Andres Veiel

Beuys

Joseph Beuys u. die sog. Besetzer warten im Sekretariat auf Vertreter des Wissenschaftsministeriums, Staatliche Kunstakademie Düsseldorf, 10.10.1972, © zeroonefilm/ Stiftung Musem Schloss Moyland, ErichPuls/ Klaus Lamberty. Foto: Piffl Medien Filmverleih
(Kinostart: 18.5.) Als Aktionskunst noch geholfen hat: Kein deutscher Nachkriegs-Künstler war so berühmt und umstritten wie Joseph Beuys. Dem Propheten der sozialen Plastik widmet Regisseur Andres Veiel eine Archiv-Doku - als Film-Porträt aus der Fan-Perspektive.

Außer Joseph Beuys (1921-1986) ist das keinem deutschen Künstler der Nachkriegsmoderne gelungen: Auch 30 Jahre nach seinem Tod sind Person und Werk noch höchst umstritten. Ein einzigartiger Erfolg: Sein Schaffen ist längst musealisiert, darüber wurden schon viele Wälzer geschrieben – dennoch regt Beuys die Leute immer noch auf. Manche verehren ihn als Visionär, der die Kunst aus ihrer babylonischen Gefangenschaft im gleichnamigen Betrieb befreit habe; andere tun ihn als gerissenen Schamanen, Scharlatan oder schlicht Schwätzer ab.

 

Info

 

Beuys

 

Regie: Andres Veiel,

107 Min., Deutschland 2017;

mit: Klaus Staeck, Caroline Tisdall, Johannes Stüttgen

 

Website zum Film

 

Beuys als benchmark: Wer über ihn redet, spricht vor allem von sich selbst – das eigene Kunstverständnis und die eigene Sicht auf seine unverwechselbare Erscheinung in Hut und Anglerweste. Sowie die eigene Erinnerung an die alte, rheinische geprägte Bundesrepublik, durch deren Öffentlichkeit Beuys wie ein Springteufel irrlichterte. An ihm kamen kulturell Interessierte in den 1960er bis 1980er Jahren kaum vorbei.

 

„Das Rudel“ in Grundschule gelernt

 

Das gilt auch für den Verfasser dieser Zeilen, der in Kassel aufwuchs. Schon seine Grundschullehrerin setzte ihn vor die Beuys-Installation „Das Rudel“ (1969) aus einem alten VW-Bus und 24 Schlitten-Objekten. Auf der documenta 6 hielt er sich 1977 als Neunjähriger vor der Installation „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ die Nase zu, weil die von Beuys verwendeten 100 Kilo Margarine im Hochsommer ranzig geworden waren. Und nahe seines Elternhauses wurden während und nach der documenta 7 etliche der „7000 Eichen“ samt Basaltblöcken zur „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ gepflanzt. Der Autor ist also vorbelastet, vielleicht auch befangen.

Offizieller Filmtrailer


 

450 Stunden lange Archivmaterial-Schlacht

 

Regisseur Andres Veiel ist bekennender Beuys-fan: In den 1970er Jahren ahmte er dessen Aktionen mit seinen Jugendfreunden nach, um ihren braven Stuttgarter Vorort aufzumischen. Später drehte er diverse Dokus, etwa „Black Box BRD“ (2001); einer der originelleren Filme über den RAF-Terror. Nun wendet sich Veiel wieder dem „Held seiner Jugend“ zu, um dessen Taten und Geist ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten.

 

Mit enormem Aufwand: Der Regisseur hat 300 Stunden Video- und 150 Stunden Audio-Aufzeichnungen gesichtet; er führte 20 Gespräche von insgesamt 60 Stunden Länge mit Beuys-Weggefährten. Das komprimierte er mit zwei Cuttern zu einer gut 100-minütigen Doku fast nur aus Archivmaterial; heutige statements von interview-Partnern fallen kurz aus. Diesen Kraftakt merkt man dem Ergebnis an.

 

Schwarzweiß mit Mätzchen aufgepeppt

 

Offenbar ist den Machern bei ihrer dreijährigen Arbeit im Schneideraum entfallen, dass manche Menschen mit Beuys‘ Biographie nicht vertraut sind. Wichtige Stationen – so sein Kunststudium 1947/54 bei Ewald Mataré oder seine Heirat mit Eva-Maria Wurmbach 1959, selbst die Berufung zum Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie 1961 und seine Rolle in der Fluxus-Bewegung – werden unterschlagen. Andere hingegen breit ausgewalzt: etwa seine Entlassung 1972, nachdem er mit Studenten zum zweiten Mal das Uni-Sekretariat besetzt hatte, um gegen Zulassungs-Beschränkungen zu protestieren.

