Leverkusen + Wolfsburg

Hans Op de Beeck: The Silent Castle + Out of the Ordinary

Hans Op de Beeck: Fatima (Detail), 2016, Courtesy Studio Hans Op de Beeck, Brüssel; © Hans Op de Beeck. Fotoquelle: Museum Morsbroich, Leverkusen
So schön kann Farbenblindheit sein: Der belgische Künstler schafft naturgetreue Skulpturen – nur in Grautönen. Wie wohltuend sein schwarzweißer Bilder-Kosmos auf eine überreizte Gesellschaft wirkt, zeigen Museum Morsbroich und Kunstmuseum Wolfsburg.

Die Welt als Grisaille: Das hat einen verführerischen Reiz, für den Hans Op de Beeck bei seinen Installationen keine 50 Grautöne braucht. Ihm genügt meist ein Einheitsgrau, das alle Oberflächen überzieht. Stattdessen sorgt seine raffinierte Lichtregie mit Einfallswinkeln und Schatten für die subtile Abstufung von Grauwerten: Skulpturen sehen täuschend echt aus, Statuen fast lebendig – doch die Nichtfarbe lässt alles wie eingefroren oder versteinert wirken. Als würde die Zeit still stehen.

 

Info

 

Hans Op de Beeck:
The Silent Castle

 

12.02.2017 - 30.04.2017

täglich außer montags

11 bis 17 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

im Museum Morsbroich, Gustav-Heinemann-Str. 80, Leverkusen

 

Katalog 22 €

 

Weitere Informationen

 

 

Hans Op de Beeck:
Out of the Ordinary

 

09.04.2017 - 03.09.2017

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr

im Kunstmuseum Wolfsburg, Hollerplatz 1, Wolfsburg

 

Katalog 58 €, ab 18. Mai

 

Weitere Informationen

 

Der gleiche Effekt gelingt dem Belgier, indem er manchmal alles in gleißendes Weiß oder schimmerndes Lackschwarz taucht. Nur punktuell greift er zu Farben, um Akzente zu setzen – dann springt ihre Leuchtkraft besonders ins Auge. Dieser monochrome Kunst-Kosmos steigert zwangsläufig die Konzentration; wie das Zwielicht die Menschen zu erhöhter Aufmerksamkeit zwingt, damit sie nichts Wichtiges übersehen.

 

Kaffeetafel für Sechsjährige

 

Damit hat der 47-jährige Multimedia-Künstler, der auch aquarelliert, Animationsfilme erstellt, komponiert und Regie führt, weltweiten Erfolg: In den letzten zehn Jahren zeigten zahlreiche Museen und Galerien von Washington bis Beijing seine Arbeiten. Gleichzeitig hat er seine Formensprache auf Normalmaß reduziert – was sie umso eindringlicher werden lässt.

 

In den Nullerjahren schuf Hans Op de Beeck gern Groteskes, indem er die Größenordnung veränderte: eine aufgeblähte Geburtstagstorte, eine Straßenkreuzung mit Ampeln als Spielzeuglandschaft, Miniatur-Wartehäuschen auf mannshohen Stelen oder eine Kaffeetafel, auf der alles um die Hälfte höher und breiter ist – wie es ein Sechsjähriger erlebt, der gerade bis zur Tischkante reicht. Solche Werke forderten den Erfahrungshorizont auf humorige Weise heraus.

Impressionen der Ausstellung im Museum Morsbroich, Leverkusen


 

Seelenfrieden ohne Kitsch

 

Inzwischen orientieren sich seine Plastiken und Filme stärker an Utensilien aus der Lebenswelt. Allerdings nicht als Imitationen, sondern als Nachschöpfungen, bei denen der Künstler großen Aufwand treibt. Er malt nicht einfach Dinge grau an, sondern modelliert sie naturgetreu aus Gips nach, um „fiktive Umgebungen zu erschaffen, in denen wir das Echo der Realität wahrnehmen können“. Gleichsam als Bühnenbilder für je individuelle Erinnerungen.

 

Dadurch erscheinen diese Installationen und environments zugleich einladend und verhalten, üppig und diskret: Sie locken den Betrachter an, überwältigen ihn aber nicht. Was im überhitzten Kunstmarkt, dessen Trommelfeuer greller Reize das Publikum erschöpft, eine kostbare Qualität darstellt. Hans Op de Beeck spricht von Stille, Sanftmut, Gelassenheit und sogar Trost, die seine Werke ausstrahlen sollen. Seelenfrieden ohne Kitsch: ein unwiderstehliches Angebot für eine allseits überforderte Gesellschaft.

 

Krimskrams säumt Ledersofa

 

Passenderweise betitelt der Künstler seine Ausstellung im Museum Morsbroich „The Silent Castle“. Das spätbarocke Schloss von Leverkusen ist ein verstecktes Kleinod: Von außen kaum erkennbar, schmiegt es sich in seinen weitläufigen Park wie eine Perle in die Auster. Seit 1954 wird hier zeitgenössische Kunst präsentiert, aber wohl selten so dezent wie jetzt: Grauer Teppich dämpft alle Schritte. Außer in den Filmräumen geht es überall leise zu.

