Jonathan Littell

Wrong Elements

Ex-LRA-Kommandeur Dominic Ongwen, der 2015 desertiert hatte, wird Vertretern der Afrikanischen Union übergeben. Foto: © Bénédicte Kurzen. Fotoquelle: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 27.4.) Der Wohlgesinnte: Bestseller-Autor Jonathan Littell lässt junge Ugander berichten, wie sie früher als Kindersoldaten oder Sex-Sklavinnen lebten. Ohne den politischen und sozialen Kontext zu erklären – kaum unterscheidbar von Elends-Pornographie.

Sex and Hitler sells: Niemand hat diese zynische Medien-Maxime konsequenter beherzigt als Jonathan Littell. Der französische Schriftsteller wurde 2006 mit dem Riesen-Roman „Die Wohlgesinnten“ schlagartig berühmt. Darin schildert er als Ich-Erzähler auf 900 Seiten – in der deutschen Ausgabe sind es 1400 – die Lebensbilanz eines SS-Offiziers, der an etlichen Weltkriegs-Schlachten und Holocaust-Massakern aktiv beteiligt war.

 

Info

 

Wrong Elements

 

Regie: Jonathan Littell,

133 Min., Uganda/ Frankreich/ Belgien 2016

 

Weitere Informationen

 

Der Wälzer spaltete die Literaturkritik. Manche waren von der Kühnheit beeindruckt, mit der ein heutiger Autor sich in einen NS-Massenmörder hineinversetzt, um sein Denken zu ergründen. Andere empfanden Littells Identifikation mit dem Aggressor als so abwegig wie geschmacklos; sie störte die epische Breite, mit der er Gräuel wortreich ausmalt. Was den Verkaufserfolg nicht schmälerte: Allein in Frankreich wurden mehr als 700.000 Exemplare abgesetzt, in Deutschland ebenfalls eine sechsstellige Auflage.

 

Diverse Konflikt-Reportagen

 

Zuvor hatte Littell für eine Hilfsorganisation in Krisengebieten gearbeitet und einen science fiction thriller geschrieben. Nach seinem mega seller hat er diverse Reportagen über Kriege in Georgien, Kongo, Süd-Sudan und Syrien publiziert. Nun geht er unter die Filmemacher: Die Doku „Wrong Elements“ über ehemalige Kindersoldaten ist seine erste Regiearbeit.

Offizieller Filmtrailer


 

Doppelrolle als Opfer + Täter

 

Die Protagonisten heißen Geofrey, Lapisa, Nighty und Mike; alle wurden als Kinder in Nord-Uganda von der „Lord’s Resistance Army“ (LRA) entführt und ausgebeutet. Sie schickte Jungen als Fußsoldaten in Gefechte mit Regierungstruppen ein und ließ sie Gemetzel an der Zivilbevölkerung begehen; Mädchen wurden als Sex-Sklavinnen für LRA-Kämpfer missbraucht. Meist verbrachten sie viele Jahre mit der Guerilla im Busch, bevor sie sich ergaben und amnestiert wurden. Ihre Doppelrolle als Opfer und Täter zugleich will Littell darstellen.

 

Die in Europa wenig beachtete LRA zählte jahrzehntelang zu den brutalsten Bürgerkriegs-Armeen der Welt. Sie wurde 1987 von Joseph Kony gegründet: als eine von mehreren Rebellen-Gruppen in Nord-Uganda, die sich gegen die von Süd-Ugandern dominierte Regierung in Kampala unter Präsident Museveni empörten – er ist seit 31 Jahren im Amt. Kony wollte ihn stürzen, um einen christlichen Gottesstaat zu errichten; wie der beschaffen sein sollte, blieb stets nebulös.