 

Wobei Veiel dem unter deutschen Filmemachern weit verbreiteten Irrglauben anhängt, Bilder sprächen für sich: Kaum blendet er nähere Angaben ein, geschweige denn Off-Kommentare. Wo, wann und mit wem Beuys diskutiert oder kühne Thesen vorträgt, bleibt meist unklar. Stattdessen versucht der Regisseur, sein körniges und sprödes Schwarzweiß-Material mit visuellen Effekten aufzupeppen: zooms, Zeitlupen oder Überblendungen sollen es attraktiver aussehen lassen, wirken aber eher wie manierierte Mätzchen.

 

Romantik-Weltbild wird unterschlagen

 

Unübersehbar ist, dass Beuys im persönlichen Kontakt beträchtliches Charisma ausstrahlte. Wofür er es einsetzte, bleibt weitgehend diffus – und das ausgerechnet bei einem Künstler, der permanent theoretisierte, zahllose Aktionen anleierte und schließlich in die Politik wechselte. Als Gründungsmitglied der „Grünen“ 1980, wo er auf wenig Gegenliebe stieß: Die Ökos fürchteten, er würde Wähler abschrecken. Kein Wunder: Beuys polemisierte häufig gegen den Parteienstaat und forderte direkte Demokratie durch Volksabstimmungen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Künstler und Propheten: Eine geheime Geschichte der Moderne 1872 – 1972" mit Werken von Joseph Beuys in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Freibeuter der Utopie – Die Kunst der Weltverbesserung" mit Werken von Joseph Beuys in der Weserburg, Bremen

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Ausweitung der Kampfzone: Die Sammlung 1968 – 2000" mit einer Mega-Installation von Joseph Beuys in der Neuen Nationalgalerie, Berlin.

 

Zumindest das zeigt der Film. Dagegen versäumt er, Beuys‘ eigenwilliges Weltbild aufzuschlüsseln; es speiste sich weitgehend aus der deutschen Romantik und Anthroposophie von Rudolf Steiner. Beides steht heutzutage nicht sonderlich hoch im Kurs; umso aufschlussreicher könnte sein, es auf Ansatzpunkte für die Gegenwart abzuklopfen. Doch Regisseur Veiel begnügt sich mit Beuys‘ geläufigen Maximen wie: „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und solle kreativ zur „sozialen Plastik“ beitragen, damit alles anders und irgendwie besser werde.

 

Oberlehrer-Messias als Medien-Star

 

Dass der Film es bei plakativen Schlagworten belässt, lässt vermuten, dass sein Regisseur sich für ihre Tiefendimension kaum interessiert. Ebenso wenig für die Paradoxie, dass Beuys, der ständig gegen die Macht des Kapitals wetterte und schlecht verwertbare Arbeiten produzierte, Ende der 1970er Jahre zu einem der höchstbezahlten Künstler weltweit aufstieg.

 

Ein dauerdozierender Oberlehrer mit messianischen Zügen und eingeschworener Anhänger-Schar als Medien-Star, sperrige second-hand-Skulpturen als begehrte Anlageobjekte – was sagt das über den Zeitgeist der Epoche aus? Hat Beuys ihr establishment mutig negiert, oder wurde er nur trickreich Teil desselben? Welche Folgen zeitigte langfristig sein grenzenlos „erweiterter Kunstbegriff“: mehr Akzeptanz für Individualität oder totale Beliebigkeit?

 

Idol-Huldigung mit Memorabilia

 

Brandaktuelle Fragen, die das Wirken des Weltkriegs-Bruchpiloten mit heute verbinden – Regisseur Veiel stellt sie nicht. Lieber spult er seine Fundus-Fundstücke ab: Mitschnitte von klassischen Beuys-performances, etwa „wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ (1965) oder „I like America and America likes me“ 1974 in New York. Hier huldigt eben ein fan mit memorabilia seinem Idol – was Beuys trotz allen Guru-Gehabes vermutlich zuwider gewesen wäre: „Ich nähre mich durch Kräfteverzehr“.