Claudio Caligari

Tu nichts Böses – Non essere cattivo

Cesare (Luca Marinelli, mi.) und seine Freunde aus den Vorstädten der italienischen Metropole Rom. Foto: missingFILMs
(Kinostart: 6.4.) Italien jenseits von Dolce Vita: Am Strand von Ostia tummelt sich jede Menge Drogenmilieu-Gelichter. Regisseur Claudio Caligari hält die enge Freundschaft zweier Außenseiter als furioses Doppel-Porträt fest – eine fesselnde Sozialstudie.

Rumhängen, Drogenkonsum, Kleinkriminalität und Prügeleien bestimmen den Alltag der beiden 20-jährigen drifters Vittorio (Alessandro Borghi) und Cesare (Luca Marinelli). Womit sie nicht weit kommen: Ihnen gelingt es nicht einmal, in einen Nachtklub eingelassen zu werden. Da helfen weder Rüpeleien noch geborgte Jacketts. Erst recht haben sie keine chance auf sozialen Aufstieg oder eine bürgerliche Existenz.

 

Info

 

Tu Nichts Böses -
Non essere cattivo

 

Regie: Claudio Caligari,

100 Min., Italien 2015;

mit: Luca Marinelli, Alessandro Borghi, Roberta Mattei

 

Weitere Informationen

 

Bei solchen trüben Aussichten flüchten sich die zwei Freunde lieber in den nächsten trip. Egal ob Alkohol, synthetische Drogen oder Kokain: Hauptsache weg von der trostlosen Gegenwart. Treibender techno sound und harte, unvermittelte Schnitte illustrieren ihr auswegloses Getriebensein in den Straßen und am Strand von Ostia.

 

Nichte hat Aids geerbt

 

Die beiden ungleichen Charaktere verbindet eine Freundschaft seit Kindertagen: Cesare ist ein jähzorniger Hitzkopf, dessen Fäuste meist schneller sind als sein Verstand. Nur zuhause bei seiner verhärmten Mutter und der Nichte Deborah zeigt er seine weiche Seite. Das Mädchen ist die Tochter von Cesares verstorbener Schwester; von ihrer Mutter hat sie auch das Aids-Virus geerbt hat. Um sie aufzumuntern, klaut er eines Tages für sie einen großen Plüschbären; der trägt auf seinem Latz die Aufschrift „Tu nichts Böses“.

Offizieller Filmtrailer


 

Putz- + Baustellen-jobs

 

Dagegen ist Vittorio besonnener. Als eines Tages am Strand die Polizei auftaucht, versteckt er geistesgegenwärtig eine Pistole, mit der sein Freund kurz zuvor noch herumfuchtelte, in der Handtasche einer Frau. So lernt er Linda (Roberta Mattei) kennen; die allein erziehende Mutter verdient ihr Geld als Putzfrau. Aus Liebe zu ihr wagt Vittorio den Ausstieg aus dem milieu. Von Cesare erntet er dafür zunächst nur Unverständnis, denn Vittorios karger Lohn für die Maloche auf dem Bau reicht gerade für ein sehr bescheidenes Dasein.

 

Der Film von Regisseur Claudio Caligari ist Mitte der 1990er Jahre angesiedelt. Italien durchlebt wieder einmal eine krisengebeutelte Zeit, die Silvio Berlusconi mit seiner „Forza Italia“-Partei an die Schalthebel der politischen Macht bringt. Vom Bild südlicher Lebensfreude in warmen Sommerfarben, das in Deutschland so beliebt ist, könnte dieses Land nicht weiter entfernt sein: Hier dominieren winterlich gedeckte Töne.

 

Am Fundort von Pasolinis Leiche

 

Ostia, dieser heruntergekommene Stadtteil von Rom an der Tiber-Mündung, ist ein verwahrloster Ort. Leere Strände, leere Straßen, armselige Häuser, selbst das Meer wirkt bleiern. Diesen Schauplatz hat Caligari kaum zufällig gewählt: Am Strand von Ostia wurde am 2. November 1975 die Leiche von Pier Paolo Pasolini gefunden. Der wohl umstrittenste Filmemacher Italiens war ermordet worden; sein Tod ist bis heute unaufgeklärt.

 

Hintergrund

 

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Mit seinen frühen Filmen, insbesondere „Accattone“ (1961) und „Mamma Roma“ (1962) hatte Pasolini dem römischen Lumpenproletariat ein filmisches Denkmal gesetzt. Er bewunderte die kulturelle Eigenständigkeit dieser Menschen am Rand der Gesellschaft. Die bürgerliche Mittelschicht hingegen hatte in Pasolinis Augen ihre Kultur längst gegen den Konsumismus eingetauscht.

 

Regisseur starb 2015 an Krebs

 

Regisseur Caligari stellte sein schmales Œuvre bewusst in eine Kontinuität mit Pasolinis Frühwerk. In seinen insgesamt neun Spiel- und Dokumentarfilmen portraitierte er meist soziale Randfiguren; er selbst galt als Außenseiter des italienischen Kinos. Sein vielbeachtetes Kinodebüt „Amore tossico“ spielte 1983 ebenfalls im Drogenmilieu von Ostia.

 

Danach gelang ihm erst mit seinem letzten Film erneut ein Achtungserfolg: „Non essere cattivo“ wurde als Italiens Kandidat für den Auslands-Oscar nominiert. Genießen konnte er das nicht mehr: Bereits im Mai 2015 starb Caligari im Alter von 67 Jahren an Krebs.

 

Mord an Meerjungfrau

 

Solche Tragik findet sich auch im Film wieder: Als wäre ihr Leben nicht schon schwierig genug, versetzt es den Protagonisten stets neue Faustschläge. Zwar zeichnet der Regisseur sie nicht als bloße Opfer der Umstände, doch ihrer Entwicklung sind enge soziale Grenzen gesetzt. Einzig ihre enge Verbundenheit miteinander hält sie trotz aller Gegensätze aufrecht.

 

Diese harte Geschichte ist in betont nüchternen, ja rohen Bildern erzählt. Nur auf einem Drogen-trip sieht Vittorio eine andere Welt: Plötzlich steigen auf einer menschenleeren Straße mitten in der Nacht bunt schillernde Zirkusleute aus einem Bus aus. Sie legen eine Meerjungfrau auf dem Asphalt ab –kurz darauf wird sie von einem Unbekannten erschossen.