 

Jagd auf Kony jüngst beendet

 

Schon Ende der 1980er Jahre terrorisierte die LRA vor allem die Bevölkerung in Nord-Uganda, deren Interessen zu vertreten sie vorgab. Mitte der 1990er Jahre verlagerte Kony Teile seiner Armee in den Süd-Sudan: als bezahlte Hilfstruppen für Sudans Regierung in Khartum bei ihrem Kampf gegen Separatisten. Derweil kasernierte Ugandas Regierung Hunderttausende von Einwohnern in „geschützten Dörfern“ – dort sollen durch Unterversorgung und Seuchen mehr Menschen gestorben sein als in Kampfhandlungen.

 

Eine Wende lösten die Anschläge vom 11. September 2001 aus: Khartum entzog der LRA die Unterstützung, um den US-Verdacht zu zerstreuen, es paktiere mit Verbrecherbanden. Ugandas reguläre Armee konnte die Aufständischen nicht besiegen, drängte sie aber in den Nord-Kongo und die Zentralafrikanische Republik ab, wo sie langsam aufgerieben wurden. Vor etwa einer Woche hat Kampala offiziell verkündet, die Jagd auf Kony einzustellen; er soll nur noch weniger als 100 Mann befehligen. In 30 Jahren Bürgerkrieg starben rund 100.000 Menschen; etwa zwei Millionen wurden vertrieben.

 

Gräuel-Geschichten ohne Kontext

 

In Interviews mit Littell wird deutlich, dass er all diese Zusammenhänge kennt, samt vieler Einzelheiten des wechselhaften Konflikts. Doch davon erfährt man in „Wrong Elements“ fast nichts: Der Film konzentriert sich nur auf seine jugendlichen Protagonisten. Die erzählen knapp oder ausführlich, sachlich oder ironisch von ihren verlorenen Jahren bei der LRA, zeigen vor Ort, welche Untaten sie begehen mussten – und wie sie nun versuchen, im zivilen Leben wieder Fuß zu fassen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Timbuktu" über islamistische Terrormilizen in Nordafrika von Abderrahmane Sissako

 

und hier eine Besprechung der Doku “Concerning Violence − Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence” über antikoloniale Guerillas im Afrika der 1960/70er Jahre von Göran Hugo Olsson.

 

und hier einen Bericht über den Vortrag des Black-Culture-Experten Manthia Diawara über Antikolonialismus + Gewalt in Afrika auf den „Künstler-Kongressen“ der documenta (13).

 

So erschütternd das teilweise ist – durch mehrfache Variation wird es nicht aufschlussreicher. Zumal der Regisseur nicht ansatzweise versucht, den politischen und sozialen Kontext zu erläutern: wie die LRA entstand, und warum sie sich so lange halten konnte. Die Akteure selbst sind dazu außerstande: Sie wurden verschleppt, gedrillt oder vergewaltigt, mussten hungern und morden, sie quälten und wurden gequält. Mehr wissen sie nicht.

 

Dunkler Kontinent des Abschlachtens

 

Seine Ameisen-Perspektive verlässt der Film nur einmal: als Dominic Ongwen, ein desertierter LRA-Kommandeur, der Afrikanischen Union überstellt wird. Ein bürokratischer Akt mit hochrangigen Militärs und viel Papierkram – und der Regisseur lässt kommentarlos die Kamera laufen. Da wird seine Weigerung, irgendetwas zu erklären, nahezu perfide Elends-Pornographie: Hauptsache, immer ganz nah dran, immer auf Tuchfühlung.

 

Dieses detailverliebte Wühlen in erinnerten Schrecken hat etwas Zwanghaftes. Es sucht den Schauder des Monströsen, ohne im Mindesten zum Verständnis des Geschehenen beitragen zu wollen – was die erste Voraussetzung wäre, um Ähnliches künftig vielleicht zu verhindern. Afrika ist hier nur der dunkle Kontinent, auf dem sich Schwarze aus obskuren Motiven massenhaft und abstoßend grausam abschlachten. Mit dieser Schauermär wird Littell seinen Erfolg von 2008 kaum wiederholen können: Dafür ist „Wrong Elements“ schlicht zu eintönig und dilettantisch gefilmt.