Köln + Basel

Otto Freundlich – Kosmischer Kommunismus

Otto Freundlich: Die Mutter (Detail), 1921, Öl auf Leinwand (Nessel), Berlinische Galerie, Berlin, Foto: Kai-Annet Becker. Fotoquelle: Museum Ludwig, Köln
Atomphysik als Vorbild für soziale Utopie: Otto Freundlich war einer der originellsten Künstler der 1920/30er Jahre – und einer der kühnsten Theoretiker. Dem umtriebigen Feuerkopf widmen Museum Ludwig und Kunstmuseum Basel eine eindrucksvolle Retrospektive.

Unzeitgemäßer als „Kosmischer Kommunismus“ kann ein Ausstellungstitel kaum sein. Der real existierende Sowjet-Kommunismus landete auf dem Müllhaufen der Geschichte, und die Weiten des Weltalls locken auch nicht mehr: Die Menschheit lebt ihre Entdeckerfreude derzeit lieber im Mikrokosmos von Digitalisierung und Nano-Strukturen aus.

 

Info

 

Otto Freundlich -
Kosmischer Kommunismus

 

18.02.2017 - 14.05.2017

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Museum Ludwig,  Heinrich-Böll-Platz, Köln

 

Katalog 39 €

 

Weitere Informationen

 

10.06.2017 - 10.09.2017

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Neubau des Kunstmuseums Basel,
St. Alban-Graben 20

 

Weitere Informationen

 

Doch hier geht es weder um sozialistischen Agitprop-Realismus noch um „Kosmismus“, eine esoterische Spielart der russischen Avantgarden. Otto Freundlich (1878-1943) war einer der originellsten abstrakt arbeitenden Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein eigenwilliges Werk, von ihm anspruchsvoll begründet, entstand in stetiger Auseinandersetzung mit wichtigen Tendenzen, ohne sich ihnen anzupassen. Dafür erfuhr Freundlich so viel Zuspruch wie Ablehnung – bis die Nazis ihn als „entartet“ verfemten und 1943 im KZ Sobibor ermordeten.

 

Nur einzelne Beispiele gezeigt

 

In der Nachkriegszeit geriet sein künstlerischer Nachlass quasi zwischen alle Stühle. Einerseits war er nie vergessen. Freundlichs eigenständiger Beitrag zur Moderne wurde anerkannt: Zahlreiche Museen besitzen Arbeiten vom ihm, die in etlichen Epochen-Ausstellungen zu sehen waren. Aber meist nur einzelne Beispiele: Dem linksradikalen Querdenker eine ganze Werkschau zu widmen, unternahm kaum jemand.

Impressionen der Ausstellung


 

Unsteter Studien-Abbrecher

 

Die letzte große Retrospektive ist fast 40 Jahre her; damals entstand auch das Werkverzeichnis. Umso verdienstvoller, dass diese Schau jetzt Freundlich für das 21. Jahrhundert neu entdeckt – und dabei seine exzentrischen Kunst-Theorien nicht schamhaft herunterspielt, sondern im Gegenteil auf ihren Gehalt und ihre Relevanz für die Gegenwart untersucht.

 

Der Sohn einer assimilierten jüdischen Kaufmannsfamilie im pommerschen Stolp brach die Schule und zwei Mal die Universität ab, bevor er an einer privaten Kunstschule studierte. Jahrzehntelang pendelte er zwischen Berlin, Köln, Paris und anderen Städten hin und her. Auch nachdem er sich Ende der 1920er Jahre dauerhaft in Frankreich niedergelassen hatte, hielt es ihn – von ständigen Geldsorgen geplagt – nie lange an einem Ort.

 

Benjamin fand Freundlich unreif

 

Freundlich war mit Picasso, Robert Delaunay, Karl Schmidt-Rotluff, Raoul Hausmann und vielen weiteren berühmten Kollegen befreundet. Er trat manchen Künstlergruppen bei – und bald wieder aus, oft mit flammendem Protest. Walter Gropius wollte ihn für das Bauhaus, Walter Benjamin für seine Zeitschrift „Angelus Novus“ gewinnen, doch daraus wurde nichts. Der umtriebige Feuerkopf war offenbar für solche engagements zu eigensinnig. Freundlich habe zwar „gute Ideen“, gegen ihn spräche aber seine „erstaunliche Unreife“, urteilte Benjamin nach einem Treffen 1921.

