Angela Schanelec

Der traumhafte Weg

Theres (Miriam Jakob). Foto: © Filmgalerie 451
(Kinostart: 27.4.) Träumerisch schlafwandeln mit der "Berliner Schule": Ihren statischen Stil beschleunigt Regisseurin Angela Schanelec mit vielen Schnitten – zu Lasten der Atmosphäre. Trotz solcher Neuerungen wird ihr Film damit nicht zugänglicher.

Selten bietet sich ein Filmtitel so sehr zur Kommentierung, aber auch zur Polemik an. Das Adjektiv in Angela Schanelecs neuem Film „Der traumhafte Weg“ ist eng verbunden mit der Ästhetik des Films. Die schlafwandlerische, assoziative Abfolge der Bilder, die surreale Atmosphäre der Dialoge und der Umgang der Figuren miteinander, das alles kann als „traumhaft“ verstanden werden – einer Logik folgend, die dem Schlaf mehr verpflichtet ist als dem Wachzustand. Dass Schanelec den Titel so verstanden haben will, dass mit dem Wort weniger das Synonym von „wundervoll“ gemeint ist, als vielmehr das Verträumte, Träumerische, Geträumte, hat sie selbst in einem Interview gesagt.

 

Info

 

Der traumhafte Weg

 

Regie: Angela Schanelec,

86 Min., Deutschland 2016;

mit: Miriam Jakob, Thorbjörn Björnsson, Maren Eggert

 

Weitere Informationen

 

Den Weg, den die deutsche Regisseurin und ihre Kollegen von der sogenannten „Berliner Schule“ seit den Nullerjahren eingeschlagen haben, finden viele wenig traumhaft. Zuletzt hat sich die Debatte über die Ästhetik der dffb-Absolventen, zu denen auch Christian Petzold, Thomas Arslan und Christoph Hochhäusler zählen, 2013 an Dietrich Brüggemanns Manifest „Fahr zur Hölle, Berliner Schule“ neu entzündet. Berliner Schule, das sind lange, unbewegte Einstellungen, das ist Beobachtung, die an die Stelle von Handlung tritt. Langeweile pur, sagen ihre Gegner. Eine neue Art des Sehens, sagen ihre Anhänger.

 

Geometrische Einstellungen

 

Dabei zeigt Schanelecs neuer Film, wie wenig sich jene Schule verallgemeinern lässt. Nicht einmal das Werk einzelner Regisseure kann als „immer langweilig“ oder „immer neu“ gelten. Schanelec, die zuvor Theaterschauspielerin war, hat 2004 mit „Marseille“ ein Meisterwerk vorgelegt: wunderschöne, sehr lange, perfekt kadrierte Einstellungen – eine völlig neue Art, Figuren zu zeigen und eine Geschichte zu erzählen.

Offizieller Filmtrailer


 

Vieles wirkt künstlich

 

Jetzt also „Der traumhafte Weg“. Sicher, die große Aufmerksamkeit für die Bildgestaltung – weiterhin im 4:3-Format – ist noch da, auch der Wille zum eigenständigen Erzählen; sogar Maren Eggert als Hauptdarstellerin. Dennoch wirkt vieles, was sich in „Marseille“ organisch zusammengefügt hatte, hier künstlich. Die größte ästhetische Neuerung sind Nahaufnahmen, etwa von Händen und Füßen, und viele Schnitte, die Schanelec anstelle von langen Einstellungen verwendet. Das hätte funktionieren können. Leider schafft es vor allem Unruhe – und eine Zerstückeltheit, wo den Zuschauern früher viel Raum zur Beobachtung gelassen wurde.

 

Blickt diese Kritik nostalgisch auf die damalige Neuerung? Versucht sie, die Berliner Schule im Allgemeinen und Angela Schanelec im Besonderen auf ihre Anfänge festzulegen – und wäre das nicht unfair? Mal sehen. Worum geht es im neuesten Beispiel jener Stilrichtung, in der es nie um irgendetwas gehen soll? Theres (Miriam Jakob) und Kenneth (Thorbjörn Björnsson) sind ein junges Paar, das 1984 Urlaub in Griechenland macht und Geld als Straßenmusiker verdient. Als seine Mutter einen Unfall hat, reist Kenneth ab. Die Beziehung zerbricht.

 

Verträumte story

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Phoenix" - KZ-Überlebenden-Drama von Christian Petzold, Regisseur der "Berliner Schule", mit Nina Hoss + Roland Zehrfeld

 

und hier eine Besprechung des Films "Gold" – Spät-Western von Thomas Arslan, Regisseur der "Berliner Schule", über deutsche Auswanderer in Kanada mit Nina Hoss

 

und hier einen Bericht über den Film "Kreuzweg" – Milieustudie strenggläubiger Christen von Dietrich Brüggemann, prämiert mit dem Silbernen Bären 2014

 

Dreißig Jahre später in Berlin: Ariane (Maren Eggert) trennt sich gerade von David (Phil Hayes), mit dem sie eine kleine Tochter hat. Auch Theres und Kenneth sind plötzlich wieder da. Theres trägt die gleichen Kleider wie 1984; als sei keine Zeit vergangen, als wäre sie vom ersten Erzählstrang geradewegs in den zweiten katapultiert worden. Arianes Tochter bricht sich den Arm. Im Schwimmbad trifft sie auf Theres’ Sohn. Er ist so alt wie im ersten Teil des Films.

 

Das ist wieder diese Traumlogik, in der Zusammenhänge nur assoziativ einen Sinn ergeben. Sie ist typisch für diese Regisseurin, ebenso wie ihr Interesse für Verkehrsmittel und Transit-Räume. Das Berlin von heute wird zuerst erkennbar an den Bussen, dann am Hauptbahnhof.

 

Innovativ, aber nicht atmosphärisch

 

„Der traumhafte Weg“ ist ein echter Schanelec-Film. Aber einer, bei dem die Neuerungen zu Lasten der atmosphärischen Dichte gehen. Anders als Christian Petzold, dessen „Phoenix“ zuletzt gefälliger war, entwickelt sich Schanelec von der Langsamkeit weg, ohne auch nur ansatzweise zugänglicher zu werden. Kompliziertheit muss im Kino ganz sicher kein Mangel sein – aber in diesem Film hat sie die Atmosphäre vertrieben. Hoffentlich nur eine kurze Etappe auf dem Weg der Regisseurin.