 

Noch ein Kunstgriff, um die Sinne für Op de Beecks Stilleben zu schärfen. Etwa für „The Lounge“ (2014): Ein massives Ledersofa ist mit jeder Menge Krimskrams übersät. Das Möbelstück säumen Bücher, Flaschen und Früchte, aber auch ein schlafender Hund, als hätte sein Herrchen soeben alles zurückgelassen. Warum, mag sich jeder selbst denken. Erloschene Kerzen und ein Totenschädel gemahnen an die Vergänglichkeit des Seins – memento mori-Symbolik verwendet der Künstler oft.

Interview mit Christiane Heuwinkel, Leiterin Kommunikation, + Impressionen der Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg


 

Retrospektive als Gesamtkunstwerk

 

In seinen Händen erweist sich grauer Gips als wundersam wandelbar: sei es für Seerosen auf einem Teich aus schwarzem Glas oder als lebensechte Gestalten von Kindern und Frauen. „Fatima“ (2016) verbindet die Pose eines klassischen Aktes mit sehr Gegenwärtigem: jeans, to go-Becher und iPod. Dass alles von geschickten arrangements abhängt, zeigt drastisch der Videofilm „Staging Silence (2)“ (2013). Banale Requisiten wie Watte, Zweige und Zucker genügen – schon zaubern zwei Hände daraus malerische Landschaften aus Wolken, Bäumen und Schnee. In „Night Time“ (2015) entsteht diese Illusion durch animierte Aquarelle, ähnlich den originellen Kohlezeichnungs-Filmen des Südafrikaners William Kentridge.

 

Dennoch bleiben alle Werke im Schloss Einzelexponate, verteilt auf eine vorgegebene Raumfolge. Anders in Wolfsburg: In der riesigen Halle des Kunstmuseums kann Op de Beecks seine Retrospektive als Gesamtkunstwerk inszenieren – auf zwei Etagen. Oben liegt das geradezu einschüchternde entrée: Die 20 Meter lange Rauminstallation „The Collector’s House“ sorgte 2016 auf der Kunstmesse „Art Basel Unlimited“ für Furore. Hier stapeln sich erlesene Schätze wie im Salon einer Neureichen-Villa; was in Morsbroich noch für sich stand, ist nun auf Deko-Objekte eines Raffzahns reduziert.

 

Leeres Küstendorf + Rummelplatz

 

Hintergrund

 

Offizielle Website von Hans Op de Beeck

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "RAY Fotografieprojekte 2015 – Imagine Reality" mit einem Beitrag von Hans Op de Beeck

 

und hier eine Besprechung des Künstlerfilm-Festivals "Kino der Kunst 2015" mit einem Beitrag von Hans Op de Beeck

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "William Kentridge: Fünf Themen" - hervorragende Werkschau der handgezeichneten Stopptrick-Filme des südafrikanischen Künstlers in der Albertina, Wien.

 

Dann geht es über eine Feuertreppe abwärts in die Unterwelt des Stromausfalls. Nur ein paar Funzeln und brennende Mülltonnen beleuchten dunkle Gassen voller Sperrgut. Jede angrenzende Hütte beherbergt eine Groß-Installation: etwa „The Settlement“ (2016), dessen verwinkelte Fassaden sich im Wasserbecken spiegeln. Die menschenleere Szenerie changiert zwischen Küstendorf und slum – in einer Neumondnacht. Oder „The Amusement Park“ (2015): Fahrgeschäfte und Wohnwagen suggerieren einen längst verlassenen Rummelplatz.

 

Op de Beeck beschränkt sich aber nicht auf Nachahmung des vermeintlich Vorhandenen. Er erfindet auch frei: wie das Modell eines dekonstruktivistisch gezackten Kreuzfahrtschiffes für „Sea of Tranquility“ (2010). Samt Wachspuppen der Besatzung und image-Film mit jazz-Konzert der Bordkapelle; sogar Geschirr für den Luxus-liner hat der Künstler entworfen. Man möchte gleich buchen – sähen die Werftarbeiter-Quartiere nebenan bloß nicht so ärmlich aus.

 

„Meer der Ruhe“ auf dem Mond

 

Es scheint, als werde seine Weltsicht zusehends düsterer: Je raumgreifender die jüngsten Installationen ausfallen, desto sarkastischer oder elegischer werden ihre sujets. Wobei sie weiterhin perfekte Projektionsflächen für die Imagination des Betrachters abgeben – nur lösen sie kaum angenehme Assoziationen aus. Und kein Traumschiff ist in Sicht, das aus irdischen Jammertälern in selige Gefilde entführen könnte: Das real existierende „Meer der Ruhe“ liegt auf dem Mond.