 

Seine „guten Ideen“ verfolgte der Künstler dennoch mit bemerkenswerter Konsequenz. Anfangs noch figurativ: Um 1910 schuf er schlichte Masken und Figuren, angelehnt an archaische Formen von Kunst aus Übersee, die damals europaweit Avantgardisten inspirierte. Etwa 1912 die monumentale Gipsplastik „Der große Kopf“, die Statuen auf der Osterinsel ähnelt: Sie ist sein bis heute bekanntestes Werk – aus traurigem Anlass. Diese Skulptur bildeten die Nazis 1937 auf dem Umschlag des Katalogs zur Femeschau „Entartete Kunst“ ab und ersetzten sie später wohl durch eine Fälschung. Das Original ist heute verschollen.

 

Begeisterung für Glas + Mosaiken

 

Wie viele weitere: Mindestens 14 Werke von Freundlich in öffentlichen Sammlungen wurden von NS-Behörden beschlagnahmt. Einen stark beschädigten Terrakotta-Kopf von 1925 fand man bei Bauarbeiten in Berlin 2010 im Erdreich wieder – er ist in der Schau zu sehen. Dagegen ist der Verbleib aller Arbeiten ungewiss, die Freundlich beim Umzug nach Frankreich in seinem Berliner Atelier zurückgelassen hatte; nach der NS-Machtübernahme kam er nicht mehr an sie heran.

 

Nichtsdestoweniger gelingt der Ausstellung anhand von 80 Exponaten ein schlüssiger Überblick über alle Werkphasen. Seit einem dreimonatigen Aufenthalt in der Kathedrale von Chartres 1914 begeisterte sich Freundlich für Glasmalereien und Mosaiken: Er sah in ihnen sein Ideal einer kollektiven Kunst verwirklicht, die von einer Gemeinschaft geschaffen wurde und durch ihr Leuchten quasi die Begrenztheit des Einzelobjekts überwand.

 

Vor-Bilder für Aufhebung aller Unterschiede

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "GegenKunst: »Entartete Kunst« – NS-Kunst – Sammeln nach ’45" mit einer Bronze-Skulptur von Otto Freundlich in München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung „«Entartete Kunst»: Der Berliner Skulpturenfund von 2010“ mit einem Terrakotta-Kopf von Otto Freundlich in München, Würzburg + Halle/ Saale

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Johan Thorn Prikker: Vom Jugendstil zur Abstraktion" – Retrospektive des Glaskünstlers + Vorbilds von Otto Freundlich im Museum Kunstpalast, Düsseldorf.

 

Derlei konnte er aus Kostengründen nur selten umsetzen. Sein Meisterstück ist das meterlange Wandmosaik „Die Geburt des Menschen“, der sich kraftvoll aus wirbelnden Farbkreisen schält: Es wurde 1957 im Kölner Opernhaus angebracht, blieb dort lange unbeachtet und wurde nun in der Ausstellung installiert. Ebenso pulsierend wirkende Gemälde komponierte Freundlich aus lauter kleinen Farbfeldern ohne Konturen.

 

Ab den 1920er Jahren stuft er ihre Töne delikat ab, bis der Eindruck fließender Dynamik entsteht. Alle Elemente bestehen für sich und gehen zugleich harmonisch ineinander über; erfasst von universellen Wechselwirkungen wie bei subatomaren Teilchen. Mit moderner Physik war Freundlich durch seinen Cousin vertraut, einen Mitarbeiter von Albert Einstein. Deren Einsichten will der Maler veranschaulichen – als Vor-Bilder für die revolutionäre Aufhebung aller Unterschiede: „Das Objekt als Gegenpol des Individuums wird verschwinden; also auch das Objekt-sein eines Menschen für den andern.“ Das wäre „kosmischer Kommunismus“.

 

Glanz des künftigen Himmelreichs

 

Energieströme von Quanten und Quarks als Modell der Einebnung aller Differenzen von Subjekt und Objekt, Einzelnem und Gruppe: Utopischer geht es nicht. Wie kühn seine Ideen der sozialen Wirklichkeit vorauseilten, war Freundlich durchaus bewusst. Doch zu seiner Zeit, als keine Strömung ohne vollmundige Welterklärungs-Manifeste auskam, hat kaum ein Künstler so groß gedacht wie er. Und in der Gegenwart, in der sich Einzelne, Schichten und Nationen wieder stärker voneinander abgrenzen, erinnern seine Bilder an die Vorzüge des Gegenteils – wie orthodoxe Ikonen, die Gläubigen den Glanz des künftigen Himmelreichs vor Augen führen.