sie fast gefunden, wäre nicht immer kurz vorher etwas dazwischen gekommen, suggeriert Regisseur Gray. Zum Ausgleich spendiert er seinem Helden eine Abschiedszeremonie, die als Ethnokitsch-Version der beeindruckend irren Schluss-Sequenz von „Apocalypse Now“ (1979) daherkommt.

 

Die Intensität von Francis Ford Coppolas Vietnam-Kriegsfilm, einer Paraphrase von Joseph Conrads Kongo-Schocker „Herz der Finsternis“ (1899), erreicht Grays Dschungel-Epos trotz üppiger tableaux keine Sekunde lang. Sein Blick bleibt ein kolonialer, von außen aufs tropische Raritätenkabinett gerichtet – nur durch die Linse heutiger politischer Korrektheit.

 

Dickicht so schwarz wie das All

 

Wer im Kino einen Eindruck vom abgründig Anderen erfahren will, in das Forscher wie Fawcett damals vordrangen, sollte sich den brillanten Film „Der Schamane und die Schlange“ (2015) des Kolumbianers Ciro Guerra ansehen: Hier verstreicht Zeit tropfend wie Brackwasser, lauern lautlose Gefahren überall, und Dickicht wird allmählich so schwarz wie